Zur Frage der Haftung eines Wirtschaftsprüfers wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung von Anlegern
BGH 19.11.2013, VI ZR 336/12Die Beklagte zu 1) ist eine Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft mbH, ihr Geschäftsführer, ein Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer ist der Beklagte zu 2). Die Beklagte zu 1) war in den Jahren 1998 bis 2002 mit der Prüfung der Jahresabschlüsse von Gesellschaften der E-Gruppe beauftragt, zu der auch die G-AG und die K-AG gehörten. Die Kläger zeichneten im Mai 2000 eine Beteiligung als atypisch stille Gesellschafter an der G-AG im Oktober 2002 und Juli 2004 an der K-AG. Die beiden letzten Beteiligungen finanzierten die Kläger mit Hilfe von Darlehen.
Im Dezember 2005 stellten die G-AG und die K-AG Insolvenzanträge, daraufhin wurden die Verfahren eröffnet. Die Kläger verlangten von den Beklagten u.a. wegen behaupteter Zahlungen auf die Kapitalanlagen und wegen behaupteter Zinsaufwendungen für die Darlehen Schadensersatz. Sie stützen die Ansprüche auf inhaltlich falsche Äußerungen des Beklagten zu 2), mit denen dieser die E-Gruppe im Rahmen von Seminarveranstaltungen in den Jahren 1999 und 2000 auf Malta und in Würzburg vor Vertriebsmitarbeitern zu positiv dargestellt habe und welche die Kläger, an die die Äußerungen weitergegeben worden seien, zur Zeichnung der Anlagen veranlasst hätten. So habe der Beklagten zu 2) darauf hingewiesen, die E-Gruppe verfüge über ein "ausgezeichnetes Eigenkapital", das es erlaube, ihre Aktien als "Blue Chips" einzuordnen, was nachweislich falsch war.
Das LG wies die Klage ab; das OLG gab ihr statt und verurteilte die Beklagten antragsgemäß als Gesamtschuldner. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Beklagten blieben vor dem BGH erfolglos.
Gründe:
Die Beklagten haften den Klägern aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gem. §§ 826, 840 Abs. 1, § 31 BGB.
Das Verhalten des Beklagten zu 2) war als sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB zu qualifizieren. Im Bereich der Expertenhaftung für unrichtige (Wert-)Gutachten und Testate kommt ein Sittenverstoß bei einer besonders schwer wiegenden Verletzung der einen Experten treffenden Sorgfaltspflichten in Betracht. Der Sittenverstoß setzt ein leichtfertiges und gewissenloses Verhalten des Auskunftgebers voraus. Es genügt also nicht ein bloßer Fehler des Gutachtens, sondern es geht darum, dass sich der Gutachter durch nachlässige Erledigung, etwa durch nachlässige Ermittlungen oder gar durch Angaben ins Blaue hinein der Gutachtenaufgabe entledigt und dabei eine Rücksichtslosigkeit an den Tag legt, die angesichts der Bedeutung des Gutachtens für die Entscheidung Dritter als gewissenlos erscheint.
Die anerkannten Grundsätze der Expertenhaftung waren zwar hier nicht unmittelbar anwendbar, weil dem Beklagten zu 2) nicht angelastet worden war, ein unrichtiges (Wert-) Gutachten oder Testat erteilt zu haben. Sein Verhalten war jedoch gleichwohl als sittenwidrig zu beurteilen. Er stellte sich mit seinem Expertenstatus in den Dienst der von ihm geprüften kapitalsuchenden E-Gruppe und lieferte den Vertriebsmitarbeitern irreführende Verkaufsargumente. Dadurch setzte er sich rücksichtslos über die Interessen potentieller Anlageinteressenten hinweg, die mit seinen Äußerungen zwangsläufig in Berührung kamen und diese im Vertrauen auf seine berufliche Integrität und seine fachliche Autorität zur Grundlage ihrer Entscheidung machten. Gerade der Hinweis des Beklagten zu 2), die E-Gruppe verfüge über ein "ausgezeichnetes Eigenkapital", das es erlaube, ihre Aktien als "Blue Chips" einzuordnen, war falsch und geeignet, die Adressaten über die wirtschaftliche Situation der Unternehmen der E-Gruppe zu täuschen.
Die weitergegebenen Äußerungen des Beklagten zu 2) zur Qualität und Bonität der Unternehmen der E-Gruppe waren für die Anlageentscheidung im Streitfall auch kausal geworden. Ohne Erfolg zogen die Beklagten einen Schaden der Kläger und den Rechtswidrigkeitszusammenhang mit den Äußerungen des Beklagten zu 2) in Zweifel. Denn in Fällen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung - wie hier - dient der Schadensersatzanspruch nicht nur dem Ausgleich jeder nachteiligen Einwirkung durch das sittenwidrige Verhalten auf die objektive Vermögenslage des Geschädigten. Vielmehr muss dieser sich auch von einer "ungewollten" Verpflichtung wieder befreien können. Schon eine solche Verpflichtung kann einen gem. § 826 BGB zu ersetzenden Schaden darstellen. Insoweit bewirkt die Norm einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit.
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