Verweigerte Beförderung von Reisegepäck stellt keine Verspätung bei der Luftbeförderung dar
BGH 13.10.2015, X ZR 126/14Der Kläger forderte von der beklagten Fluggesellschaft Schadensersatz wegen der Nichtbeförderung von Reisegepäck im Rahmen einer von seiner Ehefrau für beide gebuchten Reise von München nach Cancun im März 2012. Der Kläger hatte u.a. Teile einer Tauchausrüstung als Reisegepäck aufgegeben, zu der eine kleinere Pressluftflasche ("Pony-Flasche") gehörte. Diese wurde vor dem Abflug als vorschriftswidriger Gegenstand dem Reisegepäck entnommen und nicht mittransportiert. Darüber wurde der Kläger vor dem Abflug aber nicht informiert.
Der Kläger hat behauptete, die Flasche sei leer und ihr Ventil geöffnet gewesen. Am Urlaubsort habe er keinen Ersatz für die Flasche beschaffen können, weshalb er und seine Frau keine Tauchgänge hätten unternehmen können. Er verlangte Ersatz der gesamten Reisekosten für beide Personen, die er als nutzlose Aufwendungen auf etwa 4.838 € bezifferte.
AG und LG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.
Gründe:
Schadensersatzansprüche aus dem mit der Beklagten geschlossenen Beförderungsvertrag gem. § 280 BGB sind nicht gem. Art. 29 MÜ ausgeschlossen. Denn der geltend gemachte Schaden zählt nicht zu den vom Montrealer Übereinkommen erfassten Schadensfällen.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts betrifft die Haftung gem. Art. 19 MÜ nicht den Fall, dass Gepäck eines ansonsten ordnungsgemäß zum Ziel beförderten Passagiers wie hier am Abflugort verbleibt und von der Beförderung zum Bestimmungsort endgültig ausgenommen bleibt. Die Vorschrift ist im Streitfall bereits dem Grunde nach weder direkt noch entsprechend anwendbar. Werden Reisende, Reisegepäck oder Güter überhaupt nicht zum Bestimmungsort befördert, stellt dies keinen Fall der Verspätung bei der Luftbeförderung i.S.d. Art. 19 MÜ dar. Dieses Verständnis entspricht dem üblichen Sprachgebrauch der Worte "delay" und "retard" in den englischen und französischen Fassungen des Übereinkommens.
Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift deutet ebenfalls darauf hin, dass die Nichtbeförderung nicht als Fall von Verspätung geregelt werden sollte. Die Regelungen des Montrealer Übereinkommens dienen zwar der Harmonisierung des Luftfahrtrechts. Dies bedingt, im Sinne eines in sich geschlossenen Systems, die Anwendung von davon abweichenden nationalen Regelungen im Geltungsbereich des Übereinkommens gem. Art. 29 MÜ auszuschließen. So weitgehend und detailliert die Regelungen des Montrealer Übereinkommens im Einzelnen auch sein mögen, folgt aus dem Regelungszweck aber nicht, dass die Rechts-beziehungen zwischen einem Luftfahrtunternehmen und seinen Passagieren sowie den an einer Fracht Beteiligten vollständig, umfassend und abschließend durch das Übereinkommen geregelt werden müssten.
Diese Grundsätze gelten auch, soweit der Luftbeförderungsvertrag nur teilweise nicht erfüllt wird. Eine Anwendung des Art. 19 MÜ folgt auch nicht aus dem Umstand, dass es sich bei der teilweise nicht erfüllten Hauptpflicht, der Beförderung des Reisegepäcks, um eine akzessorische Pflicht handelt, die zusammen mit der Beförderung des Fluggastes zu erfüllen ist. Auf die im Streitfall ausgebliebene Gepäckbeförderung der Pressluftflasche kommt daher das Montrealer Übereinkommen hinsichtlich der in Art. 19 getroffenen Regelung für den Fall einer Verspätung nicht zur Anwendung.
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