20.07.2012

Zum Schutzbereich der Insolvenzantragspflicht

Zwar umfasst der Schutzbereich der Insolvenzantragspflicht auch solche Schäden des Neugläubigers, die durch eine fehlerhafte Bauleistung der insolvenzreifen Gesellschaft am Bauwerk verursacht werden und von dieser wegen fehlender Mittel nicht mehr beseitigt werden können. Der zu ersetzende Schaden besteht allerdings nicht in dem wegen Insolvenz der Gesellschaft "entwerteten" Erfüllungsanspruch, sondern umfasst lediglich den Vertrauensschaden.

BGH 14.5.2012, II ZR 130/10
Der Sachverhalt:
Die Kläger hatte die W-GmbH im Jahr 2004 mit Fassadenarbeiten an ihrem Haus beauftragt. Der Beklagte war Geschäftsführer der W-GmbH. Bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses war die GmbH überschuldet. Nach Durchführung der Arbeiten beglichen die Kläger die Rechnung von insgesamt rund 10.739 €. Etwa ein Jahr später machten die Kläger Mängel geltend. Mit Urteil vom 19.12.2008 gab das LG der Klage gegen die W-GmbH auf Ersatz der Mangelbeseitigungskosten i.H.v. 44.671 € statt.

In dem vorliegenden Verfahren verlangten die Kläger vom Beklagten Schadensersatz wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht i.H.d. gegen die W-GmbH titulierten Betrages von 44.671 €. Das LG gab der Klage weitestgehend statt; das OLG wies sie ab. Auf die Revision der Kläger hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Der Beklagte haftet den Klägern wegen Verletzung seiner Insolvenzantragspflicht nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG in der bis zum 31.10.2008 geltenden Fassung.

Wird eine GmbH zahlungsunfähig oder überschuldet, hat der Geschäftsführer nach § 15 a Abs. 1 S. 1 InsO, § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Insolvenzeröffnungsantrag zu stellen. Diese Vorschriften sind Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB. Ihr Schutzzweck erfasst nicht nur Alt-, sondern auch Neugläubiger (im vorliegenden Fall die Kläger), die in Unkenntnis der Insolvenzreife der Gesellschaft noch in Rechtsbeziehungen zu ihr getreten sind.

Der von den Klägern geltend gemachte Schaden fällt allerdings nicht unter das von § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. geschützte Interesse. Anders als der Schaden der Altgläubiger, der in der durch die Insolvenzverschleppung bedingten Masse- und Quotenverminderung besteht, liegt der Schaden eines Neugläubigers darin, dass er der Gesellschaft im Vertrauen auf deren Solvenz noch Geld- oder Sachmittel zur Verfügung gestellt hat, ohne einen entsprechend werthaltigen Gegenanspruch oder eine entsprechende Gegenleistung zu erlangen. Ersatzfähig sind danach nur Schäden, die durch die Insolvenzreife der Gesellschaft verursacht wurden.

Der Neugläubiger ist von dem wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht deliktisch haftenden Geschäftsführer so zu stellen, wie er stehen würde, wenn der Geschäftsleiter seiner Insolvenzantragspflicht rechtzeitig nachgekommen wäre. Der zu ersetzende Schaden besteht deshalb nicht in dem wegen Insolvenz der Gesellschaft "entwerteten" Erfüllungsanspruch. Auszugleichen ist vielmehr lediglich das negative Interesse, z.B. in Form von Waren- und Lohnkosten, die der Neugläubiger wegen des Vertragsschlusses mit der Schuldnerin erbracht hat. Die Kläger erhalten Gelegenheit, im weiteren Verfahren ihren Vertrauensschaden darzulegen und zu beweisen.

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