06.02.2024

"Vermächtnis - Die Kohl-Protokolle": Journalisten trifft Verschwiegenheitspflicht nach der Memoirenarbeit

Den am "Memoirenprojekt" des Altkanzlers Kohl beteiligten Journalisten trifft laut OLG Köln eine umfassende Verschwiegenheitspflicht, die sich inhaltlich nicht nur auf die Wiedergabe etwaiger Äußerungen des Erblassers in Form einer wörtlichen oder sinngemäßen Wiedergabe von Zitaten bezieht. Vielmehr umfasst sie auch alle anderen Informationen und Umstände aus der gesamten Memoirenarbeit sowie alle hieran anknüpfenden Wertungen, die einen Rückschluss auf Äußerungen des Erblassers und /oder sonstige Vorkommnisse während der Memoirenarbeiten zulassen.

OLG Köln v. 6.2.2024 - 15 U 314/19
Der Sachverhalt:
In dem Verfahren nimmt die Klägerin im Nachgang zu einem früheren Unterlassungsverfahren (OLG Köln v. 29.5.2018 - 15 U 65/17, teilweise aufgehoben durch BGH v. 29.11.2021 - VI ZR 248/18, sodann entschieden durch Teilurteil des Senats vom 22.6.2023 - 15 U 65/17, n.v.) die Beklagten zu 1) bis 3) auf Unterlassung der Veröffentlichung und Verbreitung weiterer Passagen aus dem von den Beklagten zu 1) und 2) verfassten und im Verlag der Beklagten zu 3) erschienenen Buch mit dem Namen "Vermächtnis Die Kohl-Protokolle" (bzw. einem gleichnamigen Hörbuch) in Anspruch. Ferner begehrt sie Auskunft mit dem - jedenfalls primären - Ziel einer Verfolgung von Ansprüchen auf Auskehrung des sog. Verletzergewinns wegen eines angeblichen Eingriffs (auch) in "vermögenswerte Bestandteile" des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Erblassers. Infolge zwischenzeitlichen Versterbens des Beklagten zu 2) ist das Verfahren insoweit unterbrochen. Soweit zwei weitere Beklagte - ehemals Beklagte zu 4) und 5) - wegen eigener Presseberichterstattungen über das Buch von der Klägerin auf Unterlassung und Löschung mehrerer Äußerungen in Anspruch genommen werden, ist das Verfahren abgetrennt und zwischenzeitlich entschieden worden (Urteil des Senats vom 22.6.2023 - 15 U 135/22, n.v.; Nichtzulassungsbeschwerde anhängig: BGH, Az.: VI ZR 226/23).

Das LG hat der gegen den Beklagten zu 1) auf Unterlassung gerichteten Klage im Wesentlichen und der gegen diesen im Rahmen einer Stufenklage gerichteten Auskunftsklage vollumfänglich stattgegeben. Die gegen die Beklagte zu 3) auf Unterlassung und im Rahmen einer Stufenklage auf Auskunft und Schadensersatz gerichtete Klage hat das LG vollumfänglich abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben sowohl die Klägerin als auch der Beklagte zu 1) Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren hat der Beklagte zu 1) im Rahmen einer gegen die Klägerin gerichteten sog. Zwischenfeststellungswiderklage die Feststellung begehrt, dass in Bezug auf die geführten Memoirengespräche keine vertraglichen Geheimhaltungspflichten zwischen dem Beklagten zu 1) und dem Erblasser begründet worden sind.

