20.12.2022

Zu einer den insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch ausschließenden vorweggenommenen Befriedigung

Eine den insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch ausschließende vorweggenommene Befriedigung kann auch dann anzunehmen sein, wenn die vorinsolvenzliche Rückführung des in anfechtbarer Weise erlangten Gegenstands oder dessen Werts in das Vermögen des Schuldners mit dem Willen zur Erfüllung eines anderen, auf ein und dieselbe Leistung gerichteten Anspruchs erfolgt.

BGH v. 10.11.2022 - IX ZR 160/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Sachwalter in dem auf Eigenantrag vom 27.10.2017 in Eigenverwaltung eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der E. GmbH (Schuldnerin). Unter dem Gesichtspunkt der Deckungsanfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO verlangt er von dem beklagten Land die (restliche) Rückgewähr von Steuerzahlungen.

Mit Beschluss vom 30.10.2017 ordnete das Insolvenzgericht die vorläufige Eigenverwaltung an und bestellte den Kläger zum vorläufigen Sachwalter. Darüber unterrichtete die Schuldnerin das beklagte Land mit Schreiben vom 3.11.2017. Hiernach leistete die Schuldnerin im Zeitraum vom 13.12.2017 bis zum 31.1.2018 unter dem Vorbehalt einer späteren Insolvenzanfechtung acht Steuerzahlungen i.H.v. insgesamt rd. 720.000 €. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens verlangte der Kläger die Rückgewähr der geleisteten Zahlungen. Das beklagte Land zahlte rd. 580.000 €. In Höhe des Unterschiedsbetrags von rd. 140.000 € nimmt der Kläger das beklagte Land mit der vorliegenden Klage in Anspruch. Die Parteien streiten (nur) um die Frage, ob eine objektive Gläubigerbenachteiligung anzunehmen sei.

Hintergrund des Streits ist eine Zahlung des beklagten Landes vom 26.1.2018 i.H.v. rd. 200.000 € an die Schuldnerin, mittels derer ein aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO folgender Steuererstattungsanspruch erfüllt worden ist. Der Steuererstattungsanspruch beruhte auf einer Überzahlung, die durch drei der angefochtenen Steuerzahlungen bewirkt worden war. Das beklagte Land ist der Ansicht, darin sei eine vorweggenommene Befriedigung des streitgegenständlichen insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs zu sehen.

Das LG wies die Klage mangels objektiver Gläubigerbenachteiligung ab. Das OLG gab ihr antragsgemäß statt. Auf die Revision des beklagten Landes hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG zurück.

Die Gründe:
Der vom Kläger geltend gemachte Rückgewähranspruch aus § 143 Abs. 1, § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO scheitert an der Zahlung des beklagten Landes an die Schuldnerin vom 26.1.2018, die den eingeklagten Betrag übersteigt und in der eine vorweggenommene Befriedigung des streitgegenständlichen Rückgewähranspruchs zu sehen ist.

In der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass eine vorinsolvenzlich erfolgte Rückführung des zuvor in anfechtbarer Weise erlangten Gegenstands oder dessen Werts in das Vermögen des Schuldners den mit der Verfahrenseröffnung entstehenden insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch hindern kann. Das wird zurückgeführt auf eine Rückgängigmachung der einmal eingetretenen Gläubigerbenachteiligung.

Der BGH hat bereits entschieden, dass es der Annahme einer vorweggenommenen Befriedigung des insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs nicht entgegensteht, wenn dem Anfechtungsgegner die Anfechtbarkeit der an ihn bewirkten Zahlung nicht bewusst gewesen ist. Allein ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Anfechtungsgegner die bei dem Schuldner vor Vollzug der anfechtbaren Handlung bestehende Vermögenslage tatsächlich wiederherstellt. Dies ist anzunehmen, wenn die von dem Anfechtungsgegner vorgenommene Leistung allein zur Vorwegbefriedigung des Anfechtungsanspruchs dienen kann, weil sonstige Forderungen des Schuldners, auf welche die Leistung angerechnet werden könnte, nicht bestehen.

Die sonstige Forderung des Schuldners hat jedoch keinen eigenständigen Vermögenswert, wenn sie im eröffneten Verfahren nicht neben dem insolvenz-anfechtungsrechtlichen Rückgewährsanspruch hätte durchgesetzt werden können. Maßgeblich ist, ob beide Ansprüche aus dem gleichen Lebenssachverhalt stammen und auf ein und dieselbe Leistung gerichtet sind, zwischen ihnen also im eröffneten Verfahren materiell-rechtliche Anspruchskonkurrenz bestünde. Zwar ist anerkannt, dass Ansprüche aus Insolvenzanfechtung nicht durch vertragliche Ansprüche oder Bereicherungsforderungen (§§ 812 ff BGB) verdrängt werden. Vielmehr können Anfechtungsansprüche im Grundsatz selbstständig neben sonstigen Rückgewähransprüchen erhoben werden. Das bedeutet aber nicht, dass sowohl der Anfechtungsanspruch als auch der sonstige Rückgewähranspruch erfolgreich durchgesetzt werden können. Der Verwalter kann die Rückgewähr ein und derselben Leistung nur einmal verlangen.

Wenn und soweit vorinsolvenzlich die Vermögenslage so hergestellt wird, wie sie sich im Falle einer Geltendmachung des insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens darstellte, ist es ohne Bedeutung, wenn der Empfänger der anfechtbaren Leistung mit der Rückgewähr an den Schuldner einen anderen, auf ein und dieselbe Leistung gerichteten Anspruch tilgen will - etwa einen konkurrierenden Bereicherungsanspruch. Maßgeblich ist nicht die Willensrichtung des Leistungsempfängers, sondern die objektive Vermögenslage. Nach diesen Grundsätzen ist davon auszugehen, dass die Zahlung des beklagten Landes vom 26.1.2018 zu einer vorweggenommenen Befriedigung des streitgegenständlichen Rückgewähranspruchs aus § 143 Abs. 1, § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO geführt hat.

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