Wettbewerbsverstöße: Aufklärungspflicht des Schuldners über den Entschluss zur Erhebung eines Widerspruchs
BGH v. 9.2.2023 - I ZR 61/22
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte die Beklagte wegen fünf behaupteter Wettbewerbsverstöße abgemahnt und ihr eine Frist zur Abgabe einer Unterlassungserklärung gesetzt. Nachdem die Beklagte innerhalb der Frist nicht reagiert hatte, erließ das LG auf Antrag der Klägerin am 23.8.2018 eine einstweilige Verfügung. Gegen den ihr am 3.9.2018 zugestellten Beschluss erhob die Beklagte mit Schriftsatz vom 17.9.2018 Widerspruch. Am 24.9.2018 verfügte die Vorsitzende Richterin die Übersendung einer Abschrift dieses Schriftsatzes an die Klägerin. Die Geschäftsstelle vermerkte am 4.10.2018 die Erledigung dieser Verfügung. Die beim Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingegangene Abschrift des Schriftsatzes wurde mit einem Posteingangsstempel vom 9.10.2018 versehen. Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe an diesem Tag Kenntnis von dem Widerspruch erhalten; die Beklagte hat behauptet, dies sei bereits zuvor am 26.9.2018 erfolgt.
Am 8.10.2018 forderte die Klägerin die Beklagte auf, bis zum 30.10.2018 zu der einstweiligen Verfügung eine Abschlusserklärung abzugeben. Auf den Widerspruch der Beklagten erließ das LG ein die einstweilige Verfügung bestätigendes Urteil. Ihre hiergegen gerichtete Berufung nahm die Beklagte zurück. Vorliegend nahm die Klägerin die Beklagte dann auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten für das Abmahnschreiben i.H.v. rund 749 € sowie für das Abschlussschreiben i.H.v. 1.822 € in Anspruch.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG der Klägerin lediglich einen Anspruch auf Freistellung von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten für die Abmahnung zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der BGH das Urteil insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin erkannt worden war und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.
Gründe:
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung konnte ein Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihrer außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten für das Abschlussschreiben nicht abgelehnt werden.
Zwar steht der Klägerin ein Ersatzanspruch für die Kosten des Abschlussschreibens nicht als Aufwendungsersatzanspruch nach den Grundsätzen der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag gem. §§ 677, 683 Satz 1, § 670 BGB zu. Der Senat hat bereits entschieden, dass ein kostenauslösendes Abschlussschreiben nur dann erforderlich ist und dem mutmaßlichen Willen des Schuldners entspricht, wenn der Gläubiger dem Schuldner angemessene Zeit gewährt hat, um die Abschlusserklärung unaufgefordert von sich aus abgeben zu können. Hierbei ist eine Wartefrist von zwei Wochen, gerechnet ab der Zustellung der einstweiligen Verfügung, im Regelfall geboten und ausreichend. Diese Grundsätze gelten sowohl für eine durch Beschluss als auch für eine durch Urteil erlassene oder nach Widerspruch bestätigte einstweilige Verfügung.
Hat der Schuldner indes schon Widerspruch gegen die Beschlussverfügung erhoben oder Berufung gegen die Urteilsverfügung eingelegt, hat er sich bereits dafür entschieden, die einstweilige Verfügung nicht als endgültige Regelung zu akzeptieren. Die Aufforderung zur Abgabe einer Abschlusserklärung ist für ihn dann nicht mehr von Nutzen. Darüber hinaus entspricht die Beauftragung eines Abschlussschreibens in diesem Fall auch nicht dem wirklichen Willen des Schuldners, den er durch die Erhebung des Widerspruchs oder die Einlegung der Berufung geäußert hat. Entspricht die Übernahme der Geschäftsführung durch die Klägerin - wie im Streitfall - weder dem Interesse noch dem wirklichen Willen der Beklagten als Geschäftsherrin, scheidet eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag aus.
Allerdings könnte hier ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht in Betracht kommen. Denn den Schuldner einer einstweiligen (Beschluss-)Verfügung trifft gegenüber dem Gläubiger mit Ablauf der Wartefrist von im Regelfall zwei Wochen, die der Gläubiger vor der Versendung eines Abschlussschreibens einzuhalten hat, eine Aufklärungspflicht über den Entschluss zur Erhebung eines Widerspruchs gegen die einstweilige (Beschluss-)Verfügung. Wird der pflichtwidrig unterlassene Hinweis des Schuldners adäquat kausal für die Kosten eines - objektiv nicht mehr erforderlichen - Abschlussschreibens des Gläubigers, kann das einen Schadensersatzanspruch des Gläubigers nach § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB auslösen.
Es obliegt der Beklagten im weiteren Verfahren vorzutragen, sie habe ihre Aufklärungspflicht erfüllt oder eine Pflichtverletzung gem. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht zu vertreten. Sollte sich der Vortrag der Beklagten, die Klägerin habe bereits am 26.9.2018 Kenntnis von dem Widerspruch erlangt, als zutreffend erweisen, wäre die Aufklärungspflicht der Beklagten damit entfallen. Es käme dann auf die - von der Klägerin vorzutragenden - Zeitpunkte der Beauftragung des Abschlussschreibens und der ersten Tätigkeit ihres Rechtsanwalts an.
