Wann ist eine identifizierende Verdachtsberichterstattung zulässig?
BGH v. 20.6.2023 - VI ZR 262/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger - zum Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts Botschafter der Republik Armenien in Deutschland - nimmt die Beklagten auf Unterlassung von Wortberichterstattungen in Anspruch. Es geht u.a. um Berichterstattungen wie am 2.11.2018 auf der Website des "SPIEGEL": Dort erschien ein Artikel mit der Überschrift "Wie die armenische Mafia in Deutschland vorgeht" und der Unterüberschrift: "Armenische Mafiagruppen gelten als besonders brutal. Es ist ihnen gelungen, in Deutschland ein breites Netzwerk aufzubauen. Ihre Kontakte reichen in die Welt des Profiboxens und mutmaßlich in diplomatische Kreise."
Im Weiteren wird der Kläger namentlich genannt und ausgeführt, die Verzahnung zwischen Kriminalität und Politik reiche in Deutschland möglicherweise bis in diplomatische Kreise: "Der derzeitige Botschafter der Republik Armenien, A. S. [voller Name des Klägers], stand bereits vor zehn Jahren in Verdacht, in internationale Schleuseraktivitäten verwickelt gewesen zu sein."
Weiter heißt es: "Allerdings zog der Diplomat immer wieder das Interesse von Behörden auf sich, weil er offenbar häufiger Bargeld bei einer deutschen Bank einzahlte. 2005 ermittelte die Berliner Staatsanwaltschaft erstmals wegen des Verdachts der Geldwäsche gegen S. [Name des Klägers]. Damals soll der damalige Botschaftsangehörige laut der BKA-Dokumente den Behörden mitgeteilt haben, die zahlreichen Auslandsüberweisungen und Gutschriften gehörten zur 'gängigen Praxis' der armenischen Botschaft. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Wie auch ein späteres Verfahren, bei dem die Tochter eines früheren armenischen Ministers und reichen Geschäftsmanns eine Rolle spielte."
Das LG verurteilte die Beklagten antragsgemäß zur Unterlassung der Veröffentlichung der genannten Passagen. Auf die Berufung der Beklagten änderte das KG das Urteil teilweise ab.
Die Revision des Klägers hatte Erfolg.
Die Gründe:
Dem Kläger steht gegen die Beklagten hinsichtlich aller streitgegenständlichen und vom LG untersagten Äußerungen ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG zu. Nach den im vorliegenden Fall im Rahmen der Abwägung heranzuziehenden Grundsätzen zu den Voraussetzungen einer zulässigen identifizierenden Verdachtsberichterstattung überwiegt hier das Schutzinteresse des Klägers.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH und des BVerfG darf eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (Art. 5 GG, § 193 StGB). Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt werden. Die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklärungsmöglichkeiten. Sie sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute.
Für eine identifizierende Verdachtsberichterstattung ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst "Öffentlichkeitswert" verleihen, erforderlich. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.
Nach diesen Maßstäben war die angegriffene Berichterstattung unzulässig. Die Beklagten sind ihren publizistischen Sorgfaltspflichten nicht im gebotenen Umfang nachgekommen.
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Der Kläger - zum Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts Botschafter der Republik Armenien in Deutschland - nimmt die Beklagten auf Unterlassung von Wortberichterstattungen in Anspruch. Es geht u.a. um Berichterstattungen wie am 2.11.2018 auf der Website des "SPIEGEL": Dort erschien ein Artikel mit der Überschrift "Wie die armenische Mafia in Deutschland vorgeht" und der Unterüberschrift: "Armenische Mafiagruppen gelten als besonders brutal. Es ist ihnen gelungen, in Deutschland ein breites Netzwerk aufzubauen. Ihre Kontakte reichen in die Welt des Profiboxens und mutmaßlich in diplomatische Kreise."
Im Weiteren wird der Kläger namentlich genannt und ausgeführt, die Verzahnung zwischen Kriminalität und Politik reiche in Deutschland möglicherweise bis in diplomatische Kreise: "Der derzeitige Botschafter der Republik Armenien, A. S. [voller Name des Klägers], stand bereits vor zehn Jahren in Verdacht, in internationale Schleuseraktivitäten verwickelt gewesen zu sein."
Weiter heißt es: "Allerdings zog der Diplomat immer wieder das Interesse von Behörden auf sich, weil er offenbar häufiger Bargeld bei einer deutschen Bank einzahlte. 2005 ermittelte die Berliner Staatsanwaltschaft erstmals wegen des Verdachts der Geldwäsche gegen S. [Name des Klägers]. Damals soll der damalige Botschaftsangehörige laut der BKA-Dokumente den Behörden mitgeteilt haben, die zahlreichen Auslandsüberweisungen und Gutschriften gehörten zur 'gängigen Praxis' der armenischen Botschaft. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Wie auch ein späteres Verfahren, bei dem die Tochter eines früheren armenischen Ministers und reichen Geschäftsmanns eine Rolle spielte."
Das LG verurteilte die Beklagten antragsgemäß zur Unterlassung der Veröffentlichung der genannten Passagen. Auf die Berufung der Beklagten änderte das KG das Urteil teilweise ab.
Die Revision des Klägers hatte Erfolg.
Die Gründe:
Dem Kläger steht gegen die Beklagten hinsichtlich aller streitgegenständlichen und vom LG untersagten Äußerungen ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG zu. Nach den im vorliegenden Fall im Rahmen der Abwägung heranzuziehenden Grundsätzen zu den Voraussetzungen einer zulässigen identifizierenden Verdachtsberichterstattung überwiegt hier das Schutzinteresse des Klägers.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH und des BVerfG darf eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (Art. 5 GG, § 193 StGB). Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt werden. Die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklärungsmöglichkeiten. Sie sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute.
Für eine identifizierende Verdachtsberichterstattung ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst "Öffentlichkeitswert" verleihen, erforderlich. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.
Nach diesen Maßstäben war die angegriffene Berichterstattung unzulässig. Die Beklagten sind ihren publizistischen Sorgfaltspflichten nicht im gebotenen Umfang nachgekommen.
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