YouTube haftet nicht unmittelbar für rechtswidrige Uploads
EuGH, C-682/18 u.a.: Schlussanträge des Generalanwalts vom 16.7.2020
Hintergrund:
Die Richtlinie 2019/790 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt führt für Betreiber von Online-Plattformen wie YouTube eine neue spezifische Haftungsregelung für Werke ein, die von den Nutzern dieser Plattformen rechtswidrig online gestellt werden. Diese Richtlinie, die von jedem Mitgliedstaat spätestens bis zum 7.6.2021 in innerstaatliches Recht umzusetzen ist, verpflichtet die Betreiber u.a. dazu, für die von den Nutzern ihrer Plattform online gestellten Werke die Zustimmung von deren Rechtsinhabern einzuholen, z.B. indem sie eine Lizenzvereinbarung abschließen. In den vorliegenden Rechtssachen ist diese Richtlinie noch nicht anwendbar. Der EuGH wird somit um die Klarstellung der Haftung der Betreiber nach den derzeit geltenden Regelungen ersucht, die sich aus der Richtlinie 2000/31 über den elektronischen Geschäftsverkehr, der Richtlinie 2001/29 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft sowie der Richtlinie 2004/48 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums ergeben.
Der Sachverhalt:
+++ C-682/18 +++
In diesem Rechtsstreit geht Frank Peterson, ein Musikproduzent, gegen YouTube und deren Muttergesellschaft Google wegen des Hochladens mehrerer Tonträger auf Youtube im Jahr 2008, an denen er verschiedene Rechte haben soll, vor deutschen Gerichten vor. Dieses Hochladen erfolgte ohne seine Erlaubnis durch Nutzer der Plattform. Es geht um Titel aus dem Album "A Winter Symphony" der Künstlerin Sarah Brightman und um private Tonmitschnitte, die bei Konzerten ihrer Tournee "Symphony Tour" angefertigt wurden.
+++ C-683/18 +++
In diesem Rechtsstreit geht die Verlagsgruppe Elsevier gegen Cyando wegen der im Jahr 2013 erfolgten Einstellung verschiedener Werke, an denen Elsevier die ausschließlichen Rechte hält, auf der Sharehosting-Plattform Uploaded vor deutschen Gerichten vor. Diese Einstellung erfolgte ohne ihre Erlaubnis durch Nutzer der Plattform. Es geht um die Werke "Gray"s Anatomy for Students", "Atlas of Human Anatomy" und "Campbell-Walsh Urology", die über die Linksammlungen rehabgate.com, avaxhome.ws und bookarchive.ws auf Uploaded frei eingesehen werden konnten.
Der aktuell mit den Rechtsstreitigkeiten befasste BGH hat die Verfahren ausgesetzt und dem EUGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Die Gründe:
In seinen Schlussanträgen schlägt Generalanwalt Saugmandsgaard Øe dem EuGH vor, zu entscheiden, dass Betreiber wie YouTube und Cyando nicht unmittelbar für einen Verstoß gegen das Urhebern nach der Richtlinie 2001/29 zustehende ausschließliche Recht, ihre Werke öffentlich zugänglich zu machen, haften, wenn die Nutzer ihrer Plattformen geschützte Werke rechtswidrig hochladen.
Betreiber wie YouTube und Cyando nehmen in solchen Fällen grundsätzlich selbst keine "öffentliche Wiedergabe" vor. Die Rolle der Betreiber ist grundsätzlich die eines Vermittlers, der Einrichtungen bereitstellt, die den Nutzern die "öffentliche Wiedergabe" ermöglicht. Die Primärhaftung, die sich aus dieser "Wiedergabe" ergeben kann, trifft somit in der Regel allein diese Nutzer. Der Vorgang des Einstellens einer Datei auf einer Plattform wie YouTube oder Uploaded erfolgt, sobald er vom Nutzer eingeleitet ist, automatisch, ohne dass der Betreiber dieser Plattform die veröffentlichten Inhalte auswählt oder sie auf andere Weise bestimmt. Die etwaige vorherige Kontrolle, die dieser Betreiber ggf. automatisiert vornimmt, stellt keine Auswahl dar, solange sie sich auf die Aufdeckung rechtswidriger Inhalte beschränkt und nicht den Willen des Betreibers widerspiegelt, bestimmte Inhalte öffentlich wiederzugeben (und andere nicht). Ferner soll die Richtlinie 2001/29 nicht die Sekundärhaftung regeln, d.h. die Haftung von Personen, die die Verwirklichung rechtswidriger Handlungen der "öffentlichen Wiedergabe" durch Dritte erleichterten. Diese Haftung, die im Allgemeinen die Kenntnis der Rechtswidrigkeit voraussetzt, fällt unter das nationale Recht der Mitgliedstaaten.
