Zur Bestimmung eines Hauptversammlungsorts abseits des Sitzes der Gesellschaft oder einer deutschen Wertpapierbörse
BGH 21.10.2014, II ZR 330/13Die Beklagte ist eine börsennotierte Societas Europaea (SE) mit Sitz in Berlin. § 4 ihrer Satzung bestimmte, dass die Hauptversammlung entweder am Sitz der Gesellschaft oder am Sitz einer deutschen Wertpapierbörse stattfindet. Die Hauptversammlung vom 28.9.2011 beschloss, dass § 4.1.1. der Satzung wie folgt neu gefasst wird:
"4.1.1 Die Hauptversammlung der Gesellschaft findet entweder am Sitz der Gesellschaft, dem Sitz einer Wertpapierbörse in der EU oder einer Großstadt in der EU mit mehr als 500.000 Einwohnern statt."
Die Kläger, die gegen den Beschluss Widerspruch eingelegt haben, erhoben dagegen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, die Klägerin zu 1) auch gegen weitere Beschlüsse.
Das LG wies die Klagen ab. Das KG wies die Berufungen der Kläger zu 2) und 3) zurück. Auf die Revisionen der Kläger zu 2) und 3) hob der BGH den Beschluss des KG auf und fasste das Urteil des LG insoweit neu, als das der Hauptversammlungsbeschluss über die Änderung von § 4.1.1. der Satzung für nichtig erklärt wird.
Die Gründe:
Die konkrete Ausgestaltung der Satzungsänderung ist mit § 121 Abs. 5 AktG nicht vereinbar und verstößt damit gegen das Gesetz, § 243 Abs. 1 AktG.
§ 121 Abs. 5 AktG lässt es allerdings zu, in der Satzung einen Versammlungsort im Ausland zu bestimmen. Der Wortlaut von § 121 Abs. 5 AktG enthält keine Eingrenzung für die Satzungsbestimmung über den Versammlungsort. Auch aus dem Zweck lässt sich eine Begrenzung auf inländische Versammlungsorte nicht rechtfertigen. Auch das Beurkundungserfordernis (§ 130 Abs. 1 S. 1 AktG) steht einer Versammlung im Ausland nicht grundsätzlich entgegen. Wenn in Fällen, in denen eine notarielle Beurkundung erforderlich ist, kein Konsularbeamter zur Beurkundung bereit ist, genügt die Beurkundung durch einen ausländischen Notar, wenn sie der deutschen Beurkundung gleichwertig ist.
Die konkrete Ausgestaltung der Satzungsänderung ist aber mit § 121 Abs. 5 AktG nicht vereinbar. Die vom Satzungssitz oder - bei börsennotierten Gesellschaften - von einem deutschen Börsensitz abweichende Bestimmung eines Versammlungsorts in der Satzung muss eine sachgerechte, am Teilnahmeinteresse der Aktionäre ausgerichtete Vorgabe enthalten, die das Ermessen des Einberufungsberechtigten bindet. Der Senat hat es zwar für mit dem Schutzzweck, die Beteiligten, insbesondere die Minderheitsaktionäre vor einer willkürlichen Auswahl des Versammlungsorts zu schützen, vereinbar erachtet, wenn die Satzung mehrere Orte aufführt, unter denen das Einberufungsorgan wählen kann, oder lediglich eine regional begrenzte geographische Vorgabe macht.
Über eine sachgerechte Bindung des Auswahlermessens des Einberufungsberechtigten geht aber eine Satzungsbestimmung hinaus, die dem Einberufungsberechtigten die Auswahl unter einer großen Zahl geographisch weit auseinanderliegender Orte überlässt. Eine solche weite Regelung kommt einem freien Auswahlermessen des Einberufenden nahe und dient jedenfalls bei einer Aktiengesellschaft mit einem größeren Aktionärskreis nicht dem Teilnahmeinteresse aller Aktionäre, weil sie sich nicht vorab auf die möglichen Versammlungsorte einstellen können.
Den Anforderungen an eine ermessenbeschränkende Bestimmung des Hauptversammlungsortes wird die beschlossene Regelung nicht gerecht. Bereits die Zahl der Großstädte in der EU mit mehr als 500.000 Einwohnern beträgt rund 60 Städte. Ein Aktionär müsste unter Umständen eine weite Anreise bis an die Ränder der EU auf sich nehmen, obwohl er sich an einer Gesellschaft mit Satzungssitz in Deutschland beteiligt hat und am Versammlungsort kein Bezug zur geschäftlichen Tätigkeit der Gesellschaft besteht. Die beschlossene Satzungsregelung ist damit nicht am Teilnahmeinteresse der Aktionäre ausgerichtet, sondern beschränkt die Teilnahmemöglichkeiten jedenfalls von Minderheitsaktionären.
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