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Die Klägerin hatte die Beklagte wegen fünf behaupteter Wettbewerbsverstöße abgemahnt und ihr eine Frist zur Abgabe einer Unterlassungserklärung gesetzt. Nachdem die Beklagte innerhalb der Frist nicht reagiert hatte, erließ das LG auf Antrag der Klägerin am 23.8.2018 eine einstweilige Verfügung. Gegen den ihr am 3.9.2018 zugestellten Beschluss erhob die Beklagte mit Schriftsatz vom 17.9.2018 Widerspruch. Am 24.9.2018 verfügte die Vorsitzende Richterin die Übersendung einer Abschrift dieses Schriftsatzes an die Klägerin. Die Geschäftsstelle vermerkte am 4.10.2018 die Erledigung dieser Verfügung. Die beim Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingegangene Abschrift des Schriftsatzes wurde mit einem Posteingangsstempel vom 9.10.2018 versehen. Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe an diesem Tag Kenntnis von dem Widerspruch erhalten; die Beklagte hat behauptet, dies sei bereits zuvor am 26.9.2018 erfolgt.
Am 8.10.2018 forderte die Klägerin die Beklagte auf, bis zum 30.10.2018 zu der einstweiligen Verfügung eine Abschlusserklärung abzugeben. Auf den Widerspruch der Beklagten erließ das LG ein die einstweilige Verfügung bestätigendes Urteil. Ihre hiergegen gerichtete Berufung nahm die Beklagte zurück. Vorliegend nahm die Klägerin die Beklagte dann auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten für das Abmahnschreiben i.H.v. rund 749 € sowie für das Abschlussschreiben i.H.v. 1.822 € in Anspruch.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG der Klägerin lediglich einen Anspruch auf Freistellung von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten für die Abmahnung zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der BGH das Urteil insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin erkannt worden war und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.
Gründe:
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung konnte ein Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihrer außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten für das Abschlussschreiben nicht abgelehnt werden.
Zwar steht der Klägerin ein Ersatzanspruch für die Kosten des Abschlussschreibens nicht als Aufwendungsersatzanspruch nach den Grundsätzen der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag gem. §§ 677, 683 Satz 1, § 670 BGB zu. Der Senat hat bereits entschieden, dass ein kostenauslösendes Abschlussschreiben nur dann erforderlich ist und dem mutmaßlichen Willen des Schuldners entspricht, wenn der Gläubiger dem Schuldner angemessene Zeit gewährt hat, um die Abschlusserklärung unaufgefordert von sich aus abgeben zu können. Hierbei ist eine Wartefrist von zwei Wochen, gerechnet ab der Zustellung der einstweiligen Verfügung, im Regelfall geboten und ausreichend. Diese Grundsätze gelten sowohl für eine durch Beschluss als auch für eine durch Urteil erlassene oder nach Widerspruch bestätigte einstweilige Verfügung.
Hat der Schuldner indes schon Widerspruch gegen die Beschlussverfügung erhoben oder Berufung gegen die Urteilsverfügung eingelegt, hat er sich bereits dafür entschieden, die einstweilige Verfügung nicht als endgültige Regelung zu akzeptieren. Die Aufforderung zur Abgabe einer Abschlusserklärung ist für ihn dann nicht mehr von Nutzen. Darüber hinaus entspricht die Beauftragung eines Abschlussschreibens in diesem Fall auch nicht dem wirklichen Willen des Schuldners, den er durch die Erhebung des Widerspruchs oder die Einlegung der Berufung geäußert hat. Entspricht die Übernahme der Geschäftsführung durch die Klägerin - wie im Streitfall - weder dem Interesse noch dem wirklichen Willen der Beklagten als Geschäftsherrin, scheidet eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag aus.
Allerdings könnte hier ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht in Betracht kommen. Denn den Schuldner einer einstweiligen (Beschluss-)Verfügung trifft gegenüber dem Gläubiger mit Ablauf der Wartefrist von im Regelfall zwei Wochen, die der Gläubiger vor der Versendung eines Abschlussschreibens einzuhalten hat, eine Aufklärungspflicht über den Entschluss zur Erhebung eines Widerspruchs gegen die einstweilige (Beschluss-)Verfügung. Wird der pflichtwidrig unterlassene Hinweis des Schuldners adäquat kausal für die Kosten eines - objektiv nicht mehr erforderlichen - Abschlussschreibens des Gläubigers, kann das einen Schadensersatzanspruch des Gläubigers nach § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB auslösen.
Es obliegt der Beklagten im weiteren Verfahren vorzutragen, sie habe ihre Aufklärungspflicht erfüllt oder eine Pflichtverletzung gem. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht zu vertreten. Sollte sich der Vortrag der Beklagten, die Klägerin habe bereits am 26.9.2018 Kenntnis von dem Widerspruch erlangt, als zutreffend erweisen, wäre die Aufklärungspflicht der Beklagten damit entfallen. Es käme dann auf die - von der Klägerin vorzutragenden - Zeitpunkte der Beauftragung des Abschlussschreibens und der ersten Tätigkeit ihres Rechtsanwalts an.
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