Zur Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile bei einem Skiunfall
BGH 28.4.2015, VI ZR 206/14Der Kläger hatte im März 2009 seine Skiferien in Österreich verbracht. Am 9.3.2009 gegen 14.00 Uhr überquerte er auf seinen Skiern vom Skilift kommend die Zufahrt zu einer Jugendherberge, auf der Schüler mit ihrem Sportlehrer, dem Beklagten, standen. Als der Kläger sich an der Gruppe vorbeischieben wollte, trat der Beklagte, der einen ihm aus der Gruppe zugeworfenen Gegenstand fangen wollte, nach hinten. Er warf den Kläger um und fiel auf ihn.
Der Kläger erlitt u.a. einen Oberschenkelhalsbruch. Die Haftpflichtversicherung des Beklagten zahlte daraufhin vorgerichtlich auf den materiellen Schaden des Klägers, der als Zahnarzt arbeitet, 14.000 € und auf den Schmerzensgeldanspruch 7.000 €. Mit seiner Klage begehrte der Kläger u.a. weiteren materiellen und immateriellen Schadensersatz sowie die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden, die auf dem Unfallereignis beruhen, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind.
LG und KG verneinten ein Verschulden des Beklagten und wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH den Beschluss der Vorinstanz auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das KG.
Gründe:
Nach BGH-Rechtsprechung ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben. Die unter diesem Gesichtspunkt vorzunehmende Abwägung kann zwar bei besonderen Fallgestaltungen zu dem Ergebnis führen, dass einer der Beteiligten allein für den Schaden aufkommen muss, eine vollständige Überbürdung des Schadens auf einen der Beteiligten ist aber unter dem Gesichtspunkt der Mitverursachung nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehen. Diesen Grundsätzen wurde die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht gerecht.
Das Berufungsgericht hatte das Maß der Sorgfalt des Geschädigten gegen sich selbst überspannt. Der Vorschrift des § 254 BGB liegt der allgemeine Rechtsgedanke zugrunde, dass der Geschädigte für jeden Schaden mitverantwortlich ist, bei dessen Entstehung er in zurechenbarer Weise mitgewirkt hat. § 254 BGB ist eine Ausprägung des in § 242 BGB festgelegten Grundsatzes von Treu und Glauben. Um dem Beklagten ausweichen oder diesen warnen zu können, hätte der Kläger die ihm drohende Gefahr rechtzeitig erkennen können müssen. Hierzu wurde jedoch bisher nichts festgestellt. Somit kann dem Kläger auch nicht vorgeworfen werden, dass er nicht durch Zuruf auf sich aufmerksam gemacht hat.
Für die Abwägung der Verursachungsanteile im Rahmen des § 254 Abs. 1 BGB ist außerdem nur Verhalten maßgebend, das sich erwiesenermaßen als Gefahrenmoment in dem Unfall ursächlich niedergeschlagen hat. Das KG hätte danach klären müssen, ob der Beklagte, der seinerseits durch die Gruppe abgelenkt war, auf einen Zuruf rechtzeitig reagiert hätte. Auch eine aufgrund einer Ansammlung von Personen gegebene räumliche Enge auf einer Zufahrtsstraße ohne Durchgangsverkehr begründet nicht von vornherein eine kritische Situation und die Pflicht des Passanten, der Gruppe weiträumig auszuweichen.
Rechtsfehlerhaft begründete das Berufungsgericht schließlich seine Abwägung mit der Vermutung, dass der Kläger einem besonderen Verletzungsrisiko wegen der Skiausrüstung und der Bewegung auf Skiern ausgesetzt gewesen sei. Denn nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben bei der Abwägung außer Betracht zu bleiben. Nur wenn das Maß der Verantwortlichkeit beider Teile feststeht, ist eine sachgemäße Abwägung möglich. Die vollumfängliche Anspruchskürzung gem. § 254 Abs. 1 BGB zu Lasten des Klägers lässt sich nicht damit begründen, dass objektiv eine überwiegende Mitverursachung des Verletzungsausmaßes durch den Kläger anzunehmen sei, weil dieser sich auf öffentlichem Straßengrund in voller Skiausrüstung bewegt hat.
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