Zur Haftung des Herstellers des Basisfahrzeugs eines Wohnmobils in einem Dieselverfahren
BGH v. 27.11.2023 - VIa ZR 1425/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt die beklagte Kapitalgesellschaft italienischen Rechts mit Sitz in Italien wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Wohnmobil auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger kaufte im April 2018 in Deutschland von einem Dritten ein neu hergestelltes Wohnmobil Fiat Ducato Sunlight A 68 für 52.300 €. Für die Finanzierung wandte er weitere rd. 5.500 € auf. Herstellerin des Basisfahrzeugs des Wohnmobils ist die Beklagte. Der in das Wohnmobil eingebaute Dieselmotor der Baureihe 2,3-l-MultiJet II (96 kW) stammt von einem weiteren, nicht am Rechtsstreit beteiligten Hersteller. Die EG-Typgenehmigung für das Basisfahrzeug wurde der Beklagten in Italien nach Maßgabe der Abgasnorm Euro 6 erteilt. Die Emissionen des Motors werden unter Verwendung eines Thermofensters kontrolliert. Das Kraftfahrt-Bundesamt hatte vor Erwerb des Wohnmobils im Jahr 2016 ein Verfahren nach Art. 30 Abs. 3 Satz 1 der inzwischen außer Kraft getretenen Richtlinie 2007/46/EG eingeleitet. Die italienische Genehmigungsbehörde hatte im Jahr 2016 keinen Anlass für ein behördliches Einschreiten gesehen.
Die Klage richtet sich in der Hauptsache auf Erstattung des Kaufpreises abzgl. des Wertes gezogener Nutzungen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Wohnmobils und auf Erstattung der Finanzierungskosten.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Der Kläger könne weder wegen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung noch nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 (Rom II), § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schadensersatz von der Beklagten verlangen. Auf die Revision des Klägers hob der BGH die Entscheidung des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Das OLG hat zunächst richtig nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 (Rom II) deutsches Sachrecht zur Anwendung gebracht. Der Handlungsort als der Ort, an dem das vervollständigte Fahrzeug mit dem Ziel seiner Zulassung erstmals in Verkehr gebracht worden ist, und der Erfolgsort liegen in Deutschland. Die Anwendung deutschen Sachrechts umfasst über die Regelungen des Rechts der unerlaubten Handlung im BGB hinaus auch die Vorschriften der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV als möglicherweise verletzte Schutzgesetze und die dann für den Verschuldensmaßstab bedeutsame Bestimmung des § 37 Abs. 1 EG-FGV. Dass die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bei einem unionsrechtlich fundierten Verständnis Schutzgesetze sind, hat der BGH bereits in seinem Urteil vom 26.6.2023 (VIa ZR 335/21) geklärt. Das deutsche Sachrecht bzw. das Deliktsstatut sind dem Prinzip der einheitlichen Anknüpfung folgend maßgebend für den Grund der Haftung. Dazu gehören auch die Schutzgesetze, deren Verletzung die Haftung begründet.
Vorliegend kommt ein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens in Betracht. Das OLG hat unterstellt, dass es sich bei einem in dem Basisfahrzeug verbauten Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Unionsrechts handelt. Zugunsten des Klägers war damit auch im Revisionsverfahren zu unterstellen, dass sich die Übereinstimmungsbescheinigung nicht im Einklang mit dem Unionsrecht befunden hat. Dass eine Tatbestands- oder Legalisierungswirkung der EG-Typgenehmigung einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht entgegengehalten werden kann, hat der BGH bereits am 26.6.2023 ausführlich begründet. Gleichfalls ohne Relevanz war die Reaktion der italienischen Typgenehmigungsbehörde auf das Ersuchen des Kraftfahrt-Bundesamts nach Art. 30 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2007/46/EG. Nach der Rechtsprechung des EuGH entscheidet über die Gewährung eines Schadensersatzes allein, ob in das (Basis-)Fahrzeug entgegen Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 eingebaut ist.
