Zur Aussetzungsentscheidung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG
BGH v. 30.4.2019 - XI ZB 13/18
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hat im März 2007 eine Fondsbeteiligung an der S. Immobilienfonds gezeichnet. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dieser Zeichnung eine Beratung durch die Beklagte vorausgegangen war. Die Klägerin behauptete hierzu, sie habe sich von ihrem Vater, dem Zeugen Dr. K, vertreten lassen, der auf einer von der Beklagten organisierten Frankreichreise einen der Kundenberater der Beklagten, den Zeugen G, kennengelernt habe. Dieser habe ihrem Vater erklärt, dass eine Beteiligung an dem Fonds direkt über die Beklagte erfolgen könne. Danach habe sie den ihr übersandten Zeichnungsschein unterzeichnet und an die Beklagte zurückgeschickt.
Die Klägerin war der Ansicht, sie bzw. ihr Vater seien von der Beklagten nicht ordnungsgemäß beraten worden, weil sie u.a. über die Höhe der von der Beklagten vereinnahmten Rückvergütung getäuscht worden sei. Zudem sei der zugehörige Prospekt, der der Klägerin rechtzeitig vor der Zeichnung der Fondsbeteiligung vorlag, in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft, worauf die Beklagte sie ebenfalls nicht hingewiesen habe. Infolgedessen nahm die Klägerin die Beklagte wegen fehlerhafter Anlageberatung auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Beklagte behauptet demgegenüber, sie sei zwar Initiatorin und Anbieterin des geschlossenen Immobilienfonds gewesen, aber nicht als Beraterin oder Vermittlerin der Anlage aufgetreten. Der Zeuge G sei nicht im Endkundengeschäft tätig, sondern mit der Vertriebspartnerbetreuung befasst. Da Informationsreisen für neu aufgelegte Fonds nur für Vertriebspartner organisiert worden seien, habe der Vater der Klägerin den Zeugen G auf einer solchen Reise nicht kennenlernen können. Zudem befinde sich auf dem von der Klägerin vorgelegten Zeichnungsschein über den vorgesehenen Feldern für den jeweiligen Einreicher und Vermittler ein Stempel der Firma "W. GmbH".
Am 9.2.2017 erließ das LG einen Vorlagebeschluss gem. § 6 Abs. 1 KapMuG, der am 22.2.2017 im Klageregister des Bundesanzeigers bekannt gemacht wurde. Die Feststellungsziele des Vorlagebeschlusses sind u.a. auf die Feststellung der von der Klägerin gerügten Prospektfehler des Emissionsprospekts betreffend die S. Immobilienfonds gerichtet. Das Musterverfahren ist mittlerweile beim OLG anhängig. Mit Beschluss vom 8.8.2017 hat das LG den mit Klageschrift vom 16.12.2016 eingeleiteten Rechtsstreit gem. § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzt. Die gegen den Aussetzungsbeschluss eingelegte sofortige Beschwerde hat das OLG zurückgewiesen. Auf die Rechtsbeschwerde hat der BGH die Beschlüsse der Vorinstanzen aufgehoben und Fortsetzung des Verfahrens angeordnet.
Gründe:
Der verfassungsrechtliche Grundsatz effektiven Rechtsschutzes erfordert eine Auslegung des § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG, nach der eine Aussetzung nur dann in Betracht kommt, wenn sich das Prozessgericht bereits die Überzeugung (§ 286 ZPO) gebildet hat, dass es auf dort statthaft geltend gemachte Feststellungsziele für den Ausgang des Rechtsstreits konkret ankommen wird. Das gilt auch dann, wenn hierzu eine Beweisaufnahme durchzuführen ist. Vor der Aussetzungsentscheidung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG demgegenüber offenbleiben müssen nicht nur die im Musterverfahren statthaften Feststellungsziele, sondern auch solche Tatsachen oder Rechtsfragen, die nur auf diese bezogen geprüft werden können. Das Prozessgericht ist nicht gehalten, hierzu vor seiner Aussetzungsentscheidung hypothetische Erwägungen anzustellen.