Zudem können Betreiber von Plattformen wie YouTube und Cyando grundsätzlich für die Dateien, die sie im Auftrag ihrer Nutzer speichern, in den Genuss der in der Richtlinie 2000/31 vorgesehenen Haftungsbefreiung kommen, sofern sie keine aktive Rolle gespielt haben, die ihnen eine Kenntnis oder Kontrolle der in Rede stehenden Informationen verschaffen konnte - dies ist in der Regel jedoch nicht der Fall. Die fragliche Befreiung sieht vor, dass der Anbieter eines Dienstes der Informationsgesellschaft, der in der Speicherung von durch einen Nutzer des Dienstes eingegebenen Informationen besteht, nicht für die hierbei gespeicherten Informationen verantwortlich gemacht werden kann, es sei denn, dass er, nachdem er Kenntnis von der Rechtswidrigkeit dieser Informationen oder Tätigkeiten erlangt hat oder sich dieser Rechtswidrigkeit bewusst geworden ist, diese Informationen nicht unverzüglich entfernt oder unzugänglich gemacht hat.
Diese Befreiung gilt horizontal für jede Form der Haftung, die sich für die betreffenden Anbieter aus jeder Art von Informationen, die im Auftrag der Nutzer ihrer Dienste gespeichert sind, ergeben kann, unabhängig davon, worauf diese Haftung beruht, welches Rechtsgebiet betroffen ist und welcher Art oder Rechtsnatur die Haftung ist. Die Befreiung erfasst somit sowohl die primäre als auch die sekundäre Haftung für die von diesen Nutzern bereitgestellten Informationen und die von ihnen initiierten Tätigkeiten. Die Fälle, in denen die fragliche Befreiung ausgeschlossen ist, nämlich wenn ein Diensteanbieter tatsächliche Kenntnis von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information hat oder sich der Tatsachen oder Umstände bewusst ist, aus denen die rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird, beziehen sich grundsätzlich auf konkrete rechtswidrige Informationen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sich die Plattformbetreiber zu Schiedsrichtern über die Rechtmäßigkeit von Online-Inhalten aufschwingen und eine übervorsorgliche Entfernung der Inhalte vornehmen, die sie im Auftrag der Nutzer ihrer Plattformen speichern, indem sie rechtmäßige Inhalte gleichermaßen löschen.
Herr Saugmandsgaard Øe schlägt außerdem vor, zu entscheiden, dass unabhängig von der Haftungsfrage die Rechtsinhaber gegen diese Betreiber von Online-Plattformen nach dem Unionsrecht gerichtliche Anordnungen erwirken können, durch die diesen Verpflichtungen aufgegeben werden können. Die Rechtsinhaber müssen nämlich die Möglichkeit haben, eine solche Anordnung zu beantragen, wenn feststeht, dass Dritte über den Dienst des Plattformbetreibers ihre Rechte verletzen, ohne einen Wiederholungsfall abwarten und ein Fehlverhalten des Vermittlers beweisen zu müssen.
EuGH PM Nr. 96 vom 16.7.2020
Die Richtlinie 2019/790 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt führt für Betreiber von Online-Plattformen wie YouTube eine neue spezifische Haftungsregelung für Werke ein, die von den Nutzern dieser Plattformen rechtswidrig online gestellt werden. Diese Richtlinie, die von jedem Mitgliedstaat spätestens bis zum 7.6.2021 in innerstaatliches Recht umzusetzen ist, verpflichtet die Betreiber u.a. dazu, für die von den Nutzern ihrer Plattform online gestellten Werke die Zustimmung von deren Rechtsinhabern einzuholen, z.B. indem sie eine Lizenzvereinbarung abschließen. In den vorliegenden Rechtssachen ist diese Richtlinie noch nicht anwendbar. Der EuGH wird somit um die Klarstellung der Haftung der Betreiber nach den derzeit geltenden Regelungen ersucht, die sich aus der Richtlinie 2000/31 über den elektronischen Geschäftsverkehr, der Richtlinie 2001/29 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft sowie der Richtlinie 2004/48 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums ergeben.
Der Sachverhalt:
+++ C-682/18 +++
In diesem Rechtsstreit geht Frank Peterson, ein Musikproduzent, gegen YouTube und deren Muttergesellschaft Google wegen des Hochladens mehrerer Tonträger auf Youtube im Jahr 2008, an denen er verschiedene Rechte haben soll, vor deutschen Gerichten vor. Dieses Hochladen erfolgte ohne seine Erlaubnis durch Nutzer der Plattform. Es geht um Titel aus dem Album "A Winter Symphony" der Künstlerin Sarah Brightman und um private Tonmitschnitte, die bei Konzerten ihrer Tournee "Symphony Tour" angefertigt wurden.
+++ C-683/18 +++
In diesem Rechtsstreit geht die Verlagsgruppe Elsevier gegen Cyando wegen der im Jahr 2013 erfolgten Einstellung verschiedener Werke, an denen Elsevier die ausschließlichen Rechte hält, auf der Sharehosting-Plattform Uploaded vor deutschen Gerichten vor. Diese Einstellung erfolgte ohne ihre Erlaubnis durch Nutzer der Plattform. Es geht um die Werke "Gray"s Anatomy for Students", "Atlas of Human Anatomy" und "Campbell-Walsh Urology", die über die Linksammlungen rehabgate.com, avaxhome.ws und bookarchive.ws auf Uploaded frei eingesehen werden konnten.
