Zum Widerrufsrecht beim Kauf an einem Messestand
EuGH 7.8.2018, C‑485/17Bei der Beklagten handelt es sich um die Vertriebsgesellschaft Unimatic, die u.a. auf der jährlich in Berlin stattfindenden Messe Grüne Woche Produkte verkauft. Sie setzt ihre Produkte ausschließlich auf Messen ab. Im Januar 2015 hatte ein Kunde am Stand von Unimatic für 1.600 € einen Dampfstaubsauger bestellt. Die Beklagte belehrte den Kunden allerdings nicht darüber, dass nach deutschem Recht im Einklang mit Art. 9 der Richtlinie 2011/83 ein Widerrufsrecht bestehe.
Die Klagende Verbraucherzentrale war der Ansicht, Unimatic hätte den Kunden über das Bestehen eines Widerrufsrechts informieren müssen, da der Kaufvertrag außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen worden sei. LG und OLG wiesen die Klage, mit der auf Unterlassung des Verkaufs der Produkte ohne Belehrung der Verbraucher über deren Widerrufsrecht ab. Auf die Revision der Klägerin hat der BGH das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Handelt es sich bei einem Messestand in einer Halle, den ein Unternehmer während einer für wenige Tage im Jahr stattfindenden Messe zum Zweck des Verkaufs seiner Produkte nutzt, um einen unbeweglichen Gewerberaum i.S.v. Art. 2 Nr. 9a der Richtlinie 2011/83 oder um einen beweglichen Gewerberaum i.S.v. Art. 2 Nr. 9b der Richtlinie 2011/83?
2.Für den Fall, dass es sich um einen beweglichen Gewerberaum handelt:
Ist die Frage, ob ein Unternehmer seine Tätigkeit "für gewöhnlich" auf Messeständen ausübt, danach zu beantworten,
a) wie der Unternehmer seine Tätigkeit organisiert oder
b) ob der Verbraucher mit dem Vertragsschluss über die in Rede stehenden Waren auf der konkreten Messe rechnen muss?
3. Für den Fall, dass es bei der Antwort auf die zweite Frage auf die Sicht des Verbrauchers ankommt (Frage 2 b):
Ist bei der Frage, ob der Verbraucher mit dem Vertragsschluss über die konkreten Waren auf der in Rede stehenden Messe rechnen muss, darauf abzustellen, wie die Messe in der Öffentlichkeit präsentiert wird, oder darauf, wie die Messe sich dem Verbraucher bei Abgabe der Vertragserklärung tatsächlich darstellt?
Der EuGH hält es für möglich, dass ein Messestand ein beweglicher Gewerberaum ist, in dem der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt, sodass kein Widerrufsrecht des Verbrauchers bestünde.
Die Gründe:
Der Messestand eines Unternehmers, an dem dieser seine Tätigkeiten an wenigen Tagen im Jahr ausübt, fällt unter den Begriff "Geschäftsräume", wenn in Anbetracht aller tatsächlichen Umstände rund um diese Tätigkeiten und insbesondere des Erscheinungsbilds des Messestandes sowie der vor Ort auf der Messe selbst verbreiteten Informationen ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Verbraucher vernünftigerweise damit rechnen konnte, dass der betreffende Unternehmer dort seine Tätigkeiten ausübt und ihn anspricht, um einen Vertrag zu schließen, was vom nationalen Gericht zu prüfen ist.
Diese Auslegung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass sich Art. 2 Nr. 9a der Richtlinie 2011/83 für unbewegliche Räumlichkeiten auf gewerbliche Tätigkeiten bezieht, die vom betreffenden Unternehmer nicht "für gewöhnlich", sondern "dauerhaft" ausgeübt werden. Bei solchen Räumlichkeiten wird nämlich der Umstand an sich, dass die betreffende Tätigkeit dort dauerhaft ausgeübt wird, zwangsläufig bedeuten, dass sie sich für einen Verbraucher als "üblich" oder "gewöhnlich" darstellen wird. In Anbetracht der Dauerhaftigkeit, die die in solchen Geschäftsräumen ausgeübte Tätigkeit aufweisen muss, kann der Verbraucher von der Art Angebot, die ihm dort etwa gemacht wird, nicht überrascht werden.
Was genauer eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende betrifft, in der ein Unternehmer seine Tätigkeiten an einem Messestand ausübt, ist daran zu erinnern, dass Markt- und Messestände, wie im 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/83 ausgeführt, als Geschäftsräume behandelt werden sollen, wenn sie diese Bedingung erfüllen. Aus diesem Erwägungsgrund geht auch hervor, dass Verkaufsstätten, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit saisonal ausübt, etwa während der Fremdenverkehrssaison an einem Skiort oder Seebadeort, als Geschäftsräume angesehen werden sollen, wenn der Unternehmer seine Tätigkeit in diesen Geschäftsräumen für gewöhnlich ausübt. Dagegen sollen der Öffentlichkeit zugängliche Orte wie Straßen, Einkaufszentren, Strände, Sportanlagen und öffentliche Verkehrsmittel, die der Unternehmer ausnahmsweise für seine Geschäftstätigkeiten nutzt, sowie Privatwohnungen oder Arbeitsplätze nicht als Geschäftsräume gelten.
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