Verletzung des Gleichbehandlungsgebots durch Zulassung von Aktionären nach Ablauf der Anmelde- und Nachweisfrist
BGH v. 9.10.2018 - II ZR 78/17In der Einladung zur Hauptversammlung der Beklagten, einer börsennotierten Aktiengesellschaft, am 13.8.2014 war die Neuwahl von zwei Mitgliedern des Aufsichtsrats im Wege der Einzelabstimmung vorgesehen. Der Aufsichtsrat schlug K und einen weiteren Kandidaten zur Wahl vor. Die Beklagte wies in der Einladung darauf hin, dass K bei vier näher bezeichneten Aktiengesellschaften Mitglied des Aufsichtsrats und bei drei davon Aufsichtsratsvorsitzender sei. K war zudem Verwaltungsratsvorsitzender einer börsennotierten Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts. Nach ihrer Erklärung im Mai 2014 entsprach die Beklagte den Empfehlungen zum Deutschen Corporate Governance Kodex in Nr. 5.4.5.
Die Einladung enthielt unter der Überschrift "Voraussetzungen für die Teilnahme an der Hauptversammlung und die Ausübung des Stimmrechts" die Angabe, dass nach § 17 der Satzung zur Teilnahme an der Hauptversammlung und zur Ausübung des Stimmrechts nur diejenigen Aktionäre berechtigt sind, die sich vor der Hauptversammlung in Textform anmelden und die der Gesellschaft einen in Textform erstellten besonderen Nachweis ihres Anteilsbesitzes übermitteln, und dass Anmeldung und Nachweis des Anteilsbesitzes der Gesellschaft mindestens sechs Tage vor der Hauptversammlung, somit spätestens bis zum Ablauf des 6.8.2014, 24 Uhr, zugehen müssen. Mehrere Aktionäre, so u.a. K, meldeten sich erst danach zur Hauptversammlung an oder legten erst danach den Nachweis ihres Anteilsbesitzes vor. K erschien zur Hauptversammlung und wurde von der Beklagten zugelassen.
In der Hauptversammlung schlug ein Aktionär vor, F in den Aufsichtsrat zu wählen. Der Versammlungsleiter erklärte, dass über die Wahlen zum Aufsichtsrat in der Weise abgestimmt werden solle, dass nacheinander einzeln über die zu besetzenden Aufsichtsratsposten abgestimmt werde, und zwar in einem ersten Wahlgang zunächst zwischen K und F. Gegen das vorgesehene Wahlverfahren erklärten mehrere Aktionäre und Aktionärsvertreter, u.a. auch der Kläger zu 1), Widerspruch zur Niederschrift. Die Abstimmung ergab 5.909.445 Ja-Stimmen für K und 5.732.174 Ja-Stimmen für F, wobei K mit den von ihm vertretenen 587.719 Stimmen für seine Wahl zum Aufsichtsrat stimmte. Der Versammlungsleiter stellte die Wahl des K fest, dieser nahm sie an. Anschließend stimmte die Hauptversammlung über die Wahl des anderen vom Aufsichtsrat vorgeschlagenen Kandidaten über das zweite Aufsichtsratsmandat ab, für das F nicht mehr antrat.
LG und KG wiesen die gegen den Wahlbeschluss gerichtete Anfechtungs- und Nichtigkeitsfeststellungsklage ab. Auf die Revision der Kläger hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das KG zurück.
Die Gründe:
Rechtsfehlerhaft hat das KG angenommen, dass K und andere Aktionäre, die sich erst nach Ablauf der Anmeldefrist angemeldet und/oder einen entsprechenden Nachweis des Anteilsbesitzes erbracht hatten, nach Ablauf der Meldefrist zur Teilnahme an der Hauptversammlung und Ausübung des Stimmrechts zugelassen werden durften. Der Wahlbeschluss ist nach § 251 Abs. 1 Satz 1 AktG wegen eines Gesetzesverstoßes anfechtbar. Die Zulassung von Aktionären nach Ablauf der Anmelde- und Nachweisfrist zur Stimmrechtsausübung verstieß jedenfalls gegen das Gleichbehandlungsgebot (§ 53a AktG).
Es kann vorliegend offenbleiben, ob ein Aktionär, der die in der Einladung zur Hauptversammlung genannte Anmeldefrist (§ 123 Abs. 2 Satz 2 AktG) oder die Frist zur Einreichung des Nachweises des Anteilsbesitzes (§ 123 Abs. 4 Satz 3 AktG) versäumt hat, grundsätzlich nicht nachträglich zugelassen werden darf oder ob die Gesellschaft auf die Einhaltung der gesetzten Fristen einseitig verzichten kann und Aktionäre unter Einhaltung des Gleichheitsgrundsatzes nach § 53a AktG noch nach Ablauf der Anmelde- und Nachweisfrist zulassen kann. Denn jedenfalls wenn die Einladung ausdrücklich darauf hinweist, dass sich der Aktionär in der Anmeldefrist anmelden und in der Nachweisfrist legitimieren muss, ist der Gesellschaft bei Zulassung von nachträglich gemeldeten Aktionären die Einhaltung des Gleichheitsgrundsatzes nicht möglich, da andere nicht ordnungsgemäß angemeldete Aktionäre erst gar nicht Zutritt zur Hauptversammlung verlangen.
