17.08.2023

Zu den Voraussetzungen einer Aussetzung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG

Ist die Entscheidung des Rechtsstreits nicht von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängig, muss ein Musterverfahrensantrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG als unzulässig verworfen werden. Ein Rechtsstreit, in dem der Musterverfahrensantrag als unzulässig verworfen werden müsste, kann nicht durch Aussetzung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG musterverfahrensfähig werden, denn sowohl § 3 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG als auch § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG verlangen wortgleich, dass die Entscheidung des betroffenen Rechtsstreits von den Feststellungszielen abhängt.

BGH v. 25.7.2023 - XI ZB 11/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt die Beklagten wegen der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten hinsichtlich seiner Beteiligung an einem Schiffsfonds in Anspruch. Der Kläger beteiligte sich mit Beteiligungserklärung vom 29.7.2010 mittelbar an der MS "V. " GmbH & Co. KG, einem geschlossenen Schiffsfonds, mit einer Einlage von 30.000 € zzgl. 5% Agio. Der Verkaufsprospekt war am 15.5.2009 veröffentlicht worden. Die Beklagten waren Gründungsgesellschafterinnen der Fondsgesellschaft, die Beklagte zu 2) war außerdem Treuhandkommanditistin.

Die Beklagten werden vom Kläger und in anderen Verfahren von weiteren Anlegern auf Schadensersatz wegen der Verwendung eines fehlerhaften Prospekts und damit einhergehender Verletzungen vorvertraglicher Aufklärungspflichten nach § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB in Anspruch genommen. Das LG setzte das vorliegende Verfahren im Hinblick auf den im Klageregister bekannt gemachten und mehrere Feststellungsziele zu Prospektfehlern enthaltenden Vorlagebeschluss des LG vom 6.1.2021 zum Az. 309 OH 1/20 gem. § 8 KapMuG aus. Die Beklagten legten gegen den Aussetzungsbeschluss sofortige Beschwerde ein. Das LG half der Beschwerde mit Beschluss nicht ab und legte die Akten dem OLG vor. Das OLG änderte den Beschluss des LG dahingehend ab, dass das Verfahren gegen die Beklagte zu 1) nicht ausgesetzt wird, und wies die sofortige Beschwerde im Übrigen zurück.

Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg. Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 2) hob der BGH den Beschluss des LG auf, soweit der Rechtsstreit im Streitverhältnis des Klägers zur Beklagten zu 2) gem. § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzt worden ist.

Die Gründe:
Die zulässige Rechtsbeschwerde des Klägers ist unbegründet. Die Klage gegen die Beklagte zu 1) ist im Hinblick auf die in dem Musterverfahren streitgegenständlichen Feststellungsziele abweisungsreif, weil sich diese lediglich auf § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB wegen der Verwendung eines unrichtigen oder unvollständigen Prospekts beziehen und ein Anspruch auf dieser Grundlage durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung, die ihrerseits was die Revision auch nicht in Abrede stellt verjährt ist, verdrängt wird. Eine Aussetzung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG ist daher ausgeschlossen.

Gem. § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG ist allerdings das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz auf Schadensersatzansprüche wegen Verwendung einer falschen oder irreführenden öffentlichen Kapitalmarktinformation oder wegen unterlassener Aufklärung darüber, dass eine öffentliche Kapitalmarktinformation falsch oder irreführend ist, anwendbar. Daher können auch Klagen wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlung bzw. Beratungspflichtverletzungen Gegenstand eines Musterverfahrens sein, wenn sie auf die Verwendung eines fehlerhaften Prospekts gestützt werden. Ist die Entscheidung des Rechtsstreits aber nicht von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängig, muss ein Musterverfahrensantrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG als unzulässig verworfen werden. Ein Rechtsstreit, in dem der Musterverfahrensantrag als unzulässig verworfen werden müsste, kann nicht durch Aussetzung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG musterverfahrensfähig werden, denn sowohl § 3 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG als auch § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG verlangen wortgleich, dass die Entscheidung des betroffenen Rechtsstreits von den Feststellungszielen abhängt. So liegt der Fall hier.

Die Entscheidung des Rechtsstreits ist nicht von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängig, weil eine Haftung der Beklagten zu 1) als Gründungsgesellschafterin gem. § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB nicht auf die Verwendung eines Prospekts als solche gestützt werden kann. Ein Anspruch auf dieser Grundlage wird, was der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung verdrängt. Auf den am 15.5.2009 veröffentlichten Prospekt findet die Regelung des § 8g VerkProspG a.F. i.V.m. § 32 Abs. 2 Satz 1 VermAnlG Anwendung. Damit ist auch der Anwendungsbereich der § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG a.F. eröffnet. Ein Anspruch des Klägers nach diesen Vorschriften gegen die Beklagte zu 1) als Gründungskommanditistin ist allerdings gem. § 46 BörsG a.F. verjährt. Der Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung gilt i.Ü. auch im Hinblick darauf, dass der Kläger seine Beteiligung erst mehr als ein Jahr nach dem Zeitpunkt des ersten öffentlichen Angebots im Inland gezeichnet hat, d.h. nach Ablauf der in § 13 Abs. 1 Nr. 1 VerkProspG a.F., § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG a.F. bestimmten Sechs-Monats-Frist. Der Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung gilt in ihrem Anwendungsbereich umfassend.

Die zulässige Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 2) ist begründet. Aus den vorstehenden Gründen ist auch die Klage gegen die Beklagte zu 2) im Hinblick auf die in dem Musterverfahren streitgegenständlichen Feststellungsziele abweisungsreif, weil der insoweit lediglich auf § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB wegen der Verwendung eines unrichtigen oder unvollständigen Prospekts gestützte Anspruch durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung verdrängt wird. Eine Aussetzung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG ist daher ausgeschlossen. Die Beklagte zu 2) ist Prospektveranlasser i.S.v. § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG a.F.. Denn auch sie ist wie die Beklagte zu 1) Gründungsgesellschafterin der Fondsgesellschaft mit einer Kommanditeinlage von 1.000 €.

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