Wann ist ein Hauptversammlungsbeschluss im Hinblick auf den Vertrauensentzug eines Vorstandsmitgliedes unsachlich oder willkürlich?
BGH 15.11.2016, II ZR 217/15Der Sachverhalt:
Der Kläger war eines von zwei Vorstandsmitgliedern der beklagten AG, die eine einzige Aktionärin hat. Zwischen den Parteien bestand ein Vorstandsdienstvertrag, der bis 31.1.2016 befristet und an die wirksame Organstellung des Klägers gekoppelt war.
Am 14.1.2013 fand zu einer Bewerbung der Beklagten auf eine Ausschreibung um ein Mandat im Zusammenhang mit dem Bau des Großflughafens B. eine Vorstandssitzung statt, deren Ergebnis zwischen den Parteien streitig blieb. Am 16.1.2013 wurde ein Bewerbungsschreiben der Beklagten um das Mandat nach B. übermittelt, das die eingescannten Unterschriften des Klägers und des Geschäftsführers einer Tochtergesellschaft der Beklagten trug. Darin war nicht erwähnt, dass die Beklagte das Projekt nur mit Unterstützung einer weiteren Kanzlei durchführen wollte, insbesondere war eine solche nicht namentlich genannt bzw. trug die Bewerbung keine Unterschrift von Vertretern einer solchen Kanzlei.
Auf der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 29.1.2013 wurde beschlossen, dem Kläger das Vertrauen zu entziehen. In einer anschließenden Telefonkonferenz fasste der Aufsichtsrat den Beschluss, die Bestellung des Klägers zum Vorstand zu widerrufen und seinen Dienstvertrag vorsorglich zum 28.2.2013 zu kündigen.
LG und OLG gaben der hiergegen gerichteten Klage statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Urteil des OLG auf und wies die Sache neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.
Die Gründe:
Ein Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung ist nicht schon dann offenbar unsachlich oder willkürlich, wenn sich die Gründe für den Vertrauensentzug als nicht zutreffend erweisen. Der Aufsichtsrat kann die Bestellung zum Vorstandsmitglied widerrufen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ein solcher Grund ist namentlich der Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung, es sei denn, dass das Vertrauen aus offenbar unsachlichen Gründen entzogen wurde.
Die Tatsache, dass die Vorinstanz im vorliegenden Fall einen sachlichen Grund für den Entzug des Vertrauens nicht hatte feststellen können, ersetzte nicht die notwendige konkrete Feststellung eines offenbar unsachlichen Grundes. Nach § 84 Abs. 3 S. 2, 3. Alt. AktG reicht der Vertrauensentzug nur dann nicht für den Widerruf aus, wenn er aus offenbar unsachlichen Gründen erfolgt ist, wofür das abberufene Vorstandsmitglied die Beweislast trägt. Der wichtige Grund für den Widerruf der Bestellung liegt allein im Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung, der weder eine Pflichtwidrigkeit oder ein Verschulden noch seinerseits einen wichtigen Grund voraussetzt.
Der Umstand, dass kein sachlicher Grund für den Vertrauensentzug festgestellt werden kann, reicht gerade nicht aus, um den Ausnahmetatbestand von § 84 Abs. 3 S. 2, 3. Alt. AktG zu verwirklichen. Da es nicht genügt, dass das Gericht keinen sachlichen Grund feststellen kann, genügt es auch nicht, wenn ein Grund zwar benannt ist, dieser sich aber nicht als zutreffend erweist. Das OLG hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass vom Vorliegen offenbar unsachlicher Gründe bereits dann auszugehen sei, wenn die dargelegten Gründe für einen Vertrauensentzug sich als nicht zutreffend erwiesen.
Rechtsfehlerhaft hat die Vorinstanz auch einen Bezug zwischen der Nichterweislichkeit eines Vorwurfs, der dem Kläger gemacht worden war, und dem Vorliegen eines offenbar unsachlichen Grundes hergestellt. Wenn die Hauptversammlung der Auffassung ist, ein Vorstandsmitglied sei wegen bestimmter Vorgänge nicht mehr tragbar, lässt sich dem darauf beruhenden Vertrauensentzug auch dann nicht die Bedeutung eines wichtigen Grundes gem. § 84 Abs. 3 S. 2, 3. Alt. AktG absprechen, wenn dem Vorstandsmitglied subjektiv kein Vorwurf zu machen war oder es sogar objektiv im Recht gewesen sein sollte. Offenbar unsachlich ist nur ein willkürlicher, haltloser oder wegen des damit verfolgten Zwecks sittenwidriger, treuwidriger oder sonst wie rechtswidriger Entzug des Vertrauens.
Zu Unrecht hat das Berufungsgericht zudem in der fehlenden Begründung des Hauptversammlungsbeschlusses einen Anhaltspunkt für Willkür gesehen. Denn der Hauptversammlungsbeschluss, mit dem einem Vorstandsmitglied das Vertrauen entzogen wird, muss nicht konkret begründet werden. Rechtsfehlerhaft hat die Vorinstanz schließlich die Wirksamkeit des Widerrufs der Bestellung an der fehlenden Anhörung des Klägers durch den Aufsichtsrat scheitern lassen. Denn die Anhörung des Vorstandsmitglieds ist grundsätzlich keine Wirksamkeitsvoraussetzung des Widerrufs.
Linkhinweise:
- Der Volltext dieser Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
- Für den Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.