23.05.2019

Verluste aus Umstrukturierung griechischer Staatsschuld: Kein Schadensersatzansprüche gegen EZB

Das EuG hat die Schadensersatzklage privater Investoren gegen die EZB abgewiesen, denen aufgrund der in 2012 erfolgten Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld Verluste entstanden waren. Obwohl die Investoren der Maßnahme nicht zugestimmt hatten, stellte die Umstrukturierung keinen unverhältnismäßigen und nicht tragbaren Eingriff in ihr Eigentumsrecht dar.

EuG v. 23.5.2019 - T-107/17
Der Sachverhalt:
Infolge des Ausbruchs der griechischen Staatsschuldenkrise im Oktober 2009 plante Griechenland eine Umstrukturierung seiner Staatsschuld, um zu einer tragfähigen finanziellen Situation zurückzukehren. Im Rahmen der Umstrukturierung sollten die privaten Gläubiger Griechenlands einen Beitrag zur Senkung der Schuldenlast leisten. Hierzu nahm Griechenland mit privaten Investoren, die Inhaber von vom griechischen Staat begebenen oder garantierten Schuldtiteln waren, Verhandlungen auf, um diese Schuldtitel gegen neue Schuldtitel zu tauschen.

Am 2.2.2012 forderte Griechenland die EZB auf, zu einem Gesetzentwurf über die Modalitäten der Verringerung der griechischen Staatsschuld eine Stellungnahme abzugeben. Es beabsichtige, die Wirkungen einer eventuellen Vereinbarung über einen Umtausch von Schuldtiteln, die mit einer bestimmten Anzahl von Gläubigern geschlossen wird, auf Gläubiger auszuweiten, die dieser Vereinbarung nicht zustimmen. In ihrer Stellungnahme vom 17.2.2012 erhob die EZB gegen das beabsichtigte griechische Gesetz keine Einwände.

Im Anschluss an den Erlass des fraglichen Gesetzes stimmten die Gläubiger, die die große Mehrheit (85,8%) der betreffenden Schuldtitel hielten, dem von Griechenland vorgeschlagenen Tausch von Schuldtiteln zu, was nach dem Gesetz dazu führte, dass die Gläubiger, die dem Tausch nicht zugestimmt hatten, gezwungen waren, sich an ihm zu beteiligen. Einige dieser Gläubiger haben anschließend beim EuG gegen die EZB eine Klage auf Ersatz der finanziellen Verluste erhoben, die ihnen aufgrund dessen entstanden seien, dass die EZB Griechenland nicht auf die Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Umstrukturierung der griechischen Staatschuld aufmerksam gemacht habe.

Das EuG wies die Klage ab. Gegen die Entscheidung kann innerhalb von zwei Monaten und zehn Tagen nach ihrer Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim EuGH eingelegt werden.

Die Gründe:
Es fehlen jegliche Nachweise, dass die EZB eine hinreichend qualifizierte Verletzung des Unionsrechts begangen hat.

Eine außervertragliche Haftung der EZB setzt voraus, dass die Rechtsnorm, gegen die verstoßen worden ist, bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, und der Verstoß hinreichend qualifiziert ist, dass der Eintritt eines Schadens nachgewiesen ist und dass zwischen dem Verstoß gegen die dem Urheber des Rechtsakts obliegende Verpflichtung und dem entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht. Der weite Ermessensspielraum der EZB bei der Abgabe von Stellungnahmen bedeutet, dass nur eine offenkundige und erhebliche Überschreitung dieses Ermessens ihre außervertragliche Haftung begründen kann.

Mit der Befugnis der EZB zur Abgabe einer Stellungnahme wird nicht bezweckt, die Rechte und Pflichten der Parteien der den fraglichen Schuldtiteln zugrunde liegenden Verträge zu beurteilen. Vielmehr ordnet sich diese Befugnis in den Katalog ihrer grundsätzlichen Aufgaben im Bereich der Geldpolitik ein und ist mit ihrer Pflicht verbunden, die Preisstabilität zu gewährleisten. Die EZB war folglich im Kontext der Abgabe der streitigen Stellungnahme nicht verpflichtet, sich zu der Frage zu äußern, ob Griechenland seine Verpflichtungen aus den fraglichen Verträgen eingehalten hatte. Des Weiteren hat die Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld nicht zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der Einhaltung vertraglicher Verpflichtungen geführt. Denn der Investition in staatliche Schuldtitel wohnt stets das Risiko eines Vermögensschadens inne. Der emittierende Staat ist beim Eintritt solcher Unwägbarkeiten berechtigt, eine Neuverhandlung anzustreben, indem er eine grundlegende Änderung der wesentlichen Umstände geltend macht, auf deren Grundlage der Vertrag geschlossen wurde, der diese Verpflichtungen umfasst.

Die EZB ist ferner im Hinblick auf den Grundrechtscharakter des in Art. 17 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der EU gewährleisteten Eigentumsrechts und im Hinblick darauf, dass dieses Recht den Einzelnen schützt, verpflichtet, bei der Ausübung ihrer Befugnisse auf einen Verstoß gegen dieses Recht hinzuweisen. Infolgedessen kann ein Verstoß gegen diese Pflicht die außervertragliche Haftung der EZB begründen, wenn die Unterlassung einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen diesen Artikel darstellt. Die Ausübung dieses Rechts darf jedoch beschränkt werden, um dem Gemeinwohl dienende Ziele zu erreichen.

Insoweit hat die in den Verträgen, die den fraglichen Schuldtiteln zugrunde lagen, nicht vorgesehene Ausweitung der Wirkung der mit bestimmten Gläubigern geschlossenen Vereinbarung über die Herabsetzung des Nominalwerts dieser Titel auf Gläubiger, die der Vereinbarung nicht zugestimmt hatten, zu einem Eingriff in das Eigentumsrecht der Gläubiger geführt. Jedoch entspricht eine solche Ausweitung der dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung, die Stabilität des Bankensystems des Euro-Währungsgebiets in seiner Gesamtheit sicherzustellen, und stellt keinen unverhältnismäßigen und untragbaren Eingriff in das Eigentumsrecht dar.

Linkhinweis:
EuG PM Nr. 66 vom 23.5.2019
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