Verhältnisprämienstaffel: Keine Kündigung des Prämiensparvertrags
BGH v. 25.7.2023 - XI ZR 221/22Die Klägerin begehrt u.a. die Feststellung des Fortbestandes eines mit der Beklagten geschlossenen Sparvertrags. Die Parteien schlossen am 4.1.2001 einen Sparvertrag mit variabler Verzinsung. In dem von den damaligen gesetzlichen Vertretern der Klägerin unterzeichneten Vertragsantragsformular "S-VERMÖGENSPLAN" heißt es auzugsweise wie folgt:
"Ich werde monatlich ab 1.1.2001 den Betrag von DEM 150,00 einzahlen.
Zusätzlich zahlt die Sparkasse auf die vertragsgemäß erbrachte Jahresleistung eines abgelaufenen Sparjahres eine nach der Höhe des am Ende des Sparjahres erreichten Guthabens gestaffelte Prämie nach folgender Staffel:
Nach Erreichen des
3fachen der Jahressparleistung 3,0 % Prämie
4fachen der Jahressparleistung 6,0 % Prämie
6fachen der Jahressparleistung 10,0 % Prämie
8fachen der Jahressparleistung 14,0 % Prämie
10fachen der Jahressparleistung 18,0 % Prämie
12fachen der Jahressparleistung 20,0 % Prämie
15fachen der Jahressparleistung 25,0 % Prämie
20fachen der Jahressparleistung 30,0 % Prämie
30fachen der Jahressparleistung 40,0 % Prämie
40fachen der Jahressparleistung 50,0 % Prämie
Wegen der Einzelheiten wird auf die Sonderbedingungen verwiesen.
Der Sparvertrag wird unbefristet geschlossen. Es gilt die dreimonatige Kündigungsfrist. Über das Guthaben kann wie bei Spareinlagen mit Dreimonats-Kündigungsfrist verfügt werden (Nr. 4 der Sparbedingungen). Teilverfügungen bewirken am Ende des jeweiligen Sparjahres eine Neufestsetzung des Prämiensatzes. Es gilt die vorgenannte Prämienstaffel.
Die Sparkasse weist ausdrücklich darauf hin, dass neben ihren derzeit geltenden AGB sowie den Bedingungen für den Sparverkehr ergänzend Sonderbedingungen für den Sparverkehr Vertragsbestandteil sind. Die AGB, die Bedingungen für den Sparverkehr und die Sonderbedingungen für den Sparverkehr hängen/liegen in den Kassenräumen der Sparkasse aus."
Die Bedingungen für den Sparverkehr enthalten folgende Regelung:
"4. Kündigung
Die Kündigungsfrist beträgt mindestens drei Monate. Von Spareinlagen mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten können - soweit nichts anderes vereinbart wird - ohne Kündigung bis zu 2.000,- EUR für jedes Sparkonto innerhalb eines Kalendermonats zurückgefordert werden. Eine Auszahlung von Zinsen innerhalb zweier Monate nach Gutschrift gem. Nr. 3.3 wird hierauf nicht angerechnet."
In den Sonderbedingungen für den Sparverkehr heißt es zu dem Punkt "S Vermögensplan" u.a.:
"1. Werden die vereinbarten Sparbeiträge nicht bei Fälligkeit erbracht, wird damit der Sparvertrag beendet; weitere Einzahlungen sind dann nicht mehr auf diesen Vertrag möglich. Höhere Sparleistungen sowie Herabsetzungen der Sparbeiträge sind nicht möglich.
5. Ab Beendigung des Vertrages - z.B. durch Gesamtkündigung oder nicht rechtzeitige Einzahlungen - wird das Sparguthaben als Spareinlage mit 3monatiger Kündigungsfrist, d.h. auch mit dem dafür geltenden Zinssatz, weitergeführt."
In der Folgezeit erbrachte die Klägerin den Sparbetrag von mtl. 150 DM bzw. 76,69 €. In den Jahren 2015 bis 2020 hob die Klägerin insgesamt 9.000 € ab. Ihr Guthaben belief sich zuletzt unter Berücksichtigung der Zinsen und Prämien bis Ende des Jahres 2020 auf rd. 11.000 €. Unter Hinweis auf das bestehende Negativzinsumfeld kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 21.9.2020 den Sparvertrag mit Wirkung zum 31.12.2020.
Mit der Klage begehrt die Klägerin festzustellen, dass der Sparvertrag nicht durch die Kündigung vom 21.9.2020 beendet worden sei und voraussichtlich bis zum 31.12.2040 fortbestehe, sofern die Klägerin diesen nicht vorher gekündigt habe (Hauptantrag zu 1), hilfsweise festzustellen, dass er nicht durch die Kündigung vom 21.9.2020 beendet worden sei und über den 31.12.2020 hinaus fortbestehe, sofern die Klägerin diesen nicht vorher gekündigt habe (Hilfsantrag zu 1), festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Sparrate für den Monat Januar 2021 im Verzug befinde (Antrag zu 2), die Beklagte zu verurteilen, die monatlichen Sparraten ab Januar 2021 dem Sparbuch gutzuschreiben, bis die Klägerin den Sparvertrag kündige (Antrag zu 3), hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, die monatlichen Sparraten seit Januar 2021 bis zum 31.12.2040 dem Sparbuch gutzuschreiben, sofern die Klägerin den Sparvertrag nicht zuvor kündige (Antrag zu 4), und die Beklagte zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten i.H.v. rd. 330 € nebst Rechtshängigkeitszinsen zu verurteilen (Antrag zu 5).
