Zur Bindungswirkung des Vorlagebeschlusses nach § 6 Abs. 1 S. 2 KapMuG
BGH 9.3.2017, III ZB 135/15Die Antragstellerin hatte sich im November 1996 auf Empfehlung eines Mitarbeiters der Antragsgegnerin als mittelbare Kommanditistin an der DLF 97/22 KG mit einer Einlage von 70.000 DM zzgl. 5 % Agio beteiligt. Im Juni 2013 nahm sie die Antragsgegnerin unter dem Vorwurf einer fehlerhaften Kapitalanlageberatung auf Schadensersatz in Anspruch. Nach dem Klagevorbringen ergab sich diese zum einen aus der Beratung unter Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen und irreführenden Emissionsprospektes und zum anderen daraus, dass die Berater der Antragsgegnerin hinsichtlich der Beteiligung gezielt fehlerhaft geschult worden seien.
Die Antragstellerin hat einen Musterverfahrensantrag mit mehreren Feststellungszielen gestellt, die den Emissionsprospekt und die behaupteten Schulungsinhalte betrafen. Diesen Antrag verwarf das LG teilweise als unzulässig, soweit er sich auf Schulungsinhalte bezogen hatte. Hinsichtlich der geltend gemachten Prospektmängel ordnete es mit einem weiteren Beschluss die öffentliche Bekanntmachung des Musterverfahrensantrags an.
Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin blieb erfolglos. Sodann legte das LG die Sache gem. § 6 Abs. 1 KapMuG dem KG zum Zwecke eines Musterentscheids über die betreffenden Prospektinhalte vor. Das KG entschied daraufhin, dass das Kapitalanleger-Musterverfahren unzulässig sei und nicht durchgeführt werde. Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hob der BGH den Beschluss auf und wies die Sache an die Vorinstanz zurück.
Gründe:
Gem. § 6 Abs. 1 S. 2 KapMuG ist das OLG an den Vorlagebeschluss gebunden. Diese Bindung war im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des KG weder eingeschränkt noch ausnahmsweise entfallen.
Im Ausgangspunkt zutreffend hatte das KG zwar eine Ausnahme von der Bindungswirkung des Vorlageschlusses für den Fall angenommen, dass dem Antragsteller des Musterverfahrens das hierfür nötige Rechtsschutzinteresse fehlt. Es hatte das Vorliegen des Rechtsschutzbedürfnisses der hiesigen Antragstellerin jedoch zu Unrecht verneint.
Das mit einem Musterverfahren befasste OLG ist zwar zur Prüfung befugt, ob dem Antragsteller das hierfür nötige Rechtsschutzinteresse fehlt. Dieses fehlt allerdings erst dann, wenn der mit dem Musterverfahren verfolgte Zweck der verbindlichen Klärung der Feststellungsziele durch einen Musterentscheid (§ 22 Abs. 1 KapMuG) unter keinen Umständen mehr erreicht werden kann. Zur Verneinung des Rechtsschutzinteresses reicht es deshalb nicht aus, wenn das OLG die im Ausgangsverfahren geltend gemachten Ansprüche des Antragstellers für verjährt hält.
Infolgedessen war das KG nicht befugt, sich über die Bindungswirkung des Vorlagebeschlusses hinwegzusetzen. Dem mit dem Musterverfahren befassten OLG ist es im Allgemeinen nicht gestattet, eigenständig die Verjährung der im Ausgangsverfahren erhobenen Ansprüche zu prüfen. Es entscheidet in diesem Rahmen nicht über die Zulässigkeit eines Musterverfahrensantrags, sondern auf der Grundlage des - bindenden - Vorlagebeschlusses. Ob der Musterverfahrensantrag unzulässig ist, weil der zu Grunde liegende Rechtsstreit unabhängig von den geltend gemachten Feststellungszielen entscheidungsreif ist, hat gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG allein das (jeweilige) Prozessgericht zu beurteilen.
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