Der aktuell mit den Rechtsstreitigkeiten befasste BGH hat die Verfahren ausgesetzt und dem EUGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Die Gründe:
In seinen Schlussanträgen schlägt Generalanwalt Saugmandsgaard Øe dem EuGH vor, zu entscheiden, dass Betreiber wie YouTube und Cyando nicht unmittelbar für einen Verstoß gegen das Urhebern nach der Richtlinie 2001/29 zustehende ausschließliche Recht, ihre Werke öffentlich zugänglich zu machen, haften, wenn die Nutzer ihrer Plattformen geschützte Werke rechtswidrig hochladen.
Betreiber wie YouTube und Cyando nehmen in solchen Fällen grundsätzlich selbst keine "öffentliche Wiedergabe" vor. Die Rolle der Betreiber ist grundsätzlich die eines Vermittlers, der Einrichtungen bereitstellt, die den Nutzern die "öffentliche Wiedergabe" ermöglicht. Die Primärhaftung, die sich aus dieser "Wiedergabe" ergeben kann, trifft somit in der Regel allein diese Nutzer. Der Vorgang des Einstellens einer Datei auf einer Plattform wie YouTube oder Uploaded erfolgt, sobald er vom Nutzer eingeleitet ist, automatisch, ohne dass der Betreiber dieser Plattform die veröffentlichten Inhalte auswählt oder sie auf andere Weise bestimmt. Die etwaige vorherige Kontrolle, die dieser Betreiber ggf. automatisiert vornimmt, stellt keine Auswahl dar, solange sie sich auf die Aufdeckung rechtswidriger Inhalte beschränkt und nicht den Willen des Betreibers widerspiegelt, bestimmte Inhalte öffentlich wiederzugeben (und andere nicht). Ferner soll die Richtlinie 2001/29 nicht die Sekundärhaftung regeln, d.h. die Haftung von Personen, die die Verwirklichung rechtswidriger Handlungen der "öffentlichen Wiedergabe" durch Dritte erleichterten. Diese Haftung, die im Allgemeinen die Kenntnis der Rechtswidrigkeit voraussetzt, fällt unter das nationale Recht der Mitgliedstaaten.
Zudem können Betreiber von Plattformen wie YouTube und Cyando grundsätzlich für die Dateien, die sie im Auftrag ihrer Nutzer speichern, in den Genuss der in der Richtlinie 2000/31 vorgesehenen Haftungsbefreiung kommen, sofern sie keine aktive Rolle gespielt haben, die ihnen eine Kenntnis oder Kontrolle der in Rede stehenden Informationen verschaffen konnte - dies ist in der Regel jedoch nicht der Fall. Die fragliche Befreiung sieht vor, dass der Anbieter eines Dienstes der Informationsgesellschaft, der in der Speicherung von durch einen Nutzer des Dienstes eingegebenen Informationen besteht, nicht für die hierbei gespeicherten Informationen verantwortlich gemacht werden kann, es sei denn, dass er, nachdem er Kenntnis von der Rechtswidrigkeit dieser Informationen oder Tätigkeiten erlangt hat oder sich dieser Rechtswidrigkeit bewusst geworden ist, diese Informationen nicht unverzüglich entfernt oder unzugänglich gemacht hat.
Diese Befreiung gilt horizontal für jede Form der Haftung, die sich für die betreffenden Anbieter aus jeder Art von Informationen, die im Auftrag der Nutzer ihrer Dienste gespeichert sind, ergeben kann, unabhängig davon, worauf diese Haftung beruht, welches Rechtsgebiet betroffen ist und welcher Art oder Rechtsnatur die Haftung ist. Die Befreiung erfasst somit sowohl die primäre als auch die sekundäre Haftung für die von diesen Nutzern bereitgestellten Informationen und die von ihnen initiierten Tätigkeiten. Die Fälle, in denen die fragliche Befreiung ausgeschlossen ist, nämlich wenn ein Diensteanbieter tatsächliche Kenntnis von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information hat oder sich der Tatsachen oder Umstände bewusst ist, aus denen die rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird, beziehen sich grundsätzlich auf konkrete rechtswidrige Informationen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sich die Plattformbetreiber zu Schiedsrichtern über die Rechtmäßigkeit von Online-Inhalten aufschwingen und eine übervorsorgliche Entfernung der Inhalte vornehmen, die sie im Auftrag der Nutzer ihrer Plattformen speichern, indem sie rechtmäßige Inhalte gleichermaßen löschen.
Herr Saugmandsgaard Øe schlägt außerdem vor, zu entscheiden, dass unabhängig von der Haftungsfrage die Rechtsinhaber gegen diese Betreiber von Online-Plattformen nach dem Unionsrecht gerichtliche Anordnungen erwirken können, durch die diesen Verpflichtungen aufgegeben werden können. Die Rechtsinhaber müssen nämlich die Möglichkeit haben, eine solche Anordnung zu beantragen, wenn feststeht, dass Dritte über den Dienst des Plattformbetreibers ihre Rechte verletzen, ohne einen Wiederholungsfall abwarten und ein Fehlverhalten des Vermittlers beweisen zu müssen.