Wertersatzanspruch des Online-Verkäufers nach Verbraucherwiderruf eines Katalysator-Kaufs nach erfolgtem Einbau und Probefahrt
BGH 12.10.2016, VIII ZR 55/15Der Kläger bestellte im Jahr 2012 über die Internetseite der Beklagten, die einen Online-Shop für Autoteile betreibt, einen Katalysator nebst Montagesatz zum Preis von insgesamt rd. 390 €. Nach Erhalt ließ er den Katalysator von einer Fachwerkstatt in sein Auto einbauen. Als er nach einer kurzen Probefahrt feststellte, dass der Pkw nicht mehr die vorherige Leistung erbrachte, widerrief er fristgerecht seine auf den Abschluss eines Kaufvertrags gerichtete Willenserklärung und sandte den Katalysator, der nunmehr deutliche Gebrauchs- und Einbauspuren aufwies, an die Beklagte zurück. Diese teilte ihm daraufhin mit, der Katalysator sei durch die Ingebrauchnahme wertlos geworden, weswegen sie mit einem entsprechenden Wertersatzanspruch aufrechne und den Kaufpreis nicht zurückerstatten werde.
Das AG gab der auf Rückzahlung gerichteten Klage in vollem Umfang statt. Das LG änderte das erstinstanzliche Urteil ab und gab der Klage nur teilweise statt, weil die Beklagte gegen den Rückzahlungsanspruch wirksam mit einem Wertersatzanspruch gem. § 357 Abs. 3 BGB a.F. wegen der am Katalysator eingetretenen Verschlechterungen aufgerechnet habe. Mit ihrer Revision begehrt die Klägerin weiterhin die vollständige Rückzahlung des Kaufpreises, während die Beklagte mit ihrer Anschlussrevision einen noch höheren Wertverlust des Katalysators berücksichtigt wissen will.
Der BGH hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Dem Verbraucher ist beim Fernabsatz vor der Ausübung seines Widerrufsrechts kein wertersatzfreier Umgang mit der Kaufsache gestattet, der nicht nur zu Verschlechterung der Ware führt, sondern auch über die Maßnahmen hinausgeht, die zum Ausgleich ihm entgangener Erkenntnismöglichkeiten im stationären Handel erforderlich sind.
Es entspricht zwar der erklärten Zielsetzung des Gesetzgebers, dass der Verbraucher bei Fernabsatzgeschäften die Kaufsache vor Entscheidung über die Ausübung seines Widerrufsrechts nicht nur in Augenschein nehmen darf, sondern diese darüber hinaus auch einer Prüfung auf ihre Eigenschaften und ihre Funktionsweise unterziehen kann, ohne eine Inanspruchnahme für einen hieraus resultierenden Wertverlust befürchten zu müssen (§ 357 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB a.F.). Dies dient der Kompensation von Nachteilen aufgrund der dem Verbraucher im Fernabsatz entgehenden Prüfungs- und sonstigen Erkenntnismöglichkeiten, die im stationären Handel gegeben wären. Auch wenn der Kunde im Ladengeschäft die Ware häufig nicht auspacken, aufbauen und ausprobieren kann, stehen ihm dort doch typischerweise Musterstücke sowie Vorführ- und Beratungsmöglichkeiten zur Verfügung, um sich einen unmittelbaren Eindruck von der Ware und ihren Eigenschaften zu verschaffen.
Allerdings ist eine Ware, die - wie vorliegend der Katalysator - bestimmungsgemäß in einen anderen Gegenstand eingebaut werden soll, für den Käufer auch im Ladengeschäft regelmäßig nicht auf ihre Funktion im Rahmen der Gesamtsache überprüfbar. Den streitgegenständlichen Katalysator hätte der Kläger im stationären Handel nicht - auch nicht in Gestalt eines damit ausgestatteten Musterfahrzeugs - in der Art ausprobieren können, dass er dessen Wirkungsweise auf sein oder ein vergleichbares Kfz nach Einbau hätte testen können. Vielmehr wäre der Kläger bei einem Kauf im stationären Handel darauf beschränkt gewesen, das ausgewählte Katalysatormodell oder ein entsprechendes Musterstück eingehend in Augenschein zu nehmen und den Katalysator mit Alternativmodellen oder dem bisher verwendeten Teil zu vergleichen. Darüber hinaus hätte er sich beim Verkaufspersonal ggf. über die technische Daten des ausgewählten Modells erkundigen und sich über dessen Vorzüge oder Nachteile gegenüber anderen Modellen fachkundig beraten lassen können.
Die vom Kläger ergriffenen Maßnahmen gehen über die Kompensation solcher ihm entgangener Erkenntnismöglichkeiten im Ladengeschäft hinaus. Sie stellen sich vielmehr als eine - wenn auch nur vorübergehende - Ingebrauchnahme des Katalysators dar, die ihm eine im stationären Handel unter keinen Umständen eröffnete Überprüfung der konkreten Auswirkungen des erworbenen Autoteils auf die Fahrweise seines Fahrzeugs in der Praxis verschaffen sollte. Eine solche Besserstellung des Verbrauchers im Onlinehandel ist weder vom nationalen noch vom europäischen Gesetzgeber beabsichtigt. Für die eingetretenen Verschlechterungen stünde der Beklagten deshalb ein Wertersatzanspruch gegen den Kläger zu, falls - was bislang noch nicht festgestellt ist - auch die Voraussetzungen des § 357 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB a.F. erfüllt wären.
Aus diesen Gründen war das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückzuverweisen. Zwar ist das OLG zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger die Grenzen des ihm wertersatzfrei zuzubilligenden Prüfungsrechts überschritten hat. Jedoch fehlen bislang Feststellungen dazu, ob der Kläger bereits bei Vertragsschluss - was das Gesetz in § 357 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB a.F. für einen Wertersatzanspruch des Verkäufers voraussetzte - spätestens bei Vertragsschluss in Textform auf die Rechtsfolge einer möglichen Wertersatzverpflichtung hingewiesen worden war.
Linkhinweis:
- Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
- Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.