Zahnärztliches medizinisches Versorgungszentrum: Doktortitel als Nachweis einer besonderen wissenschaftlichen Qualifikation
BGH v. 11.2.2021 - I ZR 126/19
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist ein zahnärztlicher Bezirksverband. Zu seinen satzungsgemäßen Aufgaben gehören u.a. die Vertretung der Interessen der Zahnärzte, die Wahrung des Berufs- und Werberechts, die Überwachung der Berufspflichten und die Ahndung von Verstößen. Die Beklagte ist eine GmbH mit Sitz in D Ihr alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer, Dr. A. B., ist ein in F niedergelassener promovierter Zahnarzt. Sie betreibt zahnmedizinische Versorgungszentren, u.a. eines in R unter der Bezeichnung "Dr. Z Medizinisches Versorgungszentrum R". Dort war zwischen Dezember 2016 und Februar 2017 kein promovierter Zahnarzt tätig.
Der Kläger hat zuletzt beantragt, der Beklagten zu verbieten, für das von ihr in R betriebene medizinische Versorgungszentrum u.a. die Bezeichnungen "Dr. Z Zahnmedizinisches Versorgungszentrum" zu verwenden, sofern darin kein Zahnarzt tätig ist, der einen Doktorgrad erworben hat, /oder als Trägerunternehmen eines medizinischen Versorgungszentrums in R u.a. die Firmierung "Dr. Z Medizinisches Versorgungszentrum GmbH" zu führen, sofern in dem von ihm betriebenen medizinischen Versorgungszentrum kein Zahnarzt tätig ist, der zur Führung eines Doktorgrades befugt ist.
Das LG gab der Klage statt; das OLG wies sie ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Mit der vom OLG gegebenen Begründung kann der vom Kläger geltend gemachte Unterlassungsanspruch wegen eines Verstoßes gegen das Irreführungsverbot (§ 8 Abs. 1, §§ 3, 5 Abs. 1 UWG) hinsichtlich des Klageantrags nicht verneint werden.
Das OLG hat seiner Prüfung mit Blick auf die Bedeutung des Doktortitels für die angesprochenen Verkehrskreise einen fehlerhaften Maßstab zugrunde gelegt. Nach der Rechtsprechung des BGH kann eine für die Aufnahme von Geschäftsbeziehungen oder für einen Kaufentschluss erhebliche Täuschung über die Verhältnisse des Unternehmens vorliegen, wenn nicht unerhebliche Teile des angesprochenen Verkehrs einem in der Firma enthaltenen Doktortitel entnehmen, dass ein promovierter Akademiker Geschäftsinhaber oder ein die Gesellschaftsbelange maßgeblich mitbestimmender Gesellschafter sei oder gewesen sei, und daraus herleiten, dass besondere wissenschaftliche Kenntnisse und Fähigkeiten des Genannten auf dem Fachgebiet des in Frage stehenden Geschäftsbetriebs die Güte der angebotenen Waren mitbestimmten. Der akademische Titel beweist unabhängig von Fakultätszusätzen und sich daraus ergebenden Spezialkenntnissen eine abgeschlossene Hochschulausbildung. Seinem Träger wird in der breiten Öffentlichkeit - gleich ob zu Recht oder zu Unrecht - besonderes Vertrauen in seine intellektuellen Fähigkeiten, seinen guten Ruf und seine Zuverlässigkeit entgegengebracht.
Mit Erfolg macht die Revision zudem geltend, das OLG habe in seinem rechtlichen Maßstab nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Doktortitel im Verkehr als Nachweis einer besonderen wissenschaftlichen Qualifikation angesehen wird, die über den Hochschulabschluss hinausgeht. Ein solches - auch in einer Entscheidung des BGH anklingendes - Verständnis des Doktortitels entspricht einer in der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur weit verbreiteten Ansicht. Begründet wird diese Sichtweise auch damit, dass der deutsche Doktorgrad der dritten Ebene der Bologna-Klassifikation zugeordnet ist, während ein Hochschulabschluss zur ersten oder zweiten Ebene gehört.
