28.06.2019

Zulässigkeit der Bildberichterstattung nach §§ 22, 23 KUG

Die Zulässigkeit der Bildberichterstattung nach §§ 22, 23 KUG setzt nicht voraus, dass der Abgebildete einen berechtigten Anlass für die Verbreitung seines Bildnisses gegeben hat. Dieser Gesichtspunkt kann lediglich im Rahmen des abgestuften Schutzkonzepts der §§ 22, 23 KUG bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen von Bedeutung sein.

BGH v. 9.4.2019 - VI ZR 533/16
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist die 1995 geborene Tochter eines Schauspielerehepaares. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 2007 und der Mutter im Juli 2012 übernahm die Schauspielerin und Freundin der Familie, G. C., die Vormundschaft für die Klägerin. Hierüber berichteten die Medien; auch die Vormundin äußerte im Beisein der Klägerin gegenüber der Presse, dass sie die Vormundschaft für die Klägerin übernommen habe. Im Juli 2013 besuchte die - nunmehr volljährige - Klägerin mit Frau C. die Berliner Fashion Week, eine Veranstaltung für Modeinteressierte, Einkäufer, Fachbesucher und Medienvertreter. Gemeinsam machten sie in Verkleidung mit einem großen Kuchenherz in der Hand in einem dort eigens aufgestellten Passbildautomaten Fotos. Auf dem Automatenausdruck befinden sich drei kleine Fotos beider in Passfotoformat und das Bild einer Colaflasche. Mit diesem Ausdruck und dem Herzen in der Hand posierten beide gemeinsam vor Fotografen.

Ein hierbei erstelltes Foto veröffentlichte die Beklagte am 29.9.2013 unter der Rubrik "Der Bild am Sonntag Familienratgeber - Fürsorge" als Illustration zu einem Artikel mit der Überschrift "Eine Mutter für das Waisenkind" ("Fashion Week-Foto"). In das Herz war der Text eingefügt: "S. [Klägerin] und G. [Frau C.] bei der Fashion Week im Juli 2013. Die beiden haben viel Spaß miteinander, machen Faxen in einem Fotoautomaten." Die Unterüberschrift des Artikels kündigte an, dass Frau C. in dieser Ausgabe erstmals über die Übernahme der Vormundschaft für die Klägerin sprechen werde. Hintergrund war ein Interview, das Frau C. der Beklagten im Zusammenhang mit einem am selben Tag ausgestrahlten Spielfilm gegeben hatte, auf den am Ende des Artikels hingewiesen wurde. Gegenstand der Berichterstattung war die Übernahme der Vormundschaft.

Mittig unterhalb des Berichts und des Fotos befindet sich ein eingerahmtes Textfeld mit der Überschrift "Eine Sorgerechtsverfügung klärt im Notfall, wer sich um Ihr Kind kümmern soll." Unten rechts auf der Seite ist ein dunkel abgesetzter Bereich eingefügt mit der Überschrift "Kinder ohne Eltern: Das traurige Erbe der Familie M.", der ein Foto der Familie M./L. mit der Klägerin aus dem Jahr 1999 zeigt, welches anlässlich eines offiziellen Presseevents im Disneyland Paris aufgenommen worden war ("Disneyland-Foto").

LG und OLG gaben der Klage, mit der die Klägerin Unterlassung der Veröffentlichung des "Fashion Week-Fotos", der "Passfotos" und des "Disneyland-Fotos" begehrt, statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Klage ab.

Die Gründe:
Entgegen der Auffassung des OLG hat die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Unterlassung der Verbreitung der streitgegenständlichen Fotos.

Die Zulässigkeit von Bildveröffentlichungen ist nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG zu beurteilen, das sowohl mit verfassungsrechtlichen Vorgaben als auch mit der Rechtsprechung des EGMR im Einklang steht. Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Die Veröffentlichung des Bildes einer Person begründet grundsätzlich eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die nicht von der Einwilligung des Abgebildeten gedeckte Verbreitung seines Bildes ist nur zulässig, wenn dieses Bild dem Bereich der Zeitgeschichte oder einem der weiteren Ausnahmetatbestände des § 23 Abs. 1 KUG positiv zuzuordnen ist und berechtigte Interessen des Abgebildeten nicht verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG).

Dabei ist schon bei der Beurteilung, ob ein Bild dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen ist, eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK andererseits vorzunehmen. Entgegen der Auffassung des OLG setzt die Zulässigkeit der Bildberichterstattung nicht voraus, dass der Abgebildete einen berechtigten Anlass für die Verbreitung seines Bildnisses gegeben hat. Dieser Gesichtspunkt kann lediglich im Rahmen des abgestuften Schutzkonzepts der §§ 22, 23 KUG bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen von Bedeutung sein. Hier kann offen bleiben, ob die Klägerin im Hinblick auf den Aussagegehalt des "Fashion Week-Fotos" in die Veröffentlichung im vorliegenden Zusammenhang konkludent eingewilligt hat (§ 22 Satz 1 KUG). Bei den beanstandeten Aufnahmen handelt es sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG), deren Verbreitung kein berechtigtes Interesse der abgebildeten Klägerin verletzt (§ 23 Abs. 2 KUG).

Die bereits im Rahmen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG vorzunehmende Abwägung kann der erkennende Senat selbst vornehmen, da keine weiteren Tatsachenfeststellungen erforderlich sind. Sie fällt vorliegend zugunsten der Pressefreiheit aus. Die auf der Fashion Week 2013 aufgenommenen streitgegenständlichen Fotos zeigen die Klägerin und ihre ehemalige Vormundin gemeinsam und gut gelaunt. Sie visualisieren die Bildinnenschrift und veranschaulichen die offenbar entspannte und vertraute Beziehung von ehemaligem Mündel und Vormundin. Damit illustrieren sie kontextgerecht die - von der Klägerin im Streitfall nicht angegriffene - Wortberichterstattung, die einen Beitrag zu einer Diskussion allgemeinen Interesses leistet. Sie befasst sich mit den rechtlichen Konsequenzen des Todes von Eltern minderjähriger Kinder und thematisiert mit der Überahme der Vormundschaft für die Klägerin durch eine Freundin der Familie eine Möglichkeit, auch außerhalb der Familie eine dem Kindeswohl angemessene und aus Sicht der Eltern wünschenswerte Betreuung für die Kinder zu finden.

Die streitgegenständliche Bildberichterstattung betrifft die Klägerin unmittelbar nur in ihrer Sozialsphäre. Das "Fashion Week-Foto" und die "Passfotos" aus dem Automaten sind auf einer medienwirksam inszenierten öffentlichen Veranstaltung aufgenommen worden. Dass die Klägerin mit Frau C. den aufgestellten Fotoautomaten benutzt und anschließend mit den dort erstellten Bildern für die Kameras posiert, verdeutlicht, dass ihr die Öffentlichkeit der Situation bewusst war und sie diese ersichtlich gewählt hat. Auch für das "Disneyland-Foto" gilt nichts Anderes.

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