Zur Darlegungs- und Beweispflicht des Versicherers hinsichtlich des Ausschlussgrundes der Wissentlichkeit der Pflichtverletzung
BGH 17.12.2014, IV ZR 90/13Der Kläger war Insolvenzverwalter einer GmbH (Schuldnerin). Seine gesetzliche Haftpflicht aus dieser Tätigkeit hatte er durch einen Vermögensschaden-Haftpflichtversicherungsvertrag bei der Beklagten versichert. Nach § 4 Nr. 5 der diesem Vertrag zugrunde liegenden "Allgemeine(n) Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für Insolvenzverfahren (AVB-I)" sind Haftpflichtansprüche wegen Schadenverursachung durch wissentliche Pflichtverletzung vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.
Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Juli 2000 führte der Kläger den Geschäftsbetrieb der Schuldnerin zunächst fort. U.a. hielt er die Geschäftsbeziehung zur F aufrecht, die die Schuldnerin weiter belieferte. Nach Eintritt eines Liquiditätsengpasses Anfang 2001 sagte er der F mit Schreiben vom 1.3.2001 nochmals ausdrücklich den Ausgleich ihrer Neuforderungen zu. Infolge weiterer Lieferungen der F wurden Forderungen gegen die Schuldnerin von mehr als 1 Mio. € begründet. Nachdem die Gläubigerversammlung den vom Kläger erarbeiteten Insolvenzplan nicht angenommen hatte und auch eine von ihm angestrebte sanierende Übertragung des Unternehmens an einen Erwerber gescheitert war, zeigte er im September 2001 dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit an. Die Forderungen der F wurden nicht mehr befriedigt.
Der Insolvenzverwalter der inzwischen ebenfalls insolventen F nahm daraufhin den Kläger auf Schadensersatz gem. §§ 60, 61 InsO in Anspruch. In diesem Haftpflichtprozess wurde der hiesige Kläger rechtskräftig zur Zahlung von rd. 830.500 € nebst Zinsen verurteilt. Er begehrt nunmehr im Wege der Deckungsklage die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm Versicherungsschutz für die im Klageantrag näher bezeichneten Haftpflichtforderungen des Insolvenzverwalters der F zu gewähren.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Hinsichtlich der zum Schadensersatzanspruch führenden Pflichtverletzung besteht Bindungswirkung an das Haftpflichturteil und die dort getroffenen Feststellungen. Danach besteht die vom Kläger verletzte Pflicht in der Begründung von Masseverbindlichkeiten, die schon im Zeitpunkt ihrer Begründung aus der Masse voraussichtlich nicht vollständig erfüllt werden konnten (§ 61 InsO). Hinsichtlich der Wissentlichkeit der somit maßgeblichen Pflichtverletzung besteht jedoch keine Bindungswirkung; dieser Ausschlussgrund ist vielmehr im Deckungsprozess selbständig zu prüfen. Die vom OLG auf dieser Grundlage getroffene Feststellung einer wissentlichen Pflichtverletzung des Klägers beruht jedoch auf einer Verkennung der Darlegungs- und Beweislast.
Wissentlich handelt nur der Versicherte, der die verletzten Pflichten positiv kennt. Bedingter Vorsatz, bei dem er die in Rede stehende Verpflichtung nur für möglich hält, reicht dafür ebenso wenig aus wie eine fahrlässige Unkenntnis. Darlegungs- und beweispflichtig für die Verwirklichung der subjektiven Tatbestandsmerkmale des Risikoausschlusses ist der Versicherer. In diesem Rahmen muss vom Versicherer dargelegt werden, der Versicherungsnehmer habe gewusst, wie er sich hätte verhalten müssen. Das OLG schränkt jedoch insoweit die den Versicherer treffende Darlegungslast unzulässig ein, indem es ausführt, der Versicherungsnehmer habe im Rahmen der ihm obliegenden sekundären Darlegungslast vorzutragen und plausibel zu machen, aus welchen Gründen es zum Verstoß gekommen sei, "bevor" der Versicherer die Wissentlichkeit darzulegen und zu beweisen habe.
Diese Rechtsauffassung trifft nicht zu. Aus der grundsätzlichen Darlegungs- und Beweislast des Versicherers folgt vielmehr, dass dieser zunächst einen Sachverhalt vorzutragen hat, der auf eine Wissentlichkeit der Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers zumindest hindeutet. Dabei wird der Vortrag weiterer zusätzlicher Indizien dann entbehrlich sein, wenn es sich um die Verletzung elementarer beruflicher Pflichten handelt, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann. Jenseits dieser Fälle ist es aber Aufgabe des beweispflichtigen Versicherers, Anknüpfungstatsachen vorzutragen, die als schlüssige Indizien für eine wissentliche Pflichtverletzung betrachtet werden können. Erst wenn dieses geschehen ist, obliegt es dem Versicherungsnehmer im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Umstände aufzuzeigen, warum die vorgetragenen Indizien den Schluss auf eine wissentliche Pflichtverletzung nicht zulassen.
Die bisherigen Feststellungen des OLG vermögen nach diesen Maßstäben die Annahme einer wissentlichen Pflichtverletzung nicht zu tragen. Das OLG hat insbesondere nicht die Feststellung getroffen, der Kläger habe positiv gewusst, dass die Eingehung der Verbindlichkeiten auf unzureichender Prüfung ihrer Erfüllbarkeit beruhte. Die Ausführungen des OLG dazu, was der Kläger alles nicht hätte tun dürfen, tragen außer dem Befund einer objektiven Pflichtverletzung allenfalls noch einen Fahrlässigkeitsvorwurf. Für das Wissen des Klägers ist dagegen nicht entscheidend, ob er so hätte handeln dürfen wie geschehen.
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