Zur Ausschlussfrist des § 676b Abs. 2 BGB und zur Haftung des Bürgen
BGH v. 11.7.2023 - XI ZR 111/22
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung aus einer selbstschuldnerischen Höchstbetragsbürgschaft in Anspruch. Die Klägerin schloss mit der Hauptschuldnerin, einer GmbH, im Mai 2012 einen Darlehensvertrag über einen Kreditrahmen von zunächst 100.000 €. Die Hauptschuldnerin nahm das Darlehen als Kontokorrentkredit für ihr Konto bei der Klägerin in Anspruch. Mit einem ersten Nachtrag im Januar 2015 wurde der Kreditrahmen auf 130.000 € und mit einem zweiten Nachtrag im Juni/Juli 2015 auf 150.000 € erhöht. Der Beklagte übernahm am 19.1.2015 für bestehende und künftige Forderungen der Klägerin gegen die Hauptschuldnerin eine selbstschuldnerische Bürgschaft bis zu einem Höchstbetrag von 150.000 €.
Nachdem die Hauptschuldnerin die Klägerin über die Einstellung ihres Geschäftsbetriebs in Kenntnis gesetzt hatte, kündigte die Klägerin den Darlehensvertrag mit der Hauptschuldnerin mit Schreiben vom 3.7.2017 aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung und forderte diese erfolglos auf, die in Anspruch genommene Darlehenssumme zurückzuzahlen. Sodann nahm die Klägerin den Beklagten aus der Bürgschaft in Anspruch und forderte ihn ebenfalls erfolglos auf, einen Betrag i.H.v. rd. 150.000 € bis zum 18.8.2017 zu zahlen. Um die Höhe des eingeklagten Betrags darzustellen und nachzuweisen, legte die Klägerin umfangreiche Kontoauszüge über das streitgegenständliche Kontokorrentkonto der Hauptschuldnerin vor.
Der Beklagte bestritt zunächst die Berechtigung sämtlicher in den Kontoauszügen enthaltenen Belastungsbuchungen mit Nichtwissen. Im weiteren Verlauf rügte er u.a., dass die Klägerin nicht darlege, woraus sich die Höhe der von ihr abgebuchten Zinsen, Überziehungs- und Kreditprovisionen sowie Kosten ergebe. Zudem bestritt er die Autorisierung der vorgenommenen Belastungsbuchungen. Die Klägerin nahm den Beklagten erstinstanzlich auf Zahlung von rd. 150.000 € nebst Zinsen in Anspruch.
LG und OLG gaben der Klage statt. Auf die Revision des Beklagten hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Rechtsfehlerhaft hat das OLG angenommen, dass sich die Klägerin auf den Abrechnungssaldo zum 30.6.2017 deshalb berufen könne, weil der Beklagte diesen Saldo aufgrund des in § 676b Abs. 2 BGB geregelten Einwendungsausschlusses nicht mehr bestreiten könne. Das OLG hat rechtsfehlerhaft den Anwendungsbereich des § 676b Abs. 2 Satz 1 BGB auf alle vom Beklagten erhobenen Einwendungen erstreckt. § 676b Abs. 2 Satz 1 BGB umfasst jedoch nur die Einwendungen, mit denen sich der Beklagte auf eine fehlende Autorisierung der Zahlungsvorgänge beruft. Einwendungen, mit denen der Beklagte geltend macht, dass die von der Klägerin beanspruchten Gebühren-, Zins- und Provisionsansprüche nicht oder nicht in der geforderten Höhe bestehen, fallen nicht unter § 676b Abs. 2 BGB. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Zahlungsdienstleister vorliegend auch der Zahlungsempfänger ist.
Zutreffend hat das OLG erkannt, dass sich ein Einwendungsausschluss nach § 676b Abs. 2 Satz 1 BGB aufgrund der Bestimmungen des Bürgschaftsrechts zulasten des Bürgen auswirkt. Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich daraus, dass § 676b Abs. 2 BGB der Umsetzung von Art. 58 der Richtlinie 2007/64/EG dient, nichts anderes. Das Unionsrecht trifft keine Aussage dazu, wie sich ein Einwendungsausschluss nach Art. 58 der Richtlinie 2007/64/EG auf das Bürgschaftsverhältnis auswirkt. Ein weitergehender Gehalt kann entgegen der Meinung der Revision auch der Umsetzungsvorschrift des § 676b Abs. 2 BGB nicht beigemessen werden. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit dieser Regelung eine Anwendbarkeit des nationalen Bürgschaftsrechts ausschließen wollte.