Für die Gleichbehandlung der Aktionäre ist nicht nur auf die Aktionäre abzustellen, die sich nach Ablauf der Frist noch angemeldet oder legitimiert haben, sondern auf alle Aktionäre, die die Anmelde- bzw. Legitimationsfrist versäumt haben. Für alle diese Aktionäre muss der gleiche Maßstab für die Zulassung zur Teilnahme an der Hauptversammlung gelten. Wenn die Gestaltung der Einladung wie hier geeignet ist, Aktionäre davon abzuhalten, sich nach Ablauf der Frist anzumelden oder den Nachweis zu erbringen, wird aber ein unterschiedlicher Maßstab an die Aktionäre angelegt, weil diejenigen, die sich an die Vorgabe der Einladung halten, schon gar keine Teilnahme an der Hauptversammlung mehr verlangen, während diejenigen, die die Vorgabe einer Anmelde- oder Nachweisfrist ignorieren, zugelassen werden. Die in der Einberufung angegebene Anmelde- bzw. Nachweisfrist war entgegen der Auffassung des KG geeignet, Aktionäre, welche diese Fristen versäumt hatten, von einer verspäteten Anmeldung bzw. Legitimation oder einer entsprechenden Nachfrage nach einer solchen Möglichkeit bei der Gesellschaft abzuhalten. Für einen Aktionär war aufgrund der Angaben in der Einladung nicht zu erkennen, dass die Gesellschaft auf die Einhaltung dieser Fristen verzichten würde und eine nachträgliche Anmeldung oder Legitimation noch zu einer Zulassung zur Hauptversammlung führen könnte.
Der Wahlbeschluss ist weder wegen eines Verstoßes des Wahlvorschlags des Aufsichtsrats gegen den Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) noch wegen des Wahlverfahrens anfechtbar. Im Ergebnis zu Recht hat das KG angenommen, dass die Wahl des K zum Mitglied des Aufsichtsrats der Beklagten nicht wegen des von der Revision behaupteten Verstoßes gegen Nr. 5.4.5 Abs. 1 Satz 2 DCGK i.d.F. vom 13.5.2013 anfechtbar ist. Es konnte dabei offenbleiben, ob Nr. 5.4.5 Abs. 1 Satz 2 DCGK, wonach nicht mehr als drei Aufsichtsratsmandate in konzernexternen börsennotierten Gesellschaften oder in Aufsichtsgremien von konzernexternen Gesellschaften mit vergleichbaren Anforderungen wahrnehmen soll, wer dem Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft angehört, nur für Vorstände deutscher börsennotierter Aktiengesellschaften gilt oder auch eine vergleichbare Leitungstätigkeit in einem ausländischen Unternehmen erfasst. Eine Abweichung des Wahlvorschlags von den Empfehlungen des DCGK beeinflusst nicht die Wirksamkeit der Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds. Sie macht den Wahlvorschlag des Aufsichtsrats oder seine Bekanntmachung weder unwirksam noch liegt ein für die Wahlentscheidung der Hauptversammlung relevanter Verstoß gegen Informationspflichten vor.
Der Beschluss des Aufsichtsrats über einen Wahlvorschlag und seine Bekanntmachung sind nicht unwirksam, wenn der vorgeschlagene Kandidat nicht den Empfehlungen des DCGK entspricht. Das Abweichen von Anregungen oder Empfehlungen des DCGK selbst ist kein Verstoß gegen Gesetz oder Satzung, da der DCGK weder ein Gesetz noch ein Bestandteil der Satzung ist. Ein Gesetzesverstoß (§ 243 Abs. 1 AktG), der Entlastungsbeschlüsse anfechtbar machen kann, kann vorliegen, wenn die Entsprechenserklärung nach § 161 Abs. 1 Satz 1 AktG in einem nicht unwesentlichen Punkt unrichtig ist oder bei einer später eintretenden Abweichung von den DCGK-Empfehlungen in einem solchen Punkt nicht umgehend berichtigt wird.
Daraus folgert eine Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, dass der Beschluss des Aufsichtsrats, mit dem der Hauptversammlung ein Wahlvorschlag gemacht wird, dann nichtig ist, wenn es bei vorschlagsgemäßer Wahl in der Hauptversammlung zu einer bisher nicht erklärten Abweichung vom DCGK kommen würde. Der Aufsichtsrat verstoße bereits bei Beschlussfassung gegen seine aus § 161 AktG folgende gesetzliche Pflicht zur unterjährigen Aktualisierung des Kodex. Aufgrund der Beschlussnichtigkeit fehle es an einem wirksamen Wahlvorschlag an die Hauptversammlung nach § 124 Abs. 3 AktG. Die Gegenauffassung geht davon aus, dass eine etwaige Aktualisierungspflicht der Entsprechenserklärung durch die Gesellschaft rechtlich von der Beschlussfassung des Aufsichtsrats über den Wahlvorschlag und die anschließende Wahl in der Hauptversammlung zu trennen ist. Der BGH hat bisher offengelassen, ob überhaupt und ggfs. in welchem Umfang eine etwa unrichtige Entsprechenserklärung gem. § 161 AktG Auswirkungen auf den Wahlvorschlagsbeschluss des Aufsichtsrates und die nachfolgende Wahl in der Hauptversammlung hat und schließt sich nunmehr der zuletzt genannten Auffassung an.
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