Wert des Beschwerdegegenstandes der Berufung einer zur Gewährung von Bucheinsicht verurteilten Partei
BGH v. 22.11.2024 - VII ZR 6/23
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem Handelsvertretervertrag. Die Klägerin war aufgrund eines am 10./12.8.2004 mit der Beklagten geschlossenen Vertrags als Handels- und Versicherungsvertreterin für die Beklagte tätig. Die Beklagte ist Handels- und Versicherungsmaklerin. Gem. § 8 Ziffer 1 des Vermittlungsvertrags, dessen Bedingungen durch die Beklagte gestellt wurden, rechnete die Beklagte monatlich über die Provisionsansprüche der Klägerin innerhalb eines vereinbarten Kontokorrents ab. Gem. § 8 Ziffer 2 wurden Provisionsrückstellungen als Stornoreserve gebildet. Am 10.3.2014 unterzeichnete die Klägerin ein von der Beklagten vorgelegtes Schreiben mit Datum vom 3.3.2014 mit dem Betreff "Saldenbestätigung", in dem sie "die Anerkennung aller bis zum 18.12.2013 erhaltenen Provisionsabrechnungen und deren Salden als Buchauszug" bestätigte. Mit Schreiben vom 21.12.2015 kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis aus wichtigem Grund.
Im Rahmen der von ihr erhobenen Stufenklage beantragte die Klägerin zunächst, die Beklagte auf der ersten Stufe zur Erteilung eines Buchauszugs nach näherer Maßgabe zu verurteilen. Nachdem die Beklagte für den Zeitraum ab dem 1.1.2015 Buchauszüge mit Datum vom 14.12.2016 und vom 27.10.2017 vorgelegt hatte, nahm die Klägerin von dem Antrag auf Erstellung eines Buchauszugs Abstand. Sie verfolgt nunmehr einen Anspruch auf Bucheinsicht gem. § 87c Abs. 4 HGB gegen die Beklagte. Den Antrag auf Erteilung eines Buchauszugs haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 26.6.2019 vor dem LG übereinstimmend für erledigt erklärt.
Nachdem die Beklagte gem. § 87c Abs. 4 HGB ihr Wahlrecht dahin ausgeübt hatte, einem von der Klägerin zu bestimmenden Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchsachverständigen Bucheinsicht zu gewähren, beantragte die Klägerin, die Beklagte zu verurteilen, einem von ihr - der Klägerin - zu bestimmenden Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchsachverständigen Einsicht in die Geschäftsbücher, Urkunden, sonstigen Unterlagen bzw. Computer- und EDV-Systeme der Beklagten über die von der Klägerin vermittelten, betreuten oder angebahnten Geschäfte in der Zeit vom 1.1.2013 bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zu gewähren, soweit dies zur Feststellung der Richtigkeit oder Vollständigkeit der beklagtenseits vorgelegten Buchauszüge erforderlich ist.
Das LG gab der Klage auf der ersten Stufe durch Teilurteil für den Zeitraum ab dem 19.12.2013 in dem von der Klägerin beantragten Umfang statt und wies sie im Übrigen ab. Hiergegen legte die Beklagte Berufung ein mit dem Ziel, die Abweisung der Klage zu erreichen. Das OLG bestimmte einen vorbereitenden Einzelrichter gem. § 527 ZPO, der im Verhandlungstermin vom 5.12.2022, in dem die Beklagte säumig geblieben ist, ein unechtes Versäumnisurteil erlassen hat, mit dem die Berufung der Beklagten mangels Erreichens einer über 600 € hinausgehenden Beschwer als unzulässig verworfen wurde. Auf die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Das OLG hat die Berufung, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt, unter Verstoß gegen den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) als unzulässig verworfen.
