Zum grob anstößigen (Direkt-)Anspruch gegenüber einem Kfz-Haftpflichtversicherer
BGH 27.2.2018, VI ZR 109/17Im September 2004 hatte der damals 15-jährige J. (Leistungsempfänger) und der damals 16-jährige M. (Schädiger) gemeinsam einen bei der Beklagten haftpflichtversicherten Motorroller gestohlen. Über die für das Führen eines solchen Rollers erforderliche Fahrerlaubnis verfügten beide nicht. Dennoch fuhren sie mit dem Roller herum, wobei sie abwechselnd die Position des Fahrers bzw. Sozius einnahmen.
Während einer dieser Fahrten kollidierten sie - der Schädiger in der Position des Fahrers, der Leistungsempfänger in der Position des Sozius - im Bereich einer Kreuzung mit einem von rechts kommenden, vorfahrtsberechtigten Pkw. Der Leistungsempfänger erlitt dabei ein Polytrauma mit schwerem Schädelhirntrauma sowie weitere schwere Verletzungen, die u.a. zu starken Sehbehinderungen und motorischen Einschränkungen führten.
In den Jahren 2012 und 2013 besuchte der Leistungsempfänger eine Werkstatt für behinderte Menschen. Die klagende Bundesagentur für Arbeit erbrachte hierfür auf der Grundlage bestandskräftiger Leistungsbescheide Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gem. §§ 112 ff. SGB III i.V.m. §§ 33, 44 SGB IX. Insgesamt wendete sie einen Betrag von 29.997 € auf. Hiervon verlangte sie mit ihrer Klage unter Zugrundelegung einer hälftigen Haftungsverteilung 14.998 € nebst Zinsen. Zudem begehrte sie die Feststellung, dass die beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung verpflichtet ist, ihr bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 116 SGB X 50% jeden weiteren Schadens aus dem Verkehrsunfall zu ersetzen.
Das LG hat die - erstinstanzlich auch gegen den Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten Pkws gerichtete - Klage abgewiesen. Auf die - ausschließlich die Beklagte betreffende - Berufung der Klägerin hat das OLG das Urteil abgeändert und der Klage stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten hat der BGH die Entscheidung des OLG aufgehoben und die Berufung zurückgewiesen.
Gründe:
Bereits der Leistungsempfänger hatte keinen durchsetzbaren Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte. Im Ergebnis noch zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass dem Leistungsempfänger dem Grunde nach ein entsprechender Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger zustand. Unzutreffend ist aber die Annahme des Berufungsgerichts, dieser Anspruch könne auch direkt gegenüber der Beklagten als dem Kfz-Haftpflichtversicherer des vom Schädiger gelenkten Motorrollers geltend gemacht werden.
Die Voraussetzungen für einen Direktanspruch des Leistungsempfängers gegen die Beklagte gem. § 3 Nr. 1 S. 1 PflVG a.F. sind im Streitfall zwar grundsätzlich erfüllt. Nach dieser Vorschrift kann der geschädigte Dritte seine Ansprüche auf Ersatz seines Schadens im Rahmen der Leistungspflicht des Kfz-Haftpflichtversicherers aus dem Versicherungsverhältnis und, soweit eine Leistungspflicht nicht besteht, im Rahmen von § 3 Nr. 4 bis 6 PflVG a.F. auch gegen den Versicherer geltend machen. Einem Direktanspruch des Leistungsempfängers steht aber unter den besonderen Umständen des Streitfalls der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen (§ 242 BGB).
Dem verletzten Dieb in einem solchen Fall hinsichtlich seines gegen einen Mittäter gerichteten Schadensersatzanspruchs einen Direktanspruch aus der vom bestohlenen Halter unterhaltenen Haftpflichtversicherung gegen den Versicherer zu gewähren, bedeutete, die mit dem Diebstahl einhergehende ungerechtfertigte Vermögensverschiebung weiter zu vertiefen; denn dem Dieb flössen dann nicht nur die (Gebrauchs-)Vorteile des gestohlenen Fahrzeugs, sondern auch noch die Vorteile der vom bestohlenen Halter, der nach § 7 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 StVG regelmäßig selbst nicht haftet, für andere Zwecke aufgewendeten Versicherungsprämien zu. Vor diesem Hintergrund stellte sich die Geltendmachung des streitgegenständlichen (Direkt-)Anspruchs durch den Leistungsempfänger als grob anstößiger und damit über § 242 BGB auch rechtlich zu missbilligender Versuch dar, sich nach den (Gebrauchs-)Vorteilen des entwendeten Fahrzeugs auch noch die Vorteile der vom bestohlenen Halter aufgewendeten Versicherungsprämien einzuverleiben.
Stand der Beklagten aber gegenüber dem Leistungsempfänger die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung zu, so kann sie diese Einrede gem. §§ 412, 404 BGB nach einem Anspruchsübergang auf die Klägerin auch dieser entgegenhalten. Ob der streitgegenständliche Anspruch - wie vom Berufungsgericht angenommen - tatsächlich gem. § 116 Abs. 1, Abs. 10 SGB X auf die Klägerin übergangen ist, kann damit ebenso offenbleiben wie die Frage, ob er verjährt ist.
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