16.11.2018

Zur gerichtlichen Zuständigkeit für Klagen privater Inhaber griechischer Staatsanleihen

Welches Gericht eines Mitgliedstaats für Klagen eines privaten Inhabers griechischer Staatsanleihen, die im Jahr 2012 zwangsweise umgetauscht wurden, gegen den griechischen Staat zuständig ist, richtet sich nicht nach der "Brüssel-Ia"-Verordnung. Es handelt sich nämlich nicht um einen Rechtsstreit über "Zivil- und Handelssachen" im Sinne dieser Verordnung.

EuGH 15.11.2018, C-308/17
Der Sachverhalt:

Der Kläger, wohnhaft in Wien, erwarb über eine österreichische Depotbank griechische Staatsanleihen im Nennwert von 35.000 €. Dabei handelt es sich um Inhaberpapiere, in denen das Recht auf Rückzahlung des Kapitals bei Fälligkeit und auf Zinszahlungen verbrieft ist. Bei dem von Griechenland im Jahr 2012 vorgenommenen Zwangsumtausch wurden die vom Kläger gehaltenen Anleihen durch neue Staatsanleihen mit niedrigerem Nennwert ersetzt. Vor den österreichischen Gerichten erhob der Kläger Klage gegen Griechenland auf Erfüllung der ursprünglichen Anleihebedingungen bzw. auf Schadenersatz. Griechenland wandte ein, dass die österreichischen Gerichte hierfür nicht zuständig seien.

Der österreichische Oberste Gerichtshof ersucht den EuGH vor diesem Hintergrund um die Auslegung der "Brüssel-Ia"-Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen. Sie sieht als Grundregel vor, dass die Gerichte des Wohnsitzmitgliedstaats des Beklagten zuständig sind. In Vertragsangelegenheiten sieht sie jedoch überdies eine besondere Zuständigkeit der Gerichte des Erfüllungsorts der streitigen Verpflichtung vor. Der Kläger macht in diesem Zusammenhang geltend, dass Griechenland bis zum Tag des Zwangsumtauschs die Zinsen auf sein Konto bei einer österreichischen Bank überwiesen habe. Der Oberste Gerichtshof möchte daher wissen, ob sich der Erfüllungsort im vorliegenden Fall nach den bei der Emission der betreffenden Staatsanleihen geltenden Anleihebedingungen richtet oder ob es sich um den Ort handelt, an dem die Anleihebedingungen, etwa durch die Zahlung der Anleihezinsen, tatsächlich erfüllt werden.

Die Gründe:

Die "Brüssel-Ia"-Verordnung ist auf diesen Rechtsstreit nicht anwendbar, da es sich nicht um einen Rechtsstreit über "Zivil-und Handelssachen" im Sinne dieser Verordnung handelt. Der Rechtsstreit geht nämlich auf eine Wahrnehmung hoheitlicher Rechte zurück und resultiert aus Handlungen des griechischen Staates in Ausübung dieser hoheitlichen Rechte.

Der griechische Gesetzgeber erließ im außergewöhnlichen Kontext und unter den außergewöhnlichen Umständen einer schweren Finanzkrise ein Gesetz, mit dem rückwirkend eine Umstrukturierungsklausel eingeführt wurde, die es ermöglichte, allen Inhabern der betreffenden Staatsanleihen eine Änderung der ursprünglichen Anleihebedingungen aufzuerlegen, und zwar auch jenen, die mit dieser Änderung nicht einverstanden waren. Außerdem wurde mit der Umstrukturierungsklausel das im Allgemeininteresse liegende Ziel verfolgt, die griechische Staatsschuld umzustrukturieren und die Gefahr des Scheiterns des entsprechenden Umstrukturierungsplans auszuschließen, um den Zahlungsausfall Griechenlands zu verhindern und die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets sicherzustellen.

Die Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets bekräftigten in Erklärungen vom 21.7. und vom 26.10.2011, dass die Situation Griechenlands in Bezug auf die Beteiligung des privaten Sektors eine außergewöhnliche Lösung erfordere. Der außergewöhnliche Charakter dieser Situation ergibt sich auch daraus, dass gemäß dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus seit dem 1.1.2013 alle neuen Staatsschuldtitel des Euro-Währungsgebiets mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr Umschuldungsklauseln wie die in Rede stehende enthalten, die so ausgestaltet sind, dass gewährleistet wird, dass ihre rechtliche Wirkung in allen Rechtsordnungen des Euro-Währungsgebiets gleich ist.

Linkhinweis:

EuGH PM Nr. 177 vom 15.11.2018
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