Das OLG hat - nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen und nach Anhörung der Klägerin und des Beklagten zu 1) - die angefochtene Entscheidung teilweise abgeändert. Danach haben sowohl die Berufung der Klägerin als auch die Berufung des Beklagten zu 1) teilweise Erfolg. In Bezug auf den gegen den Beklagten zu 1) gerichteten Unterlassungsantrag hat das OLG dem Grunde nach das Bestehen eines vertraglichen Unterlassungsanspruchs bejaht, aber einige geringfügige Abänderungen mit Blick auf den Umfang der Verurteilung zur Unterlassung der Veröffentlichung/Verbreitung bestimmter Passagen des Buches ausgesprochen. Den auf die Feststellung fehlender vertraglicher Geheimhaltungspflichten gerichteten Zwischenfeststellungsantrag des Beklagten zu 1) hat das OLG abgewiesen. In Bezug auf die Beklagte zu 3) hat das OLG der auf Unterlassung zahlreicher Passagen des Buches gerichteten Klage nur in geringem Umfang stattgegeben. Die weitergehende gegen die Beklagte zu 3) gerichtete Berufung der Klägerin ist zurückgewiesen worden.

Das OLG hat die Revision (nur) mit Blick auf die Verurteilung des Beklagten zu 1) zur Auskunftserteilung bzw. die Abweisung der Stufenklage im Verhältnis zur Beklagten zu 3) zur höchstrichterlichen Klärung diesbezüglicher Rechtsfragen zugelassen.

Die Gründe:
Im Verhältnis zu dem Beklagten zu 1) steht der Klägerin dem Grunde nach ein vertraglicher Unterlassungsanspruch zu. Zwar ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und unter Berücksichtigung der übrigen feststehenden Umstände nicht sicher davon auszugehen, dass der Erblasser und der Beklagte zu 1) im Zusammenhang mit den Arbeiten am "Memoirenprojekt" - unter dem Dach der von ihnen jeweils nur mit dem Verlag abgeschlossenen, insoweit keine eindeutige Verschwiegenheitsverpflichtung regelnden schriftlichen Verträge - unmittelbar eine ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung über eine (umfassende) Verschwiegenheitspflicht des Beklagten zu 1) trafen. Den Beklagten zu 1) trifft aber aufgrund einer zwischen ihm und dem Erblasser stillschweigend begründeten auftragsähnlichen Rechtsbeziehung als vertragliche Nebenpflicht eine umfassende Verschwiegenheitspflicht. Aufgrund der hier vorliegenden besonderen Gesamtumstände ist von einem Rechtspflichten begründenden Rechtsverhältnis auszugehen. Die insoweit bestehende (Neben-)Pflicht ist auch nicht durch spätere Ereignisse in Wegfall geraten.

Folge der vertraglichen Bindung ist u.a., dass der Beklagte zu 1) sich im Verhältnis zu dem Erblasser nicht mehr auf sein Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen kann. Die vertragliche Verschwiegenheitspflicht bezieht sich inhaltlich nicht nur auf die Wiedergabe etwaiger Äußerungen des Erblassers in Form einer wörtlichen oder sinngemäßen Wiedergabe von Zitaten. Vielmehr umfasst sie auch alle anderen Informationen und Umstände aus der gesamten Memoirenarbeit sowie alle hieran anknüpfenden Wertungen des Beklagten zu 1), welche einen Rückschluss auf Äußerungen des Erblassers und /oder sonstige Vorkommnisse während der Memoirenarbeiten zulassen. Eine Ausnahme gilt nur für die Wiedergabe öffentlich vorbekannter Tatsachen und für Umstände, mit denen der Beklagte zu 1) nur "detailarm" den äußeren Rahmen der Memoirengespräche sowie die Rechtsstreitigkeiten der Parteien zutreffend beschreibt. Nach umfassender Prüfung der im Buch enthaltenen Passagen ist das Verbot der Veröffentlichung und Verbreitung in Bezug auf die vom Senat als unzulässig erkannten einzelnen Passagen auszusprechen. Weitere, im Einzelnen als zulässig erachtete Passagen sind - insoweit unter Klageabweisung - vom Verbot auszunehmen. Die Voraussetzungen für ein "Gesamtverbot" des Buches und einen daraus ableitbaren Anspruch auf Unterlassung sind zu verneinen.

Der auf die Feststellung fehlender vertraglicher Geheimhaltungspflichten gerichtete Zwischenfeststellungsantrag des Beklagten zu 1) ist entsprechend unbegründet.