Dem ist zuzustimmen. Der Doktortitel belegt nach der Lebenserfahrung - auch aus Sicht der breiten Öffentlichkeit - in besonderem Maße die Fähigkeit des Inhabers zu eigenständigem wissenschaftlichem Arbeiten. Auch wenn das Thema der Dissertation aus dem Doktortitel selbst nicht ersichtlich wird, kann die Öffentlichkeit davon ausgehen, dass die den Doktortitel führende Person sich mit einer umgrenzten Fragestellung aus dem Fachgebiet eingehend wissenschaftlich befasst hat und die Tiefe der hierbei erlangten Kenntnisse über das im Rahmen eines Hochschulstudiums zu erwartende Maß hinausgehen. Wurde die Promotion auf einem anderen Fachgebiet als dem der beruflichen Betätigung erworben, muss zur Vermeidung einer Irreführung im Verkehr regelmäßig zusätzlich die Fakultät angegeben werden. Die über den Hochschulabschluss hinausgehende Bedeutung des Doktortitels hat das OLG nicht hinreichend berücksichtigt.
Im Ergebnis zutreffend hat das OLG darauf abgestellt, dass für die Bezeichnung eines zahnärztlichen medizinischen Versorgungszentrums im Grundsatz dieselben Maßstäbe wie für die Firma der Trägergesellschaft gelten. Die Erwartung des Verkehrs bei Verwendung eines Doktortitels zur Bezeichnung eines solchen Versorgungszentrums bezieht sich allerdings nicht auf die maßgebliche (kaufmännische) Mitbestimmung durch einen promovierten Gesellschafter im Trägerunternehmen, sondern auf die (medizinische) Leitung des Versorgungszentrums durch einen promovierten Zahnarzt. Die von einem Doktortitel ausgehenden Erwartungen der Verbraucher erstrecken sich also auf die medizinische Leitung des Versorgungszentrums vor Ort. Diese Funktion kommt dem sog. ärztlichen Leiter zu, der gem. § 95 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 SGB V in medizinischen Fragen weisungsfrei gestellt ist und somit die wesentliche Verantwortung für die Qualität der Patientenversorgung trägt. Wird für ein zahnärztliches medizinisches Versorgungszentrum eine Bezeichnung verwendet, die der Verkehr als Kürzel für eine promovierte ärztliche Leitung verstehen kann, bedarf es daher eines klarstellenden Hinweises, dass die ärztliche Leitung nicht über einen Doktortitel verfügt, soweit sich dies nicht mit hinreichender Klarheit aus anderen Umständen ergibt.
BGH online
Der Kläger ist ein zahnärztlicher Bezirksverband. Zu seinen satzungsgemäßen Aufgaben gehören u.a. die Vertretung der Interessen der Zahnärzte, die Wahrung des Berufs- und Werberechts, die Überwachung der Berufspflichten und die Ahndung von Verstößen. Die Beklagte ist eine GmbH mit Sitz in D Ihr alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer, Dr. A. B., ist ein in F niedergelassener promovierter Zahnarzt. Sie betreibt zahnmedizinische Versorgungszentren, u.a. eines in R unter der Bezeichnung "Dr. Z Medizinisches Versorgungszentrum R". Dort war zwischen Dezember 2016 und Februar 2017 kein promovierter Zahnarzt tätig.
Der Kläger hat zuletzt beantragt, der Beklagten zu verbieten, für das von ihr in R betriebene medizinische Versorgungszentrum u.a. die Bezeichnungen "Dr. Z Zahnmedizinisches Versorgungszentrum" zu verwenden, sofern darin kein Zahnarzt tätig ist, der einen Doktorgrad erworben hat, /oder als Trägerunternehmen eines medizinischen Versorgungszentrums in R u.a. die Firmierung "Dr. Z Medizinisches Versorgungszentrum GmbH" zu führen, sofern in dem von ihm betriebenen medizinischen Versorgungszentrum kein Zahnarzt tätig ist, der zur Führung eines Doktorgrades befugt ist.
Das LG gab der Klage statt; das OLG wies sie ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Mit der vom OLG gegebenen Begründung kann der vom Kläger geltend gemachte Unterlassungsanspruch wegen eines Verstoßes gegen das Irreführungsverbot (§ 8 Abs. 1, §§ 3, 5 Abs. 1 UWG) hinsichtlich des Klageantrags nicht verneint werden.