Nach diesem Maßstab war die Aussetzungsentscheidung hier unzulässig. Das Prozessgericht hätte nicht ungeklärt lassen dürfen, ob zwischen den Parteien ein Anlageberatungsvertrag oder zumindest ein Auskunftsvertrag zustande gekommen ist. Etwaige spezialgesetzliche Prospekthaftungsansprüche der Klägerin gegen die Beklagte nach § 13 VerkProspG i.V.m. §§ 44 ff. BörsG, jeweils in der bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung (künftig: aF), wären verjährt (vgl. § 46 BörsG aF), so dass ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte ohne das Zustandekommen einer vertraglichen Haftungsgrundlage zwischen den Parteien ausscheidet. Die Klage wäre dann abweisungsreif. Auf die im Musterverfahren streitgegenständlichen Prospektfehler kann es im vorliegenden Rechtsstreit nur dann ankommen, wenn sich das Prozessgericht bereits die Überzeugung gebildet hat, dass die Beklagte auf vertraglicher Grundlage die Pflicht traf, die Klägerin vollständig und zutreffend über die gezeichnete Anlage zu unterrichten.
Darüber hinaus kommt eine Aussetzung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG hier nur dann in Betracht, wenn feststeht, dass dem Klagebegehren nicht bereits deshalb stattzugeben ist, weil die Beklagte wie von der Klägerin geltend gemacht ihre Beratungspflicht durch unzutreffende Angaben über die Höhe der von ihr vereinnahmten Rückvergütungen verletzt hat. Werden Beratungspflichtverletzungen geltend gemacht, die wie hier der Vorwurf einer unabhängig von den Angaben im Prospekt erfolgten Fehlinformation über Rückvergütungen keinen Bezug zu einer veröffentlichten Kapitalmarktinformation haben, können diese nicht Gegenstand eines Musterverfahrens sein. Der Erfolg einer solchen nicht musterverfahrensfähigen Anspruchsbegründung kann von vorneherein nicht vom Ausgang des Musterverfahrens abhängen.
Das gilt auch dann, wenn sie in unzulässiger Weise zum Gegenstand eines Feststellungsziels des maßgeblichen Vorlagebeschlusses geworden ist. Denn da ein Feststellungsantrag, der ein unstatthaftes Feststellungsziel zum Gegenstand hat, im Musterentscheid nicht in der Sache zu entscheiden, sondern als im Musterverfahren nicht statthaft zurückzuweisen ist, kann das Musterverfahren auch dann zur Klärung der nicht musterverfahrensfähigen Anspruchsbegründung nichts beitragen.
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Die Klägerin hat im März 2007 eine Fondsbeteiligung an der S. Immobilienfonds gezeichnet. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dieser Zeichnung eine Beratung durch die Beklagte vorausgegangen war. Die Klägerin behauptete hierzu, sie habe sich von ihrem Vater, dem Zeugen Dr. K, vertreten lassen, der auf einer von der Beklagten organisierten Frankreichreise einen der Kundenberater der Beklagten, den Zeugen G, kennengelernt habe. Dieser habe ihrem Vater erklärt, dass eine Beteiligung an dem Fonds direkt über die Beklagte erfolgen könne. Danach habe sie den ihr übersandten Zeichnungsschein unterzeichnet und an die Beklagte zurückgeschickt.
Die Klägerin war der Ansicht, sie bzw. ihr Vater seien von der Beklagten nicht ordnungsgemäß beraten worden, weil sie u.a. über die Höhe der von der Beklagten vereinnahmten Rückvergütung getäuscht worden sei. Zudem sei der zugehörige Prospekt, der der Klägerin rechtzeitig vor der Zeichnung der Fondsbeteiligung vorlag, in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft, worauf die Beklagte sie ebenfalls nicht hingewiesen habe. Infolgedessen nahm die Klägerin die Beklagte wegen fehlerhafter Anlageberatung auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Beklagte behauptet demgegenüber, sie sei zwar Initiatorin und Anbieterin des geschlossenen Immobilienfonds gewesen, aber nicht als Beraterin oder Vermittlerin der Anlage aufgetreten. Der Zeuge G sei nicht im Endkundengeschäft tätig, sondern mit der Vertriebspartnerbetreuung befasst. Da Informationsreisen für neu aufgelegte Fonds nur für Vertriebspartner organisiert worden seien, habe der Vater der Klägerin den Zeugen G auf einer solchen Reise nicht kennenlernen können. Zudem befinde sich auf dem von der Klägerin vorgelegten Zeichnungsschein über den vorgesehenen Feldern für den jeweiligen Einreicher und Vermittler ein Stempel der Firma "W. GmbH".
