30.03.2016

Zur analogen Anwendung des gesetzlichen Kündigungsrechtes bei zuteilungsreifen Bausparverträgen

Wird der Aufforderung zur Zahlung von Sparleistungen nicht Folge geleistet, hat die Bausparkasse ein (kurzfristiges) vertragliches Kündigungsrecht und es dadurch selbst in der Hand, eine überlange Bindung an den Vertragszinssatz zu verhindern. Wenn sie aber selbst (möglicherweise im eigenen Interesse) ein faktisches Ruhen des Bausparvertrages erlaubt und ein vertragliches Kündigungsrecht nicht nutzt, ist sie nicht schutzbedürftig und kann sich nicht später auf eine analoge Anwendung eines gesetzlichen Kündigungsrechts berufen.

OLG Stuttgart 30.3.2016, 9 U 171/15
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte im Jahr 1978 einen Bausparvertrag mit einer Bausparsumme von 40.000 DM (rund 20.451 €) bei der Beklagten abgeschlossen. Für die Laufzeit erhielt sie für von ihr eingezahlte Raten einen Guthabenzinssatz von 3 % p. a. bei einem Bauspardarlehenszinssatz von 5 % p. a. Der Vertrag wurde 1993 zuteilungsreif.

Nach Zuteilungsreife stellte die Klägerin die regelmäßige Zahlung der Sparraten ein, ohne ein Bauspardarlehen in Anspruch zu nehmen. Im Januar 2015, also knapp 22 Jahre nach Eintritt der Zuteilungsreife, kündigte die Beklagte den Bausparvertrag. Das Bausparguthaben belief sich zu diesem Zeitpunkt auf ca. 15.000 €; die Bausparsumme war also nicht vollständig angespart.

Das LG wies die gegen die Kündigung gerichtete Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin hob das OLG das Urteil auf und gab der Klage statt. Allerdings wurde die Revision zum BGH zugelassen.

Die Gründe:
Die Kündigung der beklagten Bausparkasse war unberechtigt.

Die Beklagte konnte sich nicht auf die Vorschrift des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB berufen, wonach ein Darlehensnehmer das Darlehen zehn Jahre nach dessen vollständigem Empfang kündigen kann. Schließlich ist der Bausparer nach den Allgemeinen Bausparbedingungen (§ 5 Abs. 1 ABB) verpflichtet, Regelsparbeiträge bis zur erstmaligen Auszahlung der Bausparsumme zu zahlen. Vor Ende dieser Pflicht hat die Bausparkasse das als Darlehen anzusehende Guthaben nicht vollständig empfangen. Der Zeitpunkt der Zuteilungsreife spielt nach den Vertragsbedingungen keine Rolle.

Die gesetzliche Kündigungsvorschrift ist auch nicht analog anwendbar. Die überlange Vertragsdauer beruhte im vorliegenden Fall zwar auf der vertragswidrigen Einstellung der Sparleistungen durch die Klägerin. Dies muss eine Bausparkasse aber nicht hinnehmen: Nach den Vertragsbedingungen kann sie die Klägerin auffordern, die vertraglich geschuldeten Sparbeiträge wieder zu leisten. Wird der Aufforderung nicht Folge geleistet, hat die Bausparkasse ein (kurzfristiges) vertragliches Kündigungsrecht und es dadurch selbst in der Hand, eine überlange Bindung an den Vertragszinssatz zu verhindern.

Im Fall der ordnungsgemäßen Vertragsdurchführung wäre die Bausparsumme innerhalb von zehn Jahren ab Zuteilungsreife vollständig angespart worden. Wenn die Bausparkasse selbst - wie im vorliegenden Fall (möglicherweise im eigenen Interesse) - ein faktisches Ruhen des Bausparvertrages erlaubt und ein vertragliches Kündigungsrecht nicht nutzt, ist sie nicht schutzbedürftig und kann sich nicht später auf eine analoge Anwendung eines gesetzlichen Kündigungsrechts berufen.

Die Revision zum BGH wurde zugelassen, weil die Frage der Anwendung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB auf zuteilungsreife Bausparverträge grundsätzliche Bedeutung hat und andere OLG eine gegenteilige Auffassung vertreten.

OLG Stuttgart PM vom 30.3.2016
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