Zentralverhandlungsmandat des Presse-Grosso verstößt nicht gegen Kartellrecht
BGH 6.10.2015, KZR 17/14Die Klägerin ist die Vertriebsgesellschaft der Bauer Media Group, einem der größten deutschen Verlagshäuser. Der Beklagte ist ein Branchenverband, dem alle verlagsunabhängigen Presse-Grossisten angehören.
In Deutschland werden nahezu alle Zeitungen und Zeitschriften, die über den stationären Einzelhandel mit Ausnahme der Bahnhofsbuchhandlungen verkauft werden, im Großhandel von verlagsunabhängigen Grossisten oder Grossisten mit unterschiedlicher Verlagsbeteiligung vertrieben. Grundsätzlich versorgt jeweils nur ein Grossist ein bestimmtes Gebiet mit den Publikationen sämtlicher Verlage. Lediglich in vier Gebieten besteht ein sog. Doppelgrosso. Die Grossisten kaufen die Zeitungen und Zeitschriften von den Verlagen und verkaufen sie zu gebundenen Preisen an die Einzelhändler in ihrem Gebiet. Die Vergütung der Grossisten richtet sich nach den Handelsspannen, die zwischen ihnen und den Verlagen jeweils für mehrere Jahre vereinbart werden.
Für die verlagsunabhängigen und regelmäßig auch für die verlagsverbundenen Grossisten werden diese Verhandlungen zentral vom Beklagten geführt. Infolgedessen galten bisher zwischen den Verlagen und den Grossisten einheitliche Preise und Konditionen. Die Klägerin möchte nunmehr die Vertragskonditionen individuell mit den einzelnen Grossisten aushandeln, wozu diese jedoch nicht bereit sind. Die Klägerin will dem Beklagten deshalb verbieten lassen, für Presse-Grossisten in Deutschland einheitliche Grosso-Konditionen mit den Verlagen zu verhandeln, zu vereinbaren oder Presse-Grossisten aufzufordern, individuelle Verhandlungen mit der Klägerin über Grosso-Konditionen zu verweigern.
LG und OLG sehen das das zentrale Verhandlungsmandat als unzulässige Kartellabsprache an und gaben der Klage, gestützt auf das unionsrechtliche Kartellverbot (Art. 101 Abs. 1 AEUV), statt. Auf die Revision des Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Klage ab.
Die Gründe:
Ansprüche der Klägerin scheiden schon deshalb aus, weil Art. 101 Abs. 1 AEUV auf das zentrale Verhandlungsmandat des Beklagten nach Art. 106 Abs. 2 AEUV i.V.m. § 30 Abs. 2a GWB nicht anwendbar ist.
Die Anwendung des EU-Kartellrechts ist gem. Art. 106 Abs. 2 AEUV ausgeschlossen, wenn Unternehmen mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind und die Anwendung der Wettbewerbsregeln die Erfüllung dieser besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindern würde. Die dem Beklagten angehörenden Presse-Grossisten werden durch § 30 Abs. 2a GWB mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, nämlich dem flächendeckenden und diskriminierungsfreien Vertrieb von Zeitungen und Zeitschriften betraut. Dass die Grossisten lediglich betraut werden, "soweit" sie eine der in § 30 Abs. 2a GWB genannten Branchenvereinbarungen abschließen, steht der Wirksamkeit des Betrauungsaktes nicht entgegen. Damit wird keine Bedingung formuliert, deren Eintritt ungewiss ist. Vielmehr ist der Gesetzgeber bewusst von den bestehenden Marktverhältnissen ausgegangen, die durch die seit Jahrzehnten bestehenden Branchenvereinbarungen geprägt sind. Diese gewährleisten einen flächendeckenden und diskriminierungsfreien Pressevertrieb.
Die Anwendung der Wettbewerbsregeln der EU auf das zentrale Verhandlungsmandat des Beklagten würde die Erfüllung der den Presse-Grossisten übertragenen Aufgaben i.S.v. Art. 106 Abs. 2 AEUV verhindern. Dafür reicht es laut EuGH-Rechtsprechung aus, wenn die Geltung der Wettbewerbsvorschriften die Erfüllung dieser Aufgaben gefährdet. Für diese Einschätzung ist eine komplexe Prognose dazu erforderlich, wie sich die Marktverhältnisse bei Anwendung der Wettbewerbsregeln entwickeln würden. Gibt es - wie im Streitfall - keine Gemeinschaftsregelung und bestehen große Prognoseunsicherheiten, steht dem nationalen Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum zu. Entsprechend ist der gerichtliche Prüfungsumfang beschränkt.
Demzufolge ist die Einschätzung des Gesetzgebers, der flächendeckende und diskriminierungsfreie Vertrieb von Zeitungen und Zeitschriften werde bei Anwendung der Wettbewerbsregeln auf das zentrale Verhandlungsmandat gefährdet, unionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das zentrale Verhandlungsmandat ist erwiesenermaßen geeignet, einen flächendeckenden und diskriminierungsfreien Pressevertrieb zu gewährleisten. Die Einschätzung des Gesetzgebers, dass es auch in Zukunft erforderlich ist, um diese Ziele zu sichern, ist plausibel. Es erscheint nicht fernliegend, dass bei einem Wegfall des zentralen Verhandlungsmandats große Verlage aufgrund ihrer Marktstärke sowie großer Auflagen bessere Preise und Konditionen durchsetzen können, wodurch die die Vertriebskosten für kleinere Verlage steigen würden.
Es erscheint außerdem nachvollziehbar, dass nach einem Aufbrechen der Gebietsmonopole durch individuelle Verhandlungen insgesamt höhere Vertriebskosten für den Pressevertrieb anfallen würden. In der Folge könnten sich für kleinere Verlage und unrentable Verkaufspunkte, vor allem in ländlichen Gebieten, schlechtere Vertriebskonditionen ergeben, so dass der Vertrieb von Nischenprodukten oder die Belieferung unrentabler Verkaufspunkte längerfristig gefährdet wird. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Bedeutung einer pluralistischen und möglichst umfassend vertriebenen Presse ist die der Ausnahmevorschrift des § 30 Abs. 2a GWB zugrunde liegende Beurteilung des Gesetzgebers insoweit nicht zu beanstanden.
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