Der Eintritt eines Schadens kann auch nicht deshalb verneint werden, weil es bisher noch nicht zu Einschränkungen der Nutzbarkeit gekommen ist und weil die Typgenehmigungsbehörde Fahrzeuge des genehmigten Typs zwar auf eine Übereinstimmung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 geprüft, aber bisher von einschränkenden Maßnahmen abgesehen hat. Denn mit Rücksicht auf den geldwerten Vorteil der jederzeitigen Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeugs genügt schon die rechtliche Möglichkeit einer Nutzungsbeschränkung, die mit der Verwendung einer - hier unterstellt vorhandenen - unzulässigen Abschalteinrichtung gegeben ist. Ein Differenzschaden ist auch nicht deshalb auszuschließen, weil der Kläger nicht einen Pkw, sondern ein Wohnmobil erworben hat. Für den Differenzschaden kommt es nicht darauf an, welchen Zwecken die beabsichtigte Nutzung eines Kraftfahrzeugs als Fortbewegungsmittel im Straßenverkehr dienen soll. Eine Unterscheidung nach der Art der beabsichtigten Nutzung im Straßenverkehr hätte die Ausklammerung einer ganzen Gruppe von Fahrzeugtypen aufgrund abstrakter, mit ihrer Bauart zusammenhängender Erwägungen ohne Bezug insbesondere zu Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zur Folge.
Ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten war schließlich ebenfalls nicht zu verneinen. Insbesondere konnte sich die Beklagte nicht damit entlasten, sie sei nicht zugleich Herstellerin des in dem Basisfahrzeug verbauten Motors. Einem Fahrzeughersteller, der für die Konstruktion des von ihm hergestellten Fahrzeugs Motoren fremder Hersteller verwendet, obliegen nach dem anwendbaren deutschen Sachrecht auch insoweit die Sorgfaltspflichten eines Herstellers.
Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückzuverweisen. Dieses wird nach Maßgabe der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung Feststellungen zum Bestehen eines Differenzschadens nachzuholen haben.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung:
Zum Differenzschaden in Dieselverfahren
BGH vom 20.07.2023 - III ZR 267/20
ZIP 2023, 1903
ZIP0059108
Rechtsprechung:
Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB bei Nachweis einer unzulässigen Abschalteinrichtung ("Diesel-Skandal")
BGH vom 26.06.2023 - VIA ZR 335/21
ZIP 2023, 1421
ZIP0056882
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BGH PM Nr. 196 vom 27.11.2023
Der Kläger nimmt die beklagte Kapitalgesellschaft italienischen Rechts mit Sitz in Italien wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Wohnmobil auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger kaufte im April 2018 in Deutschland von einem Dritten ein neu hergestelltes Wohnmobil Fiat Ducato Sunlight A 68 für 52.300 €. Für die Finanzierung wandte er weitere rd. 5.500 € auf. Herstellerin des Basisfahrzeugs des Wohnmobils ist die Beklagte. Der in das Wohnmobil eingebaute Dieselmotor der Baureihe 2,3-l-MultiJet II (96 kW) stammt von einem weiteren, nicht am Rechtsstreit beteiligten Hersteller. Die EG-Typgenehmigung für das Basisfahrzeug wurde der Beklagten in Italien nach Maßgabe der Abgasnorm Euro 6 erteilt. Die Emissionen des Motors werden unter Verwendung eines Thermofensters kontrolliert. Das Kraftfahrt-Bundesamt hatte vor Erwerb des Wohnmobils im Jahr 2016 ein Verfahren nach Art. 30 Abs. 3 Satz 1 der inzwischen außer Kraft getretenen Richtlinie 2007/46/EG eingeleitet. Die italienische Genehmigungsbehörde hatte im Jahr 2016 keinen Anlass für ein behördliches Einschreiten gesehen.
Die Klage richtet sich in der Hauptsache auf Erstattung des Kaufpreises abzgl. des Wertes gezogener Nutzungen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Wohnmobils und auf Erstattung der Finanzierungskosten.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Der Kläger könne weder wegen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung noch nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 (Rom II), § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schadensersatz von der Beklagten verlangen. Auf die Revision des Klägers hob der BGH