20.06.2018

Wie weit geht die Verschwiegenheitspflicht einer Finanzaufsichtsbehörde?

Nicht alle in der Akte einer Finanzaufsichtsbehörde (hier: BaFin) enthaltenen Informationen sind zwangsläufig vertraulich. Informationen, bei denen es sich möglicherweise um Geschäftsgeheimnisse gehandelt hat, verlieren im Allgemeinen ihren vertraulichen Charakter, wenn sie mindestens fünf Jahre alt sind.

EuGH 19.6.2018, C-15/16
Der Sachverhalt:
Der Kläger zählt zum Kreis der durch betrügerische Machenschaften der deutschen Gesellschaft Phoenix Kapitaldienst geschädigten Anleger. Über das Vermögen des Unternehmens wurde im Jahr 2005 das Insolvenzverfahren eröffnet, nachdem sich herausgestellt hatte, dass das Finanzierungsmodell auf einem Schneeballsystem beruhte. Zugleich wurde die Gesellschaft aufgelöst und wird seitdem gerichtlich abgewickelt.

Der Kläger verlangte bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Zugang zu bestimmten Phoenix betreffenden Unterlagen, u. a. dem Gutachten einer Sonderprüfung, Wirtschaftsprüferberichten, internen Stellungnahmen sowie Berichten und Korrespondenz, die die BaFin im Rahmen ihrer Phoenix betreffenden Aufsichtstätigkeit erhalten oder verfasst hatte. Die BaFin verweigerte ihm den Zugang zu diesen Dokumenten. VG und VGH gaben der Klage teilweise statt. Das Berufungsgericht war Ansicht, dass der Kläger nach § 1 Abs. 1 IFG Anspruch auf Zugang zu den angeforderten Unterlagen habe. Sein Zugangsantrag könne nicht generell nach § 3 Nr. 4 IFG i.V.m. § 9 Abs. 1 KWG abgelehnt werden. Der Zugang dürfe nur in Bezug auf die im konkreten Einzelfall zu ermittelnden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie personenbezogene Daten Dritter versagt werden.

Auf die Revision der Beklagten hat das BVerwG das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage zur Tragweite der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (Richtlinie 2004/39/EG) angetragen. Diese verpflichtet die zuständigen Behörden zur Wahrung des Berufsgeheimnisses und berechtigt sie nur in den in der Richtlinie abschließend aufgezählten Fällen zur Weitergabe der vertraulichen Informationen, die sie erhalten haben. Der EuGH hat u.a. festgestellt, dass es Sache des BVerwG ist, zu prüfen, ob bei den der BaFin vorliegenden Informationen, deren Weitergabe der Kläger beantragt hatte, die Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses eingreift, die diese Behörde nach der Richtlinie trifft.

Gründe:
Nicht alle Informationen, die das überwachte Unternehmen betreffen und von ihm an die zuständige Behörde übermittelt wurden, und auch nicht alle in der Überwachungsakte enthaltenen Äußerungen dieser Behörde (einschließlich ihrer Korrespondenz mit anderen Stellen) stellen ohne weitere Voraussetzungen vertrauliche Informationen dar, die von der Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses gedeckt sind.

Als vertraulich einzustufen sind etwa Informationen, die nicht öffentlich zugänglich sind und bei deren Weitergabe die Gefahr einer Beeinträchtigung der Interessen der Person, die sie geliefert hat, oder der Interessen Dritter oder des ordnungsgemäßen Funktionierens des durch die Richtlinie geschaffenen Systems zur Überwachung der Tätigkeit von Wertpapierfirmen bestünde. Allerdings verlieren Informationen, die möglicherweise Geschäftsgeheimnisse waren, aber mindestens fünf Jahre alt sind, im Allgemeinen ihren vertraulichen Charakter.

Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn die Partei, die sich auf die Vertraulichkeit beruft, nachweist, dass die Informationen trotz ihres Alters immer noch wesentliche Bestandteile ihrer eigenen wirtschaftlichen Stellung oder der von betroffenen Dritten sind. Diese Erwägungen gelten jedoch nicht für Informationen, deren Vertraulichkeit aus anderen Gründen als ihrer Bedeutung für die wirtschaftliche Stellung der fraglichen Unternehmen gerechtfertigt sein könnte, etwa Informationen über aufsichtsrechtliche Überwachungsmethoden und -strategien.

Unter das allgemeine Verbot der Weitergabe vertraulicher Informationen in der Richtlinie fallen auch Informationen, die bei der Prüfung des Zugangsantrags als "vertraulich" einzustufen sind, unabhängig davon, wie sie zum Zeitpunkt ihrer Übermittlung an die zuständigen Behörden einzustufen waren. Es steht aber letztlich den Mitgliedstaaten frei, den Schutz vor der Weitergabe auf den gesamten Inhalt der Überwachungsakten der zuständigen Behörden zu erstrecken oder umgekehrt den Zugang zu Informationen zu gestatten, die den zuständigen Behörden vorliegen und keine vertraulichen Informationen i.S.d. der Richtlinie sind. Diese soll die zuständigen Behörden nämlich nur dazu verpflichten, die Weitergabe vertraulicher Informationen grundsätzlich zu verweigern.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext (englisch) der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH Pressemitteilung v. 19.6.2018
Zurück