Das OLG hat seiner Prüfung mit Blick auf die Bedeutung des Doktortitels für die angesprochenen Verkehrskreise einen fehlerhaften Maßstab zugrunde gelegt. Nach der Rechtsprechung des BGH kann eine für die Aufnahme von Geschäftsbeziehungen oder für einen Kaufentschluss erhebliche Täuschung über die Verhältnisse des Unternehmens vorliegen, wenn nicht unerhebliche Teile des angesprochenen Verkehrs einem in der Firma enthaltenen Doktortitel entnehmen, dass ein promovierter Akademiker Geschäftsinhaber oder ein die Gesellschaftsbelange maßgeblich mitbestimmender Gesellschafter sei oder gewesen sei, und daraus herleiten, dass besondere wissenschaftliche Kenntnisse und Fähigkeiten des Genannten auf dem Fachgebiet des in Frage stehenden Geschäftsbetriebs die Güte der angebotenen Waren mitbestimmten. Der akademische Titel beweist unabhängig von Fakultätszusätzen und sich daraus ergebenden Spezialkenntnissen eine abgeschlossene Hochschulausbildung. Seinem Träger wird in der breiten Öffentlichkeit - gleich ob zu Recht oder zu Unrecht - besonderes Vertrauen in seine intellektuellen Fähigkeiten, seinen guten Ruf und seine Zuverlässigkeit entgegengebracht.
Mit Erfolg macht die Revision zudem geltend, das OLG habe in seinem rechtlichen Maßstab nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Doktortitel im Verkehr als Nachweis einer besonderen wissenschaftlichen Qualifikation angesehen wird, die über den Hochschulabschluss hinausgeht. Ein solches - auch in einer Entscheidung des BGH anklingendes - Verständnis des Doktortitels entspricht einer in der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur weit verbreiteten Ansicht. Begründet wird diese Sichtweise auch damit, dass der deutsche Doktorgrad der dritten Ebene der Bologna-Klassifikation zugeordnet ist, während ein Hochschulabschluss zur ersten oder zweiten Ebene gehört.
Dem ist zuzustimmen. Der Doktortitel belegt nach der Lebenserfahrung - auch aus Sicht der breiten Öffentlichkeit - in besonderem Maße die Fähigkeit des Inhabers zu eigenständigem wissenschaftlichem Arbeiten. Auch wenn das Thema der Dissertation aus dem Doktortitel selbst nicht ersichtlich wird, kann die Öffentlichkeit davon ausgehen, dass die den Doktortitel führende Person sich mit einer umgrenzten Fragestellung aus dem Fachgebiet eingehend wissenschaftlich befasst hat und die Tiefe der hierbei erlangten Kenntnisse über das im Rahmen eines Hochschulstudiums zu erwartende Maß hinausgehen. Wurde die Promotion auf einem anderen Fachgebiet als dem der beruflichen Betätigung erworben, muss zur Vermeidung einer Irreführung im Verkehr regelmäßig zusätzlich die Fakultät angegeben werden. Die über den Hochschulabschluss hinausgehende Bedeutung des Doktortitels hat das OLG nicht hinreichend berücksichtigt.
Im Ergebnis zutreffend hat das OLG darauf abgestellt, dass für die Bezeichnung eines zahnärztlichen medizinischen Versorgungszentrums im Grundsatz dieselben Maßstäbe wie für die Firma der Trägergesellschaft gelten. Die Erwartung des Verkehrs bei Verwendung eines Doktortitels zur Bezeichnung eines solchen Versorgungszentrums bezieht sich allerdings nicht auf die maßgebliche (kaufmännische) Mitbestimmung durch einen promovierten Gesellschafter im Trägerunternehmen, sondern auf die (medizinische) Leitung des Versorgungszentrums durch einen promovierten Zahnarzt. Die von einem Doktortitel ausgehenden Erwartungen der Verbraucher erstrecken sich also auf die medizinische Leitung des Versorgungszentrums vor Ort. Diese Funktion kommt dem sog. ärztlichen Leiter zu, der gem. § 95 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 SGB V in medizinischen Fragen weisungsfrei gestellt ist und somit die wesentliche Verantwortung für die Qualität der Patientenversorgung trägt. Wird für ein zahnärztliches medizinisches Versorgungszentrum eine Bezeichnung verwendet, die der Verkehr als Kürzel für eine promovierte ärztliche Leitung verstehen kann, bedarf es daher eines klarstellenden Hinweises, dass die ärztliche Leitung nicht über einen Doktortitel verfügt, soweit sich dies nicht mit hinreichender Klarheit aus anderen Umständen ergibt.