Der von der Klägerin gegen den Beklagten zu 1) geltend gemachte Auskunftsanspruch ist zu bejahen. Er ist zur Vorbereitung eines der Klägerin zustehenden (unstreitig vererblichen) deliktischen Schadensersatzanspruchs wegen eines Eingriffs (auch) in die vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts des Erblassers gegeben. Dem Grunde nach besteht auch bei - hier allein feststellbarer - Fahrlässigkeit des Beklagten zu 1), der seine ungeschriebene vertragliche Bindung verkannt hat, ein Anspruch auf den sog. Verletzergewinn als Teil der im Immaterialgüterbereich anerkannten sog. dreifachen Schadensberechnung.

Gegen die Beklagte zu 3) besteht ein Unterlassungsanspruch nur in geringem Umfang in Bezug auf einzelne Passagen. Mangels Bestehens einer vertraglichen Beziehung zwischen dem Erblasser und der Beklagten zu 3) stehen der Klägerin nach dem Tod des Erblassers gegen diese Unterlassungsansprüche nur bei Annahme einer postmortalen Persönlichkeitsrechtsverletzung zu. Unter Berücksichtigung der dazu in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien ist dies hier nur in besonderen Fällen anzunehmen, u.a. soweit dem Erblasser als unwahre Tatsachenbehauptungen angebliche Eigenaussagen zugeschrieben worden sind, die er nicht, in abweichendem Kontext oder jedenfalls in anderer Stimmungslage, Lautstärke, Tonfall etc. getätigt hat, und wenn hierdurch jeweils auch das Lebensbild des Erblassers verfälscht, seine Menschenwürde berührt wird. Diese Voraussetzungen sind jedoch nur für wenige Buchpassagen von der im Grundsatz darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin prozessual ausreichend substantiiert dargetan worden; dies insbesondere im Kontext einiger im Vorverfahren bereits beanstandeter Fehlzitate sowie unwahrer bzw. bewusst unvollständiger Tatsachenbehauptungen - so etwa bezogen auf den Abschiedsbrief der ersten Ehefrau des Erblassers.

Mit Blick auf die - nicht vollständig vorliegenden - Tonbandaufnahmen aus den Memoirengesprächen bzw. digitalen Audiokopien sind im Übrigen verfahrensrechtlich keine weitergehenden gerichtlichen Vorlageanordnungen zu treffen gewesen. Dies ist auch nicht gegenüber dem materiell-rechtlich möglicherweise herausgabepflichtigen Beklagten zu 1) geboten. Es besteht kein Anlass, das Verfahren bis zum Abschluss des - ebenfalls im Wege der Stufenklage geführten und derzeit wieder beim LG anhängigen - Herausgabeverfahrens u.a. wegen der vom Beklagten zu 1) im Besitz gehaltenen Audiokopien der Tonbänder (dazu BGH, Urteil vom 3.9.2020 - III ZR 136/18) auszusetzen.

Die Stufenklage hat das LG insgesamt zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht gegen die Beklagte zu 3) mangels rechtlicher Grundlage kein Auskunftsanspruch und kein Anspruch auf Auskehr des mit dem Buchverkauf erzielten Gewinns zu. Da sich die Beklagte zu 3) - anders als der Beklagte zu 1) - im Zusammenhang mit der Buchveröffentlichung auf Art. 5 Abs. 1 GG berufen und ihr kein erheblicher Verschuldensvorwurf gemacht werden kann, kommen etwa deliktische Schadensersatzansprüche oder Ansprüche wegen angemaßter Eigengeschäftsführung hier nicht in Betracht.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
§ 823 BGB: Vererblichkeit von Geldentschädigungsansprüchen wegen Persönlichkeitsverletzung (Kohl-Protokolle) [m. Anm. Leipold, S. 309]
BGH vom 29.11.2021 - VI ZR 258/18
Dieter Leipold, FamRZ 2022, 306

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OLG Köln v. 6.2.2024
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