Der dort verankerte Grundsatz der Akzessorietät führt dazu, dass auch der Bürge die vom Hauptschuldner nicht beanstandeten unautorisierten oder fehlerhaft ausgeführten Zahlungsvorgänge gegen sich gelten lassen muss, wenn die Ansprüche und Einwendungen des Hauptschuldners wegen Fristablaufs nach § 676b Abs. 2 Satz 1 BGB ausgeschlossen und daher automatisch erloschen sind. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Vorschrift des § 768 Abs. 2 BGB nicht entsprechend anwendbar. Gem. § 768 Abs. 2 BGB verliert der Bürge eine Einrede nicht dadurch, dass der Hauptschuldner auf sie verzichtet. Die Untätigkeit des Zahlungsdienstnutzers auf einen nicht autorisierten oder fehlerhaft ausgeführten Zahlungsvorgang hin ist jedoch einem rechtsgeschäftlichen Verzicht auf eine Einrede nicht gleichzustellen.
Nach § 676b Abs. 2 Satz 2 BGB beginnt der Lauf der 13-monatigen Ausschlussfrist nur, wenn der Zahlungsdienstleister den Zahlungsdienstnutzer über die den Zahlungsvorgang betreffenden Angaben gem. Art. 248 §§ 7, 10 oder § 14 EGBGB unterrichtet hat. Gem. dem bei Zahlungsdiensterahmenverträgen anzuwendenden Art. 248 § 7 EGBGB hat der Zahlungsdienstleister des Zahlers diesem unverzüglich die in den Nrn. 1 bis 5 enthaltenen Informationen mitzuteilen. Rechtsfehlerhaft ist das OLG aufgrund der bisherigen Feststellungen jedoch zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte die Hauptschuldnerin über die Kennung und die übrigen Informationen i.S.d. § 676b Abs. 2 Satz 2 BGB unterrichtet hat.
Unterrichtung wird dabei als Oberbegriff für "Mitteilen" bzw. "Übermittlung" auf der einen und "Zugänglichmachen" auf der anderen Seite verwendet. Die konkret geschuldete Art der Unterrichtung ergibt sich jeweils aus Art. 248 EGBGB. Der vorliegend anwendbare Art. 248 § 7 EGBGB verlangt, dass der Zahlungsdienstleister bestimmte Informationen mitteilt. "Mitteilen" beinhaltet, dass die erforderlichen Informationen vom Zahlungsdienstleister zu dem in der Richtlinie geforderten Zeitpunkt von sich aus übermittelt werden, ohne dass der Zahlungsdienstnutzer sie ausdrücklich anfordern muss. Davon abzugrenzen ist das "Zugänglichmachen", das neben der Bereitstellung der Information durch den Zahlungsdienstleister eine aktive Beteiligung des Zahlungsdienstnutzers erfordert. Gemäß Art. 248 § 10 EGBGB steht es Zahlungsdienstleistern und -nutzern frei, zu vereinbaren, dass in den Fällen der Art. 248 §§ 7 bis 9 EGBGB ein Zugänglichmachen ausreicht. Feststellungen zu einer entsprechenden Vereinbarung oder gar einer Mitteilung durch Rechnungsabschlüsse, wie von der Klägerin behauptet, hat das OLG jedoch nicht getroffen. Nach dem Vortrag der Klägerin, auf den sich das OLG gestützt hat, stellt das der Hauptschuldnerin angebotene Online-Banking nur ein Zugänglichmachen dar, da die Klägerin letztlich nur betont, dass die Hauptschuldnerin die Möglichkeit hatte, sich selbst Kenntnis zu verschaffen. Das genügt für das von Art. 248 § 7 EGBGB geforderte Mitteilen nicht.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung (Vorinstanz):
Zur Ausschlussfrist des § 676b Abs. 2 BGB und die Haftung des Bürgen
OLG Köln vom 28.10.2021 - 12 U 216/20
ZIP 2022, 1803
Kommentierung | BGB
§ 676b Anzeige nicht autorisierter oder fehlerhaft ausgeführter Zahlungsvorgänge
Graf v Westphalen in Erman, BGB, 16./17. Aufl. 2020/2023
9/2020
Kommentierung | BGB
§ 768 Einreden des Bürgen
Zetzsche in Erman, BGB, 16./17. Aufl. 2020/2023
9/2020
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Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung aus einer selbstschuldnerischen Höchstbetragsbürgschaft in Anspruch. Die Klägerin schloss mit der Hauptschuldnerin, einer GmbH, im Mai 2012 einen Darlehensvertrag über einen Kreditrahmen von zunächst 100.000 €. Die Hauptschuldnerin nahm das Darlehen als Kontokorrentkredit für ihr Konto bei der Klägerin in Anspruch. Mit einem ersten Nachtrag im Januar 2015 wurde der Kreditrahmen auf 130.000 € und mit einem zweiten Nachtrag im Juni/Juli 2015 auf 150.000 € erhöht. Der Beklagte übernahm am 19.1.2015 für bestehende und künftige Forderungen der Klägerin gegen die Hauptschuldnerin eine selbstschuldnerische Bürgschaft bis zu einem Höchstbetrag von 150.000 €.
