Zu den Pflichten des Tatrichters bei der Ermittlung ausländischen Rechts
BGH 14.1.2014, II ZR 192/13Der Beklagte war von Juni bis August 2008 Geschäftsführer der R-GmbH. In diesem Zeitraum führte er Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung i.H.v. rund 789 € nicht an die Klägerin ab. Mit ihrer am 2.9.2010 zugestellten Klage verlangte die Klägerin vom Beklagten Zahlung der 789 € und die Feststellung, dass die Forderung auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruhe.
Über das Vermögen des Beklagten war allerdings am 22.2.2010 in England das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Die Klägerin meldete ihre Forderung sodann als sog. "claim in tort" an. Am 22.2.2011 erlangte der Beklagte eine Restschuldbefreiung. Die Klägerin war der Auffassung, nach sec. 281 (3) des englischen Insolvency Act 1986 werde der von ihr geltend gemachte Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB, § 266a Abs. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB von der Restschuldbefreiung nicht erfasst.
Das AG wies die Klage als unzulässig ab. Das LG hatte zwar beim Max-Planck-Institut für ausländisches Recht die Kosten eines Gutachtens zum englischen Recht erfragt (ca. 3.500 - 4.000 €), sich dann aber darauf beschränkt, nach dem sog. Londoner Übereinkommen eine Auskunft des Foreign & Commonwealth Office, handelnd durch das Department for Business Innovation & Skills, London, einzuholen. Infolgedessen wies das Gericht die Berufung der Klägerin mit der Maßgabe zurück, dass die Zahlungsklage nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abgewiesen werde.
Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.
Gründe:
Das LG hatte bei der Feststellung des englischen Rechts die dafür einschlägige Rechtsnorm des § 293 ZPO verletzt.
Danach ist das Gericht bei der Ermittlung ausländischen Rechts befugt, aber auch verpflichtet, geeignete Erkenntnisquellen unabhängig von den Beweisantritten der Parteien zu nutzen und zu diesem Zweck das Erforderliche anzuordnen. Diesem Gebot war das Berufungsgericht aber nicht in ausreichendem Maß nachgekommen. Zwar ist ausländisches Recht auch nach der Neufassung des § 545 Abs. 1 ZPO durch das FGG-Reformgesetz nicht revisibel. Im vorliegenden Zusammenhang ging es aber nicht in erster Linie darum, ob die Auslegung von sec. 281 (3) IA 1986 durch das Berufungsgericht zutreffend war. Das Berufungsverfahren litt vielmehr an dem Mangel, dass sich das LG keine ausreichenden Informationen über das englische Recht verschafft hatte, um dieses Recht auslegen und anwenden zu können.
Nach § 293 ZPO hat der Tatrichter ausländisches Recht von Amts wegen zu ermitteln. Somit darf er sich bei der Ermittlung ausländischen Rechts nicht auf die Heranziehung der Rechtsquellen beschränken, sondern muss auch die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigen. Infolgedessen durfte sich das LG nicht mit der Auskunft des Foreign & Commonwealth Office zufriedengeben. Schließlich beantwortete diese Auskunft die gestellte Frage nicht erschöpfend, und es war nicht auszuschließen, dass eine umfassendere Auskunft aufgrund einer Nachfrage bei der englischen Behörde oder auf anderem Wege hätte herbeigeführt werden können.
Das Berufungsgericht konnte von einer ausreichenden Ermittlung des ausländischen Rechts auch nicht deshalb ausgehen, weil die Klägerin selbst angeregt hatte, ein Vorgehen nach dem Londoner Übereinkommen zu prüfen. Nicht das Vorgehen nach dem Londoner Übereinkommen war fehlerhaft, sondern allein der Umstand, dass sich das Berufungsgericht mit der erteilten Auskunft zufriedengegeben hatte. Dieser Verfahrensfehler ergab sich aber erst aus dem Urteil.
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