12.11.2014

Zum Kalkulationsirrtum bei Abgabe eines Angebots gegenüber öffentlichem Auftraggeber

Die Schwelle zum Pflichtenverstoß durch Erteilung des Zuschlags zu einem kalkulationsirrtumsbehafteten Preis ist im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge ausnahmsweise dann überschritten, wenn vom Bieter aus Sicht eines verständigen öffentlichen Auftraggebers bei wirtschaftlicher Betrachtung schlechterdings nicht mehr erwartet werden kann, sich mit dem irrig kalkulierten Preis als einer noch annähernd äquivalenten Gegenleistung für die zu erbringende Bau-, Liefer- oder Dienstleistung zu begnügen.

BGH 11.11.2014, X ZR 32/14
Der Sachverhalt:
Das beklagte Land hatte einen Bauauftrag ausgeschrieben. Die Klägerin bot die Straßenbauarbeiten zu einem Preis von rund 455.000 € an. Das nächstgünstigste Angebot belief sich auf rund 621.000 €. Vor Zuschlagserteilung erklärte die Klägerin gegenüber der Vergabestelle, in einer Angebotsposition einen falschen Mengenansatz gewählt zu haben, und bat um Ausschluss seines Angebots von der Wertung. Dieser Bitte kam das beklagte Land nicht nach, sondern erteilte der Klägerin den Zuschlag. Da diese den Auftrag auf Basis seines abgegebenen Angebots nicht ausführen wollte, trat das Land vom Vertrag zurück und beauftragte ein anderes Unternehmen, das die Leistung zu einem höheren Preis erbrachte.

Die Klägerin nahm das beklagte Land auf Zahlung von Werklohn für durchgeführte Straßenbauarbeiten in Anspruch. Gegen die nach Grund und Höhe unstreitige Werklohnforderung rechnete das Land mit einer Schadensersatzforderung (Mehrkosten) auf, die ihm durch die oben genannte Nichterfüllung entstanden sei.

LG und OLG gaben der Zahlungsklage statt. Beide Instanzen haben es als gegen Treu und Glauben verstoßende unzulässige Rechtsausübung gem. § 242 BGB bewertet, dass das Land der Klägerin den Auftrag erteilt und auf seine Ausführung bestanden hatten und eine den Werklohnanspruch der Klägerin aus dem weiteren Auftrag zum Erlöschen bringende, aufrechenbare Schadensersatzforderung wegen Nichtdurchführung dieses Auftrags verneint. Auch die Revision der Beklagten blieb vor dem BGH erfolglos.

Die Gründe:
Der öffentliche Auftraggeber verstößt gegen die ihm durch § 241 Abs. 2 BGB auferlegten Rücksichtnahmepflichten, wenn er den Bieter an der Ausführung des Auftrags zu einem Preis festhalten will, der auf einem erheblichen Kalkulationsirrtum beruht.

Zwar reicht nicht jeder noch so geringe diesbezügliche Irrtum aus und es muss auch sichergestellt sein, dass sich ein Bieter nicht unter dem Vorwand des Kalkulationsirrtums von einem bewusst sehr günstig kalkulierten Angebot loslöst, weil er es im Nachhinein als für ihn selbst zu nachteilig empfindet. Die Schwelle zum Pflichtenverstoß durch Erteilung des Zuschlags zu einem kalkulationsirrtumsbehafteten Preis ist im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge aber ausnahmsweise dann überschritten, wenn vom Bieter aus Sicht eines verständigen öffentlichen Auftraggebers bei wirtschaftlicher Betrachtung schlechterdings nicht mehr erwartet werden kann, sich mit dem irrig kalkulierten Preis als einer noch annähernd äquivalenten Gegenleistung für die zu erbringende Bau-, Liefer- oder Dienstleistung zu begnügen.

Verhält es sich so und führt der Auftraggeber gleichwohl den Vertragsschluss herbei, kann er vom Bieter weder Erfüllung des Vertrages noch Schadensersatz verlangen, wenn die fraglichen Arbeiten im Ergebnis nur zu einem höheren Preis als dem vom Bieter irrig kalkulierten ausgeführt werden konnten. Die Voraussetzungen für einen nach diesen Maßstäben erheblichen Kalkulationsirrtum hatte das Berufungsgericht im vorliegenden Fall zu Recht bejaht, wobei dem besonders großen Abstand zwischen dem irrtumsbehafteten Angebot und dem zweitgünstigsten Angebot besondere Bedeutung zukam.

Linkhinweise:

  • Der Volltext dieser Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.
BGH PM Nr. 163 vom 12.11.2014
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