23.11.2016

Zum anfechtungsrechtlichen Begriff der unentgeltlichen Verfügung

Entrichtet der Schuldner den vereinbarten Kaufpreis für einen nach den tatsächlichen Gegebenheiten objektiv wertlosen GmbH-Geschäftsanteil an den Verkäufer, scheidet eine Anfechtung wegen einer unentgeltlichen Leistung aus, wenn beide Teile nach den objektiven Umständen von einem Austausch-Marktgeschäft ausgegangen und in gutem Glauben von der Werthaltigkeit des Kaufgegenstands überzeugt sind. Der anfechtungsrechtliche Begriff der unentgeltlichen Verfügung ist umfassender als bei der Schenkung und setzt eine vertragliche Einigung über die Unentgeltlichkeit als solche nicht voraus.

BGH 15.9.2016, IX ZR 250/15
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem über das Vermögen der S-GmbH im Januar 2008 eröffneten Insolvenzverfahren. Der Beklagte war Mehrheitsgesellschafter und Geschäftsführer der C-GmbH, die sich mit der Entwicklung, der Fertigung und dem Vertrieb von immobilisierten chemischen und biologischen Inhaltsstoffen und den hiermit zusammenhängenden Verfahren und Anlagen befasste. An dieser Technologie interessierte Großinvestoren beabsichtigten, sich als Gesellschafter unmittelbar an der C-GmbH zu beteiligen. Die Umsetzung dieses Vorhabens scheiterte jedoch daran, dass die stillen Gesellschafter nicht bereit waren, ihre Ansprüche auf die vereinbarte Festvergütung zu vermindern.

Um eine mittelbare Beteiligung von Investoren zu ermöglichen, erwarben die P-GmbH, deren Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Beklagte war, und die W-GmbH sämtliche Geschäftsanteile an der zu diesem Zeitpunkt als D-GmbH firmierenden S-GmbH, einer mit einem Stammkapital von 25.000 € gegründeten Vorratsgesellschaft. Unmittelbar nach dem Anteilserwerb wurde die D-GmbH in die S-GmbH mit dem Unternehmensgegenstand der Herstellung und des Vertriebs von verkapselten biologischen und chemischen Zusatzstoffen umfirmiert. Der Beklagte wurde unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB zum Geschäftsführer bestellt.

Am 22.12.2004 veräußerte der Beklagte als Gesellschafter einen Teilgeschäftsanteil an der C-GmbH im Nennbetrag von 5.400 € zum Kaufpreis von 175.000 € an die von ihm als Geschäftsführer vertretene S-GmbH. Die W-GmbH hatte sich gegenüber der S-GmbH verpflichtet, zur Finanzierung des Kaufpreises 175.000 € in die Kapitalrücklage einzulegen. Nach Zahlung seitens der W-GmbH entrichtete die S-GmbH durch drei Überweisungen von März bis April 2005 insgesamt 175.000 € an den Beklagten. Danach wurde das Stammkapital der S-GmbH zum Zweck der Aufnahme mehrerer namhafter Investoren erhöht. Über das Vermögen der C-GmbH wurde im Februar 2008 das Insolvenzverfahren eröffnet.

Der Kläger nahm den Beklagten auf Erstattung des gezahlten Kaufpreises in Anspruch, da die von der S-GmbH an der C-GmbH erworbenen Geschäftsanteile tatsächlich wertlos gewesen seien. Die Klage blieb allerdings in allen Instanzen erfolglos.

Die Gründe:
Ein Anfechtungsanspruch nach § 143 Abs. 1, § 134 Abs. 1 InsO lag nicht vor.

Zwar waren die Überweisungen der S-GmbH an den Beklagten wegen der damit verbundenen Vermögensminderung als Leistung einzustufen. Die Zahlungen hatten entgegen der Auffassung des Beklagten auch eine Gläubigerbenachteiligung ausgelöst. Eine solche konnte nicht aus der Erwägung abgelehnt werden, dass die S-GmbH verpflichtet gewesen wäre, eine vor Verfahrenseröffnung von dem Beklagten erlangte Kaufpreisrückzahlung an die W-GmbH abzuführen, weil diese der Schuldnerin den Kaufpreis verauslagt habe. Jedoch fehlte es an der Unentgeltlichkeit der von der Schuldnerin an den Beklagten bewirkten Zahlung über 175.000 €, selbst wenn der von dem Beklagten aufgrund des Kaufvertrages im Gegenzug abgetretene Geschäftsanteil objektiv wertlos war.

Entrichtet der Schuldner den vereinbarten Kaufpreis für einen nach den tatsächlichen Gegebenheiten objektiv wertlosen GmbH-Geschäftsanteil an den Verkäufer, scheidet eine Anfechtung wegen einer unentgeltlichen Leistung aus, wenn beide Teile nach den objektiven Umständen von einem Austausch-Marktgeschäft ausgegangen und in gutem Glauben von der Werthaltigkeit des Kaufgegenstands überzeugt sind. Der anfechtungsrechtliche Begriff der unentgeltlichen Verfügung ist umfassender als bei der Schenkung nach § 516 BGB und setzt eine vertragliche Einigung über die Unentgeltlichkeit als solche nicht voraus. Für die Bewertung ist in erster Linie die objektive Wertrelation zwischen der Leistung des Schuldners und der Gegenleistung des Empfängers ausschlaggebend.

Im vorliegenden Fall hatten die S-GmbH und der Beklagte durch den Geschäftsanteilskaufvertrag ein vertragliches Austauschgeschäft vereinbart. Dabei unterlag es der Entschließung der Beteiligten, die wechselseitig zu erbringenden Leistungen zu konkretisieren. Der Irrtum über den Wert einer Sache bildet keinen Beschaffenheitsmangel, so dass die Wirksamkeit des ohne Täuschung über das Wertverhältnis begründeten synallagmatischen Austauschgeschäfts nicht berührt wird. Der bei der Anfechtung wegen unentgeltlicher Leistung zu beachtende Beurteilungsspielraum wird jedenfalls dann nicht verlassen, sofern beide Parteien subjektiv in gutem Glauben der Überzeugung sind, bei der Bemessung von Leistung und Gegenleistung einen interessengerechten Ausgleich gefunden zu haben. Nachträgliche bessere Erkenntnisse sind nicht geeignet, die von den Parteien in Wahrnehmung ihrer eigenen Belange ohne Willensmangel frei verantwortete Preisgestaltung in Frage zu stellen.

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