Nachdem die Hauptschuldnerin die Klägerin über die Einstellung ihres Geschäftsbetriebs in Kenntnis gesetzt hatte, kündigte die Klägerin den Darlehensvertrag mit der Hauptschuldnerin mit Schreiben vom 3.7.2017 aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung und forderte diese erfolglos auf, die in Anspruch genommene Darlehenssumme zurückzuzahlen. Sodann nahm die Klägerin den Beklagten aus der Bürgschaft in Anspruch und forderte ihn ebenfalls erfolglos auf, einen Betrag i.H.v. rd. 150.000 € bis zum 18.8.2017 zu zahlen. Um die Höhe des eingeklagten Betrags darzustellen und nachzuweisen, legte die Klägerin umfangreiche Kontoauszüge über das streitgegenständliche Kontokorrentkonto der Hauptschuldnerin vor.
Der Beklagte bestritt zunächst die Berechtigung sämtlicher in den Kontoauszügen enthaltenen Belastungsbuchungen mit Nichtwissen. Im weiteren Verlauf rügte er u.a., dass die Klägerin nicht darlege, woraus sich die Höhe der von ihr abgebuchten Zinsen, Überziehungs- und Kreditprovisionen sowie Kosten ergebe. Zudem bestritt er die Autorisierung der vorgenommenen Belastungsbuchungen. Die Klägerin nahm den Beklagten erstinstanzlich auf Zahlung von rd. 150.000 € nebst Zinsen in Anspruch.
LG und OLG gaben der Klage statt. Auf die Revision des Beklagten hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Rechtsfehlerhaft hat das OLG angenommen, dass sich die Klägerin auf den Abrechnungssaldo zum 30.6.2017 deshalb berufen könne, weil der Beklagte diesen Saldo aufgrund des in § 676b Abs. 2 BGB geregelten Einwendungsausschlusses nicht mehr bestreiten könne. Das OLG hat rechtsfehlerhaft den Anwendungsbereich des § 676b Abs. 2 Satz 1 BGB auf alle vom Beklagten erhobenen Einwendungen erstreckt. § 676b Abs. 2 Satz 1 BGB umfasst jedoch nur die Einwendungen, mit denen sich der Beklagte auf eine fehlende Autorisierung der Zahlungsvorgänge beruft. Einwendungen, mit denen der Beklagte geltend macht, dass die von der Klägerin beanspruchten Gebühren-, Zins- und Provisionsansprüche nicht oder nicht in der geforderten Höhe bestehen, fallen nicht unter § 676b Abs. 2 BGB. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Zahlungsdienstleister vorliegend auch der Zahlungsempfänger ist.
Zutreffend hat das OLG erkannt, dass sich ein Einwendungsausschluss nach § 676b Abs. 2 Satz 1 BGB aufgrund der Bestimmungen des Bürgschaftsrechts zulasten des Bürgen auswirkt. Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich daraus, dass § 676b Abs. 2 BGB der Umsetzung von Art. 58 der Richtlinie 2007/64/EG dient, nichts anderes. Das Unionsrecht trifft keine Aussage dazu, wie sich ein Einwendungsausschluss nach Art. 58 der Richtlinie 2007/64/EG auf das Bürgschaftsverhältnis auswirkt. Ein weitergehender Gehalt kann entgegen der Meinung der Revision auch der Umsetzungsvorschrift des § 676b Abs. 2 BGB nicht beigemessen werden. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit dieser Regelung eine Anwendbarkeit des nationalen Bürgschaftsrechts ausschließen wollte.
