ZDF: Kein Zwang zur Veröffentlichung vorformulierter Erklärung wegen falscher Formulierung hinsichtlich der Befreiung von Konzentrationslagern in Polen
BGH 19.7.2018, IX ZB 10/18Die Antragsgegnerin, das ZDF, kündigte im Jahr 2013 eine Dokumentation über die Befreiung der Konzentrationslager Ohrdruf, Buchenwald und Dachau an, in der die Lager Majdanek und Auschwitz als "polnische Vernichtungslager" bezeichnet waren. Aufgrund einer Beanstandung dieser Formulierung durch die Botschaft der Republik Polen in Berlin änderte die Antragsgegnerin den Text seinerzeit in "deutsche Vernichtungslager auf polnischem Gebiet".
Der Antragsteller, ein polnischer Staatsangehöriger und ehemaliger Häftling der Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und Flossenbürg, beanstandete damals gegenüber dem ZDF ebenfalls die ursprüngliche Formulierung, machte die Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte geltend und verlangte u.a. die Veröffentlichung einer Entschuldigung. Das ZDF entschuldigte sich daraufhin 2013 in zwei Schreiben an den Antragsteller und drückte sein Bedauern aus; im Frühjahr 2016 veröffentlichte es zudem eine Korrekturnachricht, mit der es sein Bedauern über die "unachtsame, falsche und irrtümliche Formulierung" ausdrückte und alle Menschen, die sich hierdurch in ihren Gefühlen verletzt sähen, um Entschuldigung bat.
Der Antragsteller erwirkte aufgrund einer von ihm 2014 in Polen erhobenen Klage Ende 2016 in zweiter Instanz ein Urteil des Appellationsgerichts Krakau, das die Antragsgegnerin verpflichtet, für die Dauer eines Monats auf der Startseite ihres Internetauftritts eine Entschuldigung zu veröffentlichen, in der sie bedauert, dass in der streitgegenständlichen Veröffentlichung aus dem Jahre 2013 "eine inkorrekte und die Geschichte des polnischen Volkes verfälschende Formulierung" enthalten ist. Die Antragsgegnerin veröffentlichte den durch das Urteil vorgegebenen Text von Dezember 2016 bis Januar 2017 auf ihrer Internetseite. Der Antragsteller, der diese Veröffentlichung für unzulänglich hält, will das Urteil des Appellationsgerichts in Deutschland vollstrecken lassen.
Das LG erklärte das Urteil für vollstreckbar; die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin blieb vor dem OLG ohne Erfolg. Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin hob der BGH die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und wies den Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel ab.
Die Gründe:
Nach den maßgeblichen europarechtlichen Vorschriften wird eine ausländische Gerichtsentscheidung dann nicht für vollstreckbar erklärt, wenn ihre Vollstreckung der öffentlichen Ordnung ("ordre public") des Mitgliedsstaats, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde. Die ausländische Entscheidung darf hierbei nicht inhaltlich überprüft werden; es kommt allein darauf an, ob das in ihr niedergelegte Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts im konkreten Fall in einem nicht tragbaren Widerspruch zu den wesentlichen Grundgedanken der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats und den darin enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen steht. Das ist vorliegend der Fall, weil die Ausübung staatlichen Zwangs zur Veröffentlichung der im Urteil des Appellationsgerichts Krakau vorformulierten Erklärung offenkundig gegen das Recht der Antragsgegnerin auf freie Meinungsäußerung und gegen die Medienfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) verstoßen würde.
In diesem Zusammenhang ist zunächst klarzustellen, dass eine Aussage des Inhalts, die Lager Majdanek und Auschwitz seien von Polen betrieben worden, eine nicht durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützte unrichtige Tatsachenbehauptung darstellt. Grundlage der rechtlichen Prüfung im Verfahren der begehrten Vollstreckbarerklärung ist aber nicht die ursprüngliche Äußerung, die Gegenstand des Rechtsstreits in Polen war, sondern die Erklärung, zu deren Abgabe die Antragsgegnerin durch die ausländische Entscheidung verurteilt worden ist. Diese stellt ihrem Inhalt nach eine Meinungsäußerung dar. Die zu vollstreckende Erklärung - die die Antragsgegnerin nach dem Urteil des Appellationsgerichts Krakau als ihre eigene Äußerung abgeben muss - besagt, dass sie eine inkorrekte und die Geschichte des polnischen Volkes verfälschende Formulierung bedauert und sich beim Kläger für die Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte, insbesondere seiner Nationalidentität (Gefühl der Zugehörigkeit an das polnische Volk) und seiner Nationalwürde, entschuldigt.
Die Antragsgegnerin kann jedoch nach deutschem (Verfassungs-)Recht nicht dazu gezwungen werden, die darin liegende Bewertung der vom Antragsteller beanstandeten Formulierung im damaligen Zusammenhang als eigene Meinung zu veröffentlichen. Der Eingriff in das Grundrecht der Antragsgegnerin aus Art. 5 Abs. 1 GG, der hierdurch bewirkt würde, verstößt zudem gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Antragsgegnerin hat die beanstandete Formulierung "polnische Konzentrationslager", die vier Tage lang abrufbar war, noch am Tag der Beanstandung durch die Botschaft der Republik Polen berichtigt. Noch vor dem Urteil des Appellationsgerichts hat sie in zwei Briefen den Antragsteller persönlich um Entschuldigung gebeten und außerdem eine erläuternde Korrekturnachricht mit einer an alle Betroffenen gerichteten Bitte um Entschuldigung veröffentlicht.
Linkhinweis:
- Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
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