Die Bemessung der mit der Berufung geltend gemachten Beschwer des in erster Instanz zur Gewährung von Bucheinsicht Verurteilten richtet sich nach dem Aufwand hinsichtlich Zeit und Kosten, der für ihn zur Erfüllung des Anspruchs auf Bucheinsicht anfällt. Die Bucheinsicht ist in sämtliche Buchführungsunterlagen in Papierform oder in elektronischer Form zu gewähren, die zur Überprüfung und Kontrolle der erteilten Buchauszüge erforderlich sind. Der Unternehmer muss neben dem Zugang zu den Unterlagen und zur EDV auch einen Ansprechpartner für die Dauer der Bucheinsicht zur Verfügung stellen.
Nach diesen Maßstäben übersteigt der Aufwand für die Gewährung der Bucheinsicht für die Beklagte schon nach dem von der Klägerin zugestandenen Aufwand kostenmäßig einen Betrag von 600 €. Das OLG hat bei der von ihm von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung, ob die Berufung zulässig ist (§ 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO), nicht beachtet, dass sich die Beklagte das für sie günstige Vorbringen der Klägerin zu dem mit der Bucheinsicht verbundenen tatsächlichen Aufwand insoweit stillschweigend zu eigen gemacht hat. Ein Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG liegt auch vor, wenn das Berufungsgericht bei der Prüfung der Zulässigkeit der Berufung für den Rechtsmittelführer günstiges und damit letztlich unstreitiges Vorbringen der Gegenpartei nicht in Erwägung gezogen, sondern unberücksichtigt gelassen hat.
Zu Recht macht die Beklagte geltend, dass sie eine oberhalb von 600 € liegende Beschwer jedenfalls mit den für sie günstigen Äußerungen der Klägerin, die sie sich stillschweigend zu eigen gemacht hat, hinreichend glaubhaft gemacht hat. Die Klägerin hat dem Vortrag der Beklagten, es seien insgesamt 6.615 von der Klägerin vermittelte Verträge zu überprüfen, widersprochen und demgegenüber sogar behauptet, es ginge um eine noch größere Anzahl von Verträgen. Die Klägerin hat zudem einen Prüfungsaufwand von 15 Minuten pro Geschäftsvorfall und damit jedenfalls pro vermitteltem Vertrag für plausibel gehalten. Bei einem von der Beklagten angesetzten Stundensatz i.H.v. 21 € pro Stunde für einen von ihr zu stellenden Ansprechpartner ergäbe sich danach ein Betrag i.H.v. mindestens 34.650 € (6.615 Verträge x 0,25 Stunden x 21 €).
Bei Zugrundelegung einer zeitlichen Beanspruchung des Ansprechpartners der Beklagten im Umfang von mindestens 5 % des für die Prüfung durch die Klägerin zu veranschlagenden Zeitraums ergibt sich ein Betrag i.H.v. jedenfalls 1.732,50 €, der den für die Zulässigkeit der Berufung maßgeblichen Wert des Beschwerdegegenstandes von 600 € übersteigt (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das OLG unter Berücksichtigung des genannten Vorbringens der Klägerin, was sich die Beklagte zu eigen gemacht hat, zu einem für die Beklagte günstigeren Ergebnis gelangt wäre.
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Das LG gab der Klage auf der ersten Stufe durch Teilurteil für den Zeitraum ab dem 19.12.2013 in dem von der Klägerin beantragten Umfang statt und wies sie im Übrigen ab. Hiergegen legte die Beklagte Berufung ein mit dem Ziel, die Abweisung der Klage zu erreichen. Das OLG bestimmte einen vorbereitenden Einzelrichter gem. § 527 ZPO, der im Verhandlungstermin vom 5.12.2022, in dem die Beklagte säumig geblieben ist, ein unechtes Versäumnisurteil erlassen hat, mit dem die Berufung der Beklagten mangels Erreichens einer über 600 € hinausgehenden Beschwer als unzulässig verworfen wurde. Auf die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
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Das OLG hat die Berufung, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt, unter Verstoß gegen den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) als unzulässig verworfen.
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