Zur Arbeitsunfähigkeit eines Rechtsanwalts wegen einer infolge eins Schlaganfalls erlittenen Lesestörung
BGH 3.4.2013, IV ZR 239/11Der klagende Rechtsanwalt macht Leistungsansprüche aus einer bei der Beklagten unterhaltenen Krankentagegeldversicherung für die Zeit von Juni 2010 bis Juni 2011 geltend. Dieser Versicherung liegen Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Krankentagegeldversicherung (AVB/KT 2008) zugrunde, in denen es insoweit im Wesentlichen gleichlautend mit den Musterbedingungen 2009 für die Krankentagegeldversicherung des Verbandes der privaten Krankenversicherung (MB/KT) u.a. wie folgt heißt:
"§ 1 Gegenstand, Umfang und Geltungsbereich des Versicherungsschutzes
- Der Versicherer bietet Versicherungsschutz gegen Verdienstausfall als Folge von Krankheiten oder Unfällen, soweit dadurch Arbeitsunfähigkeit verursacht wird. Er zahlt im Versicherungsfall für die Dauer einer Arbeitsunfähigkeit ein Krankentagegeld in vertraglichem Umfang.
- Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen, in deren Verlauf Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung; er endet, wenn nach medizinischem Befund keine Arbeitsunfähigkeit und keine Behandlungsbedürftigkeit mehr bestehen.
- Arbeitsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen liegt vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderen Erwerbstätigkeit nachgeht."
Nach § 15 der Bedingungen endet das Versicherungsverhältnis u.a. mit Eintritt der Berufsunfähigkeit der versicherten Person.
Aufgrund eines leichten Schlaganfalls mit der Folge einer Lesestörung (Dyslexie) war der Kläger jedenfalls ab dem 23.8.2006 arbeitsunfähig. Die Beklagte zahlte ihm daraufhin das vereinbarte Krankentagegeld, stellte die Zahlungen jedoch im Juli 2007 ein, weil sie der Auffassung war, dass das Versicherungsverhältnis durch den Eintritt von Berufsunfähigkeit beendet sei. Auf die daraufhin erhobene Klage wurde die Beklagte rechtskräftig zur Zahlung von Krankentagegeld bis Ende Februar 2009 verurteilt. Sie nahm danach die Zahlungen wieder auf, kündigte aber im März 2010 erneut die Einstellung der Zahlungen an, weil nunmehr Berufsunfähigkeit vorliege.
Das LG gab der auf Zahlung von Krankentagegeld für den oben genannten Zeitraum i.H.v. insgesamt rd. 37.000 € gerichteten Klage statt; das OLG wies sie ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Die Feststellungen des OLG vermögen dessen Annahme einer teilweise gegebenen Arbeitsfähigkeit des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum nicht zu tragen.
Im Ansatz zutreffend geht das OLG noch davon aus, dass bereits eine nur zum Teil gegebene Arbeitsfähigkeit genügt, um den Anspruch auf Krankentagegeld auszuschließen. Diese setzt aber voraus, dass der Versicherungsnehmer in der Lage ist, dem ausgeübten Beruf in seiner konkreten Ausgestaltung mindestens teilweise nachzugehen. Hierfür genügt es aber entgegen der Auffassung des OLG nicht, dass der Versicherte lediglich zu einzelnen Tätigkeiten in der Lage ist, die im Rahmen seiner Berufstätigkeit zwar auch anfallen, isoliert aber keinen Sinn ergeben.
Dies schließt es aus, bei einem selbständig tätigen Rechtsanwalt, der eigenständig Mandate bearbeitet, nur auf einen Ausschnitt der dabei anfallenden Aufgaben, wie etwa das Führen von Mandantengesprächen, abzustellen. Vielmehr stellt die Fähigkeit zum flüssigen Lesen und Durcharbeiten von Texten regelmäßig eine Grundvoraussetzung für das Ausüben des juristischen Berufs dar; für den Beruf des Rechtsanwalts ist eine weitgehend erhaltene Lesefähigkeit unabdingbar. Nur so ist für den Rechtsanwalt mag auch eine Übernahme von Mandaten nur in reduziertem Umfang möglich sein die Fähigkeit zur umfassenden Bearbeitung dieser übernommenen Mandate und Vertretung des Mandanten gegeben.
Nicht zu folgen ist der Annahme des OLG, der Kläger könne zumindest ein bis zwei Mandate pro Woche bearbeiten, wenn er sich auf Mandate für "einfache Kündigungsschutzklagen" und i.Ü. auf Rechtsgebiete beschränke, in denen eine Fortbildung durch Vorträge möglich sei, so dass sein Haftungsrisiko das gewöhnliche Maß nicht übersteige. Das OLG hat die Anforderungen, die an einen Rechtsanwalt bei seiner Berufsausübung nach gefestigter Rechtsprechung zu stellen sind, in grundsätzlicher Weise verkannt, weshalb die getroffenen Feststellungen die Annahme einer teilweise wiederhergestellten Arbeitsfähigkeit nicht zu tragen vermögen.
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