Am 9.2.2017 erließ das LG einen Vorlagebeschluss gem. § 6 Abs. 1 KapMuG, der am 22.2.2017 im Klageregister des Bundesanzeigers bekannt gemacht wurde. Die Feststellungsziele des Vorlagebeschlusses sind u.a. auf die Feststellung der von der Klägerin gerügten Prospektfehler des Emissionsprospekts betreffend die S. Immobilienfonds gerichtet. Das Musterverfahren ist mittlerweile beim OLG anhängig. Mit Beschluss vom 8.8.2017 hat das LG den mit Klageschrift vom 16.12.2016 eingeleiteten Rechtsstreit gem. § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzt. Die gegen den Aussetzungsbeschluss eingelegte sofortige Beschwerde hat das OLG zurückgewiesen. Auf die Rechtsbeschwerde hat der BGH die Beschlüsse der Vorinstanzen aufgehoben und Fortsetzung des Verfahrens angeordnet.
Gründe:
Der verfassungsrechtliche Grundsatz effektiven Rechtsschutzes erfordert eine Auslegung des § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG, nach der eine Aussetzung nur dann in Betracht kommt, wenn sich das Prozessgericht bereits die Überzeugung (§ 286 ZPO) gebildet hat, dass es auf dort statthaft geltend gemachte Feststellungsziele für den Ausgang des Rechtsstreits konkret ankommen wird. Das gilt auch dann, wenn hierzu eine Beweisaufnahme durchzuführen ist. Vor der Aussetzungsentscheidung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG demgegenüber offenbleiben müssen nicht nur die im Musterverfahren statthaften Feststellungsziele, sondern auch solche Tatsachen oder Rechtsfragen, die nur auf diese bezogen geprüft werden können. Das Prozessgericht ist nicht gehalten, hierzu vor seiner Aussetzungsentscheidung hypothetische Erwägungen anzustellen.
Nach diesem Maßstab war die Aussetzungsentscheidung hier unzulässig. Das Prozessgericht hätte nicht ungeklärt lassen dürfen, ob zwischen den Parteien ein Anlageberatungsvertrag oder zumindest ein Auskunftsvertrag zustande gekommen ist. Etwaige spezialgesetzliche Prospekthaftungsansprüche der Klägerin gegen die Beklagte nach § 13 VerkProspG i.V.m. §§ 44 ff. BörsG, jeweils in der bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung (künftig: aF), wären verjährt (vgl. § 46 BörsG aF), so dass ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte ohne das Zustandekommen einer vertraglichen Haftungsgrundlage zwischen den Parteien ausscheidet. Die Klage wäre dann abweisungsreif. Auf die im Musterverfahren streitgegenständlichen Prospektfehler kann es im vorliegenden Rechtsstreit nur dann ankommen, wenn sich das Prozessgericht bereits die Überzeugung gebildet hat, dass die Beklagte auf vertraglicher Grundlage die Pflicht traf, die Klägerin vollständig und zutreffend über die gezeichnete Anlage zu unterrichten.
Darüber hinaus kommt eine Aussetzung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG hier nur dann in Betracht, wenn feststeht, dass dem Klagebegehren nicht bereits deshalb stattzugeben ist, weil die Beklagte wie von der Klägerin geltend gemacht ihre Beratungspflicht durch unzutreffende Angaben über die Höhe der von ihr vereinnahmten Rückvergütungen verletzt hat. Werden Beratungspflichtverletzungen geltend gemacht, die wie hier der Vorwurf einer unabhängig von den Angaben im Prospekt erfolgten Fehlinformation über Rückvergütungen keinen Bezug zu einer veröffentlichten Kapitalmarktinformation haben, können diese nicht Gegenstand eines Musterverfahrens sein. Der Erfolg einer solchen nicht musterverfahrensfähigen Anspruchsbegründung kann von vorneherein nicht vom Ausgang des Musterverfahrens abhängen.
Das gilt auch dann, wenn sie in unzulässiger Weise zum Gegenstand eines Feststellungsziels des maßgeblichen Vorlagebeschlusses geworden ist. Denn da ein Feststellungsantrag, der ein unstatthaftes Feststellungsziel zum Gegenstand hat, im Musterentscheid nicht in der Sache zu entscheiden, sondern als im Musterverfahren nicht statthaft zurückzuweisen ist, kann das Musterverfahren auch dann zur Klärung der nicht musterverfahrensfähigen Anspruchsbegründung nichts beitragen.
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