Zum Beitritt eines Aufsichtsratsmitglieds auf Seiten einer Aktiengesellschaft im Rechtsstreit der Aktiengesellschaft mit einem Vorstandsmitglied
BGH 29.1.2013, II ZB 1/11Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft, deren Anteile mittelbar über eine Holding von den beiden Firmengründern E und B gehalten werden. Zwischen den Brüdern bzw. den Familienstämmen gibt es erhebliche Spannungen. Die Kläger waren im Juli 2007 wirksam zu Mitgliedern des Vorstands der Beklagten bestellt worden. Der Nebenintervenient ist eines von sechs Mitgliedern des Aufsichtsrats, von denen drei auf den Vorschlag von E und drei auf den Vorschlag von B hin bestellt worden sind. Am 26.10.2009 fand eine Sitzung des Aufsichtsrats statt. Tagesordnungspunkt war u.a. die Abberufung der Kläger als Vorstände, denen Bestechung vorgeworfen wurde.
Der Aufsichtsrat stimmte mit 3:3 Stimmen ab. Die B zuzuordnenden Aufsichtsratsmitglieder lehnten die Abberufung ab; der Nebenintervenient, der dem Stamm E zugeordnet ist, stimmte für die Abberufung der Kläger. Laut Satzung der Beklagten führt Stimmengleichheit zur Ablehnung eines Beschlussantrags. Der Aufsichtsratsvorsitzende entschied aber, die drei gegen eine Abberufung stimmenden Aufsichtsratsmitglieder hätten ihr Stimmrecht missbräuchlich ausgeübt, so dass ihre Stimmen bei der Feststellung des Abstimmungsergebnisses nicht zu berücksichtigen seien, womit die Abberufung der Kläger als Vorstände der Beklagten mit 3:0 beschlossen sei. Dementsprechend stellte der Aufsichtsratsvorsitzende die Abberufung der Kläger durch Aufsichtsratsbeschluss vom 26.10.2009 fest.
Das LG stellte antragsgemäß fest, dass in der Aufsichtsratssitzung vom 26.10.2009 ein Beschluss, die Kläger aus wichtigem Grund abzuberufen, nicht ergangen sei und dass die Beklagte verpflichtet sei, den Klägern einen Schaden zu ersetzen, der ihnen aus dem unwirksamen Widerruf ihrer Vorstandsämter entstanden sei und noch entstehen werde. Das OLG verwarf die Berufung als unzulässig, weil die Prozessbevollmächtigten der Beklagten zur Einlegung des Rechtsmittels nicht wirksam bevollmächtigt gewesen seien. Gegen den Verwerfungsbeschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten. Der Nebenintervenient trat dem Verfahren innerhalb laufender Rechtsbeschwerdefrist auf Seiten der Beklagten bei und legte gleichfalls Rechtsbeschwerde ein. Die Kläger beantragten, die Nebenintervention zurückzuweisen.
Der BGH ließ den Beitritt des Nebenintervenienten zu.
Die Gründe:
Die Nebenintervention war zuzulassen. Ein Aufsichtsratsmitglied hat ein rechtliches Interesse daran, auf Seiten einer Aktiengesellschaft im Rechtsstreit der Aktiengesellschaft mit einem Vorstandsmitglied über die Wirksamkeit oder den Inhalt des Abberufungsbeschlusses beizutreten (§ 71 Abs. 1, § 66 Abs. 1 ZPO).
Der Nebenintervenient ist eine andere Person i.S.d. § 66 Abs. 1 ZPO. Nach § 66 Abs. 1 ZPO setzt die Nebenintervention einen zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreit voraus. Ein etwaiger Ausschluss des gesetzlichen Vertreters von der Nebenintervention (umstritten) steht der Zulassung des Beitritts des Nebenintervenienten auf der Seite der Beklagten nicht entgegen. Denn das einzelne Aufsichtsratsmitglied ist nicht gesetzlicher Vertreter in diesem Sinne. Eine Aktiengesellschaft wird in einem Prozess mit einem Vorstandsmitglied auch nach dessen Ausscheiden gem. § 112 AktG durch ihren Aufsichtsrat als Organ vertreten; nicht jedoch durch das einzelne Aufsichtsratsmitglied.
Der Nebenintervenient hat auch ein rechtliches Interesse am Beitritt. Ein verfahrensrechtlich unter Verletzung zwingenden Gesetzes- oder Satzungsrechts zustande gekommener oder ein inhaltlich gegen derartiges Recht verstoßender Beschluss des Aufsichtsrats ist nichtig und diese Nichtigkeit kann mit der gegen die Gesellschaft gerichteten Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO geltend gemacht werden. Der erkennende Senat bejaht ein rechtliches Interesse der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder an der Feststellung, dass die im Aufsichtsrat gefassten Beschlüsse unwirksam sind, so dass diese berechtigt sind, die Nichtigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen auf dem Klagewege feststellen zu lassen. Dieses Interesse beruht auf der Organstellung der Aufsichtsratsmitglieder und der sich daraus ergebenden gemeinsamen Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der von ihnen gefassten Beschlüsse.
In gleicher Weise, wie das Aufsichtsratsmitglied ein rechtliches Interesse daran haben kann, feststellen zu lassen, dass ein Aufsichtsratsbeschluss nichtig ist, folgt aus seiner Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der vom Aufsichtsrat gefassten Beschlüsse auch ein Interesse an der Verteidigung eines von ihm für rechtmäßig gehaltenen Aufsichtsratsbeschlusses, hier in Form eines Abberufungsbeschlusses, wenn der Vorstand dessen Wirksamkeit in Frage stellt. Denn hierdurch wird unmittelbar in seinen Verantwortungsbereich eingegriffen. In einem Rechtsstreit über die vom Vorstand gegen die Gesellschaft erhobene Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses ist das Aufsichtsratsmitglied daher berechtigt, der Gesellschaft als Nebenintervenient beizutreten. Nichts anderes gilt im vorliegenden Fall, in dem die Kläger geltend machen, ein Abberufungsbeschluss sei gar nicht gefasst worden.
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