16.04.2013

Zum Vertrauen des Anlegers in ein Wirtschaftsprüfertestat hinsichtlich eines zwischenzeitlich überholten Stichtags

Die tatsächliche Vermutung, dass es dem Anleger für seine Anlageentscheidung auf die Richtigkeit aller wesentlichen Prospektangaben ankommt, erfasst Feststellungen in einem veröffentlichten Wirtschaftsprüfertestat grundsätzlich auch dann, wenn es sich auf einen überholten Stichtag bezieht und ein neuer bestätigter Jahresabschluss zu erwarten war. Auch ein überholter Bestätigungsvermerk begründet zumindest das Vertrauen, dass die Anlage in dem bestätigten Umfang zu dem maßgeblichen Zeitpunkt keine Mängel aufwies.

BGH 21.2.2013, III ZR 139/12
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen, von dem die Kläger Schadensersatz wegen eines ihrem Vortrag zufolge unrichtigen Testats verlangen. Sie hielten Inhaberschuldverschreibungen der Wohnungsbaugesellschaft L-AG (künftig: WBG L). Im Juni 2004 erteilte die Beklagte dem Abschluss der WBG L für das Geschäftsjahr vom 1.1. bis 31.12.2003 und dem Lagebericht der Gesellschaft, die von dem Geschäftsführer der Beklagten geprüft worden waren, einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk.

In der zweiten Jahreshälfte 2005 tauschten die Kläger ihre Papiere in neue Inhaberschuldverschreibungen der Wohnungsbaugesellschaft um. Der von ihrem Geschäftsführer unterzeichnete Bestätigungsvermerk der Beklagten war in dem Emissionsprospekt für die von den Klägern 2005 eingetauschten neuen Inhaberschuldverschreibungen abgedruckt. Am 1.9.2006 wurde über das Vermögen der WBG L das Insolvenzverfahren eröffnet.

Die Kläger machen geltend, das Prüftestat hätte nicht erteilt werden dürfen, da, wie für einen Wirtschaftsprüfer ohne weiteres erkennbar gewesen sei, die Finanzsituation der WBG L bereits 2003 desolat gewesen sei und diese nach einem Schneeballsystem gearbeitet habe. Der Geschäftsführer der Beklagten habe insoweit mindestens bedingt vorsätzlich gehandelt. Hätte die Beklagte den Jahresabschluss der WBG L und den Lagebericht nicht uneingeschränkt bestätigt, hätten sie, die Kläger, die neuen, wertlosen Inhaberschuldverschreibungen nicht im Tauschwege erworben.

Das LG wies die auf Ersatz von insgesamt 27.000 € nebst Zinsen und Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung gerichtete Klage ab. Das OLG wies die dagegen gerichtete Berufung durch einen Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Auf die Revision der Kläger hob der BGH den Beschluss des OLG auf und wies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand ist ein Schadensersatzanspruch der Kläger gegen die Beklagte nicht auszuschließen.

Die Kläger haben nach dem im Revisionsverfahren zugrunde zu legenden Sachverhalt dem Grunde nach einen Anspruch, der auf § 826 BGB sowie § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 264a Abs. 1, § 27 Abs. 1 StGB und § 332 HGB, jeweils i.V.m. § 31 BGB beruht. Sie haben vorgetragen, der Geschäftsführer der Beklagten habe zumindest bedingt vorsätzlich einen fehlerhaft uneingeschränkten Bestätigungsvermerk für den Jahresabschluss 2003 erteilt. Sie haben sich insoweit ein im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen den Geschäftsführer der Beklagten erstattetes Gutachten der Wirtschaftsprüferkammer B zu Eigen gemacht. In diesem Gutachten werden gravierende Mängel bei der Durchführung der Jahresabschlussprüfungen 2002 und 2003 festgestellt. Das OLG hat auch insoweit ein vorsätzliches und sittenwidriges Verhalten des Geschäftsführers der Beklagten unterstellt, so dass hiervon auch in der Revisionsinstanz auszugehen ist.

Ansprüche wegen vorsätzlicher unerlaubter Handlungen können uneingeschränkt neben den gesetzlichen Prospekthaftungsansprüchen (sofern deren persönlicher Anwendungsbereich für die Beklagte überhaupt eröffnet sein sollte) geltend gemacht werden (§ 13 Abs. 1 VerkProspG, § 47 Abs. 2 BörsG; siehe jetzt § 21 Abs. 5 S. 2 VermAnlG und § 25 Abs. 2 WpPG). In der vorliegenden Fallgestaltung ist auch nicht davon auszugehen, dass der im Jahr 2004 erteilte Bestätigungsvermerk zum Stichtag des Jahresabschlusses für 2003 keine Bedeutung mehr für die 2005 gefassten Erwerbsentschlüsse der Kläger gehabt haben konnte. Die tatsächliche Vermutung, dass es dem Anleger für seine Entscheidung auf die Richtigkeit aller wesentlichen Prospektangaben ankommt, erfasst solche Feststellungen in einem veröffentlichten Wirtschaftsprüfertestat grundsätzlich auch dann, wenn es sich auf einen abgelaufenen Stichtag bezieht.

Ein solcher Bestätigungsvermerk begründet zumindest das Vertrauen, dass die Anlage in dem bestätigten Umfang zu dem maßgeblichen Zeitpunkt keine Mängel aufwies, die zur Verweigerung oder Einschränkung des Testats hätten führen müssen. Auch wenn bis zur Anlageentscheidung mit der zwischenzeitlichen Erstellung eines neuen Testats zu rechnen gewesen sein mag, wirkt dieses Vertrauen insoweit fort, als der Anleger nur mit einer seither eingetretenen Veränderung der Verhältnisse rechnen muss, nicht aber damit, dass zu dem für den im Prospekt wiedergegebenen Bestätigungsvermerk maßgeblichen Prüfungszeitpunkt strukturelle Mängel der Anlage bestanden, die sich noch auswirken.

Erst wenn, was hier aber nicht der Fall ist, zwischen dem Prüfungsstichtag und dem Anlageentschluss eine so lange Zeit verstrichen ist, dass mit wesentlichen, auch die Grundlagen des Unternehmens erfassenden Änderungen der Verhältnisse gerechnet werden muss, kann die durch Lebenserfahrung begründete Vermutung der Ursächlichkeit des unrichtigen Bestätigungsvermerks für die Anlageentscheidung nicht mehr eingreifen. Das OLG hat offen gelassen, ob der Prospektfehler deshalb nicht ursächlich für einen Schaden der Kläger wurde, weil die ursprünglich von ihnen gehaltenen Inhaberschuldverschreibungen bereits vor dem Umtausch in die neuen Papiere wertlos waren. Im Revisionsverfahren ist deshalb zugunsten der Kläger davon auszugehen, dass dies nicht der Fall ist. Da zur abschließenden Prüfung der geltend gemachten Ansprüche weitere Feststellungen erforderlich sind, war die Sache an das OLG zurückzuverweisen.

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