20.06.2016

Vermögensschaden durch anwaltlichen Fehler in einem Aktienoptionsvertrag: Gericht am Wohnsitz des Beklagten zuständig

Die Verwirklichung eines reinen Vermögensschadens in einem Mitgliedstaat rechtfertigt für sich genommen nicht die Zuständigkeit der Gerichte dieses Staates. Im Allgemeinen sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat.

EuGH 16.6.2016, C-12/15
Der Sachverhalt:
Universal Music ist eine Schallplattengesellschaft mit Sitz in den Niederlanden, die zur Universal Music Group gehört. Im Jahr 1998 übernahm sie die tschechische Schallplattengesellschaft B&M. In den Verträgen war der Verkauf und die Lieferung von 70 Prozent der Anteile an B&M sowie eine Kaufoption für die restlichen 30 Prozent der Anteile vorgesehen. Der Aktienoptionsvertrag über den Kauf der restlichen Anteile wurde von einer tschechischen Anwaltskanzlei in der Tschechischen Republik erstellt.

Zwischen dieser Kanzlei, der Rechtsabteilung der Universal Music Group und den Anteilseignern von B&M wurden mehrere Vertragsentwürfe ausgetauscht. In diesem Zusammenhang soll eine von der Rechtsabteilung der Universal Music Group vorgeschlagene Änderung von einem Mitarbeiter der betreffenden Anwaltskanzlei nicht vollständig übernommen worden sein. Dies führte dazu, dass der Verkaufspreis gegenüber dem ursprünglich vorgesehenen Verkaufspreis verfünffacht wurde, wobei dieser Verkaufspreis anschließend mit der Anzahl der Anteilseigner multipliziert werden sollte.

Der Streit zwischen Universal Music und den Anteilseignern von B&M wurde einer Schiedskommission in der Tschechischen Republik vorgelegt, vor der die Parteien im Jahr 2005 zu einem Vergleich gelangten. Universal Music verklagte die Rechtsanwälte vor den niederländischen Gerichten und machte geltend, dass sie den Schaden in Baarn (Niederlande) erlitten habe. Hierzu stützt sie sich auf die europäische Verordnung (EG) Nr. 44/2001, die u.a. die gerichtliche Zuständigkeit für zivil- und handelsrechtliche Streitigkeiten innerhalb der EU bestimmt.

Der mit einer Kassationsbeschwerde befasste Oberste Gerichtshof der Niederlande fragt den EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens nach der Auslegung dieser europäischen Verordnung. Er möchte insbesondere wissen, ob in diesem Fall die Niederlande als der "Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist", im Sinne der Verordnung angesehen werden können, was die Annahme der Zuständigkeit der niederländischen Gerichte ermöglichte.

Die Gründe:
Die Verordnung weist als Grundregel die Zuständigkeit den Gerichten des Mitgliedstaats zu, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat. Die Verordnung sieht nämlich nur als Ausnahme eine Reihe besonderer Zuständigkeiten vor, darunter die Zuständigkeit der Gerichte des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist. Diese besondere Zuständigkeitsregel ist daher autonom und eng auszulegen. Vorliegend wurde der streitgegenständliche Vertrag in der Tschechischen Republik ausgehandelt und unterzeichnet. Die Rechte und Pflichten der Parteien, einschließlich der Verpflichtung für Universal Music, einen höheren als den ursprünglich vorgesehenen Betrag für die verbleibenden 30 Prozent der Anteile zu zahlen, wurden in diesem Mitgliedstaat festgelegt. Diese vertragliche Verpflichtung, die die Vertragsparteien nicht hatten begründen wollen, ist in der Tschechischen Republik entstanden.

Der Schaden, der Universal Music aus der Differenz zwischen dem vorgesehenen und dem in diesem Vertrag angeführten Verkaufspreis erwachsen ist, ist im Zuge des Vergleichs, auf den sich die Parteien vor der Schiedskommission in der Tschechischen Republik verständigt haben, mit Gewissheit eingetreten. Deshalb ist das Vermögen von Universal Music unwiderruflich mit der Zahlungsverpflichtung belastet. Mithin hat sich der Verlust von Vermögensbestandteilen in der Tschechischen Republik ereignet, da der Schaden dort eingetreten ist. Allein der Umstand, dass Universal Music den Vergleichsbetrag durch Überweisung von einem von ihr in den Niederlanden geführten Konto beglichen hat, vermag diese Schlussfolgerung nicht zu entkräften.

Ein reiner Vermögensschaden, der sich unmittelbar auf dem Bankkonto des Klägers verwirklicht, lässt sich für sich genommen nicht als relevanter Anknüpfungspunkt im Sinne der Verordnung qualifizieren. Insoweit ist auch nicht ausgeschlossen, dass eine Gesellschaft wie Universal Music zwischen mehreren Bankkonten wählen konnte, von denen aus sie den Vergleichsbetrag hätte entrichten können. Der Ort, an dem dieses Konto geführt wird, ist daher nicht unbedingt ein zuverlässiges Anknüpfungskriterium. Lediglich dann, wenn auch die anderen spezifischen Gegebenheiten des Falles zur Zuweisung der Zuständigkeit an das Gericht des Ortes, an dem sich ein reiner Vermögensschaden verwirklicht hat, beitragen, könnte ein solcher.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 65 vom 16.6.2016
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