Der dort verankerte Grundsatz der Akzessorietät führt dazu, dass auch der Bürge die vom Hauptschuldner nicht beanstandeten unautorisierten oder fehlerhaft ausgeführten Zahlungsvorgänge gegen sich gelten lassen muss, wenn die Ansprüche und Einwendungen des Hauptschuldners wegen Fristablaufs nach § 676b Abs. 2 Satz 1 BGB ausgeschlossen und daher automatisch erloschen sind. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Vorschrift des § 768 Abs. 2 BGB nicht entsprechend anwendbar. Gem. § 768 Abs. 2 BGB verliert der Bürge eine Einrede nicht dadurch, dass der Hauptschuldner auf sie verzichtet. Die Untätigkeit des Zahlungsdienstnutzers auf einen nicht autorisierten oder fehlerhaft ausgeführten Zahlungsvorgang hin ist jedoch einem rechtsgeschäftlichen Verzicht auf eine Einrede nicht gleichzustellen.
Nach § 676b Abs. 2 Satz 2 BGB beginnt der Lauf der 13-monatigen Ausschlussfrist nur, wenn der Zahlungsdienstleister den Zahlungsdienstnutzer über die den Zahlungsvorgang betreffenden Angaben gem. Art. 248 §§ 7, 10 oder § 14 EGBGB unterrichtet hat. Gem. dem bei Zahlungsdiensterahmenverträgen anzuwendenden Art. 248 § 7 EGBGB hat der Zahlungsdienstleister des Zahlers diesem unverzüglich die in den Nrn. 1 bis 5 enthaltenen Informationen mitzuteilen. Rechtsfehlerhaft ist das OLG aufgrund der bisherigen Feststellungen jedoch zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte die Hauptschuldnerin über die Kennung und die übrigen Informationen i.S.d. § 676b Abs. 2 Satz 2 BGB unterrichtet hat.
Unterrichtung wird dabei als Oberbegriff für "Mitteilen" bzw. "Übermittlung" auf der einen und "Zugänglichmachen" auf der anderen Seite verwendet. Die konkret geschuldete Art der Unterrichtung ergibt sich jeweils aus Art. 248 EGBGB. Der vorliegend anwendbare Art. 248 § 7 EGBGB verlangt, dass der Zahlungsdienstleister bestimmte Informationen mitteilt. "Mitteilen" beinhaltet, dass die erforderlichen Informationen vom Zahlungsdienstleister zu dem in der Richtlinie geforderten Zeitpunkt von sich aus übermittelt werden, ohne dass der Zahlungsdienstnutzer sie ausdrücklich anfordern muss. Davon abzugrenzen ist das "Zugänglichmachen", das neben der Bereitstellung der Information durch den Zahlungsdienstleister eine aktive Beteiligung des Zahlungsdienstnutzers erfordert. Gemäß Art. 248 § 10 EGBGB steht es Zahlungsdienstleistern und -nutzern frei, zu vereinbaren, dass in den Fällen der Art. 248 §§ 7 bis 9 EGBGB ein Zugänglichmachen ausreicht. Feststellungen zu einer entsprechenden Vereinbarung oder gar einer Mitteilung durch Rechnungsabschlüsse, wie von der Klägerin behauptet, hat das OLG jedoch nicht getroffen. Nach dem Vortrag der Klägerin, auf den sich das OLG gestützt hat, stellt das der Hauptschuldnerin angebotene Online-Banking nur ein Zugänglichmachen dar, da die Klägerin letztlich nur betont, dass die Hauptschuldnerin die Möglichkeit hatte, sich selbst Kenntnis zu verschaffen. Das genügt für das von Art. 248 § 7 EGBGB geforderte Mitteilen nicht.
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OLG Köln vom 28.10.2021 - 12 U 216/20
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Zetzsche in Erman, BGB, 16./17. Aufl. 2020/2023
9/2020
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