Das AG gab dem Hilfsantrag zu 1 statt und wies die Klage im Übrigen ab. Das LG wies die Klage insgesamt ab. Auf die Revision der Klägerin stellte der BGH fest, dass der Sparvertrag zwischen den Parteien vom 4.1.2001 über den 31.12.2020 hinaus fortbesteht, und verurteilte die Beklagte, ab Januar 2021 die mtl. Sparraten der Klägerin i.H.v. 76,69 € dem Sparbuch gutzuschreiben, sofern die Klägerin die entsprechenden monatlichen Sparraten erbringt. Im Übrigen wies der BGH die Klage ab.
Die Gründe:
Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht die Kündigung des Sparvertrags vom 21.9.2020 durch die Beklagte als wirksam erachtet und die Klage hinsichtlich des in erster Instanz noch zuerkannten Hilfsantrags zu 1 abgewiesen.
Der Sparvertrag ist nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 21.9.2020 beendet worden, sondern besteht über den 31.12.2020 hinaus fort. Der Beklagten stand ein Kündigungsrecht weder aus Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen noch aus § 700 Abs. 1 Satz 3, § 696 Satz 1 BGB zu. Das LG hat verkannt, dass der Sparvertrag auf der Grundlage der vereinbarten Prämienstaffel und der weiteren vertraglichen Regelungen, die der Senat als AGB selbst auslegen kann, dahin zu verstehen ist, dass dem Sparer das Recht zukommt, einseitig zu bestimmen, ob er bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe spart. Bis zu diesem Zeitpunkt ist für die Beklagte das ordentliche Kündigungsrecht nach Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen bzw. nach § 700 Abs. 1 Satz 3, § 696 Satz 1 BGB ausgeschlossen.
Für Prämiensparverträge mit einer vertraglich vereinbarten Prämienstaffel bis zum 15. Sparjahr hat der Senat bereits entschieden, dass diesen ein konkludenter zeitlich befristeter Ausschluss des Kündigungsrechts aus Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen zu entnehmen ist (Senatsurteil vom 14.5.2019 - XI ZR 345/18 https://online.otto-schmidt.de/db/dokument?id=zip.2019.33.r.01&utm_source=news&utm_medium=homepage&utm_campaign=read_more). Dies hat er mit dem besonderen Bonusanreiz begründet, den die beklagte Sparkasse mit der vereinbarten Prämienstaffel gesetzt hat. Die Sparkasse soll dem Sparer den Anspruch auf Gewährung der Sparprämien nicht jederzeit durch eine ordentliche Kündigung entziehen können. Demgegenüber kann ein Sparer trotz der unbefristeten Laufzeit des Vertrags redlicherweise nicht erwarten, dass ihm mit dem Abschluss des Sparvertrags eine zeitlich unbegrenzte Sparmöglichkeit eröffnet werden soll. Diese Erwägungen gelten für die streitgegenständliche Prämienstaffel gleichermaßen.
Entgegen der Auffassung des LG und vereinzelter Stimmen in der Literatur kann die Klägerin die Dauer des Kündigungsausschlusses nicht einseitig durch Abhebungen verlängern. Für die Beantwortung der Frage, für welchen Zeitraum die Parteien das ordentliche Kündigungsrecht der Beklagten konkludent ausgeschlossen haben, ist auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen. Der zeitlich befristete Ausschluss des Kündigungsrechts rechtfertigt sich mit dem besonderen Bonusanreiz, den die beklagte Sparkasse mit der vereinbarten Prämienstaffel gesetzt hat und dem die Erwartung zugrunde liegt, dass der Sparer seine jährlichen Sparleistungen in voller Höhe erbringt. Demgegenüber führt die Wahrnehmung des hier vertraglich eingeräumten Rechts, über das Sparguthaben in den Grenzen von Nr. 4 der Bedingungen für den Sparverkehr zu verfügen, nach dem Vertrag lediglich zu einer Neufestsetzung des Prämiensatzes am Ende des jeweiligen Sparjahres.
Auf die Dauer des Kündigungsausschlusses kann dies nach dem Verständnis redlicher Vertragspartner unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise indes keinen Einfluss haben. Bei beiderseits interessengerechter Auslegung des Sparvertrags kann der Sparer redlicherweise nicht erwarten, einseitig durch Abhebungen die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung durch die Sparkasse beliebig hinausschieben zu können. Anderenfalls stünde die Dauer des konkludenten Kündigungsausschlusses im Belieben des Sparers, was ihm eine zeitlich unbegrenzte Sparmöglichkeit eröffnen würde. Dies wäre indes wie bereits ausgeführt nicht interessengerecht.
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Rechtsprechung (s.o.):
Kündigung eines Prämiensparvertrags durch Kreditinstitut nach Erreichen der höchsten Prämienstufe
BGH vom 14.05.2019 - XI ZR 345/18
ZIP 2019, 1563
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