08.07.2019

Vorübergehende Verbannung eines Fernsehkanals ins Pay-TV verstößt nicht gegen EU-Recht

Ein Mitgliedstaat kann aus Gründen der öffentlichen Ordnung wie der Bekämpfung der Aufstachelung zu Hass die Verpflichtung auferlegen, einen Fernsehkanal aus einem anderen Mitgliedstaat vorübergehend nur in Bezahlfernsehpaketen zu übertragen oder weiterzuverbreiten. Die Modalitäten der Verbreitung eines solchen Kanals dürfen jedoch nicht die Weiterverbreitung im eigentlichen Sinne dieses Kanals verhindern.

EuGH v. 4.7.2019 - C-622/17
Der Sachverhalt:
Die im Vereinigten Königreich eingetragene klagende Gesellschaft "Baltic Media Alliance" strahlt den Fernsehkanal NTV Mir Lithuania aus. Dabei handelt es sich um einen ausschließlich für litauisches Publikum bestimmten Kanal, dessen Programme mehrheitlich in russischer Sprache sind. Im Mai 2016 erließ die beklagte litauische Radio- und Fernsehkommission (RFKL) nach litauischem Recht eine Maßnahme, mit der Wirtschaftsteilnehmer, die im Wege von Kabelfernsehen oder Internet Fernsehkanäle an litauische Verbraucher verbreiten, für einen Zeitraum von zwölf Monaten dazu verpflichtet wurden, den Kanal NTV Mir Lithuania nur noch in kostenpflichtigen Fernsehprogrammpaketen zu verbreiten.

Diese Entscheidung der Beklagten beruhte darauf, dass ein im April 2016 über den fraglichen Kanal ausgestrahltes Programm Informationen enthalten habe, die zu Feindschaft und Hass aufgrund der Staatsangehörigkeit gegenüber den baltischen Staaten aufgestachelt hätten. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Klage. Sie macht u.a. geltend, dass diese Entscheidung unter Verstoß gegen die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (Richtlinie 2010/13/EU) erlassen worden sei, nach der die Mitgliedstaaten verpflichtet seien, den freien Empfang zu gewährleisten und nicht aus Gründen wie den Maßnahmen gegen die Aufstachelung zu Hass die Weiterverbreitung von audiovisuellen Mediendiensten aus anderen Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet zu behindern. Das mit der Sache befasste litauische Gericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Die Gründe:
Eine nationale Maßnahme, die allgemein der öffentlichen Ordnung dient und die Modalitäten der Verbreitung eines Fernsehkanals an die Verbraucher des Empfangsmitgliedstaats regelt, stellt keine Behinderung i.S.v. Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie dar, wenn diese Modalitäten die Weiterverbreitung im eigentlichen Sinne dieses Kanals nicht verhindern. Mit einer solchen Maßnahme wird nämlich keine zweite Kontrolle der Sendung des betreffenden Kanals zusätzlich zu der vom Sendemitgliedstaat durchzuführenden Kontrolle eingeführt. Der litauische Gesetzgeber wollte mit dem Erlass des Gesetzes über die Bereitstellung von Informationen an die Öffentlichkeit, auf dessen Grundlage die Entscheidung vom Mai 2016 erlassen wurde, die aktive Verbreitung von den litauischen Staat diskreditierenden und dessen Eigenschaft als Staat bedrohenden Informationen bekämpfen. Zu den Informationen, auf die sich dieses Gesetz bezieht, zählen u.a. solche, mit denen dazu aufgefordert wird, die verfassungsmäßige Ordnung Litauens gewaltsam umzustürzen, bzw. die Souveränität, die territoriale Unversehrtheit und die politische Unabhängigkeit Litauens zu verletzen.

In ihren Erklärungen hat die Beklagte ausgeführt, dass die Entscheidung von Mai 2016 mit der Begründung erlassen worden sei, dass eine der auf dem Kanal NTV Mir Lithuania ausgestrahlten Sendungen Falschinformationen enthalten habe, die zu Feindseligkeit und Hass aus Gründen der Nationalität gegen die baltischen Länder betreffend die Kollaboration von Litauern und Letten im Rahmen des Holocaust sowie die angeblich nationalistische und neonazistische Innenpolitik der baltischen Staaten - einer Politik, die angeblich eine Bedrohung für die russische Minderheit im Hoheitsgebiet dieser Länder darstelle - aufgestachelt hätten. Diese Sendung habe sich gezielt an die russischsprachige Minderheit Litauens gerichtet und mittels verschiedener Propagandatechniken darauf abgezielt, die Meinung dieser Gruppe zur Innen- und Außenpolitik Litauens, Estlands und Lettlands negativ und suggestiv zu beeinflussen, die Spaltung und Polarisierung der Gesellschaft zu betonen und den Schwerpunkt auf die durch die westlichen Länder erzeugten Spannungen in der Region Osteuropa sowie auf die Opferrolle der Russischen Föderation zu legen.

Auf dieser Grundlage ist davon auszugehen, dass eine Maßnahme wie die in Rede stehende allgemein der öffentlichen Ordnung dient. Des Weiteren haben die Beklagte und die litauische Regierung in ihren Erklärungen ausgeführt, dass die Entscheidung von Mai 2016 ausschließlich die Modalitäten der Verbreitung des Kanals NTV Mir Lithuania an die litauischen Verbraucher regle. Zugleich steht fest, dass die Entscheidung von Mai 2016 die Weiterverbreitung dieses Kanals im litauischen Hoheitsgebiet nicht aussetzt oder verbietet, da dieser trotz dieser Entscheidung in diesem Gebiet noch immer rechtmäßig ausgestrahlt werden kann und die litauischen Verbraucher ihn jederzeit anschauen können, sofern sie ein Bezahlfernsehpaket erwerben.

Nach alldem steht eine Maßnahme wie die vorliegende nicht der Weiterverbreitung im eigentlichen Sinne der Fernsehsendungen des von dieser Maßnahme betroffenen Fernsehkanals aus einem anderen Mitgliedstaat im Hoheitsgebiet des Empfangsmitgliedstaats entgegen. Eine solche Maßnahme fällt nicht unter die Richtlinie.

Linkhinweis:

 

EuGH PM Nr. 87 vom 4.7.2019
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