19.07.2016

Vorratsdatenspeicherung: Mitgliedsstaaten müssen bei einer generellen Verpflichtung der Kommunikationsdienste strenge Vorgaben einhalten

Nach Ansicht von Generalanwalt Saugmandsgaard Øe kann eine generelle Verpflichtung zur Vorratsspeicherung von Daten, die ein Mitgliedstaat den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste auferlegt, mit dem Unionsrecht vereinbar sein. Mit dieser Verpflichtung müssen jedoch strenge Garantien einhergehen.

EuGH, C-203/15 u.a.: Schlussanträge des Generalanwalts vom 19.7.2016
Hintergrund:
Mit dem Urteil "Digital Rights Ireland" (EuGH 8.4.2014, C-293/12 und C-594/12) erklärte der EuGH die Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Daten (Richtlinie 2006/24/EG) für ungültig, weil die durch sie auferlegte generelle Verpflichtung zur Vorratsspeicherung bestimmter Daten mit einem schweren Eingriff in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten verbunden war und weil sich die eingeführte Regelung nicht auf das für die Bekämpfung schwerer Kriminalität absolut Notwendige beschränkte.

Im Anschluss an dieses Urteil ist der EuGH mit zwei Rechtssachen über die den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste in Schweden und im Vereinigten Königreich auferlegte generelle Verpflichtung zur Vorratsspeicherung von Daten elektronischer Kommunikationsvorgänge befasst worden. Dies gibt ihm Gelegenheit zur Klarstellung, wie das Urteil Digital Rights Ireland in einem nationalen Kontext auszulegen ist.

Der Sachverhalt:
Am Tag nach der Verkündung des Urteils "Digital Rights Ireland" teilte das Telekommunikationsunternehmen Tele2 Sverige der schwedischen Überwachungsbehörde für Post und Telekom mit, dass es die Vorratsspeicherung von Daten einstellen werde und beabsichtige, die bereits gespeicherten Daten zu löschen (Rechtssache C-203/15). Nach schwedischem Recht sind die Betreiber elektronischer Kommunikationsdienste verpflichtet, bestimmte personenbezogene Daten ihrer Teilnehmer zu speichern.

In der Rechtssache C-698/15 beantragten die Herren Tom Watson, Peter Brice und Geoffrey Lewis die gerichtliche Überprüfung der britischen Regelung über die Vorratsspeicherung, die den Innenminister ermächtigt, die öffentlichen Telekommunikationsbetreiber zur Vorratsspeicherung aller Kommunikationsdaten für die Dauer von höchstens zwölf Monaten zu verpflichten, wobei die Vorratsspeicherung des Inhalts der betreffenden Kommunikationsvorgänge ausgenommen ist.

Der EuGH wurde nun vom Verwaltungsgerichtshof Stockholm und von der Abteilung für Zivilsachen des Berufungsgerichts von England und Wales gefragt, ob innerstaatliche Regelungen, die den Betreibern eine generelle Verpflichtung zur Vorratsspeicherung von Daten auferlegen, mit dem Unionsrecht (insbesondere der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation (Richtlinie 2002/58/EG) und mit Art. 7, 8 und 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union) vereinbar sind.

Zu den Schlussanträgen des Generalanwalts:
Hinsichtlich der Frage, welche Arten von Daten Gegenstand der in Schweden und im Vereinigten Königreich eingeführten generellen Verpflichtung zur Vorratsspeicherung sind, ist festzustellen, dass es sich um Daten handelt, die die Identifizierung und die Bestimmung des Standorts der Quelle und des Adressaten einer Nachricht ermöglichen, weiterhin um Daten bzgl. Datum, Uhrzeit und Dauer einer Nachrichtenübermittlung sowie um Daten, die die Bestimmung der Art einer Nachrichtenübermittlung und der Art der benutzten Endeinrichtung ermöglichen. Sowohl in Schweden als auch im Vereinigten Königreich ist der Inhalt der Nachrichten nicht Gegenstand der Verpflichtung zur Vorratsspeicherung.

Eine generelle Verpflichtung zur Vorratsspeicherung von Daten kann mit dem Unionsrecht vereinbar sein. Die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Einführung einer solchen Verpflichtung ist allerdings an die Einhaltung strenger Voraussetzungen geknüpft. Die nationalen Gerichte haben das Vorliegen dieser Voraussetzungen im Licht aller relevanten Merkmale der innerstaatlichen Regelungen zu überprüfen.

  • Zunächst müssen die generelle Verpflichtung zur Vorratsspeicherung und die mit ihr einhergehenden Garantien durch Rechtsvorschriften aufgestellt werden, die zugänglich und vorhersehbar sind und einen geeigneten Schutz gegen Willkür bieten.
  • Weiterhin muss die Verpflichtung den Wesensgehalt der in der Charta vorgesehenen Rechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten wahren.
  • Zudem muss nach dem Unionsrecht jeder Eingriff in die Grundrechte einer dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung entsprechen. Nur die Bekämpfung schwerer Kriminalität stellt eine dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung dar, die eine generelle Verpflichtung zur Vorratsspeicherung rechtfertigen kann, nicht aber die Bekämpfung einfacher Kriminalität oder der ordnungsgemäße Ablauf von nicht strafrechtlichen Verfahren.
  • Außerdem muss eine generelle Verpflichtung zur Vorratsspeicherung zur Bekämpfung schwerer Straftaten absolut notwendig sein, d.h., keine andere Maßnahme oder Kombination von Maßnahmen könnte genauso wirksam sein und würde dabei die Grundrechte weniger beeinträchtigen.
  • Ferner muss diese Verpflichtung die im Urteil "Digital Rights Ireland" angeführten Voraussetzungen in Bezug auf den Zugang zu den Daten, die Dauer der Vorratsspeicherung sowie den Schutz und die Sicherheit der Daten erfüllen, um die Verletzung der Grundrechte auf das absolut Notwendige zu beschränken.
  • Schließlich muss die generelle Verpflichtung zur Vorratsspeicherung in einem in einer demokratischen Gesellschaft angemessenen Verhältnis zur Bekämpfung schwerer Kriminalität stehen, was bedeutet, dass die schwerwiegenden Gefahren, die von dieser Verpflichtung in einer demokratischen Gesellschaft ausgehen, nicht außer Verhältnis zu den Vorteilen stehen dürfen, die sich aus ihr bei der Bekämpfung schwerer Kriminalität ergeben.

Linkhinweis:

Für die auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Schlussanträge klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 79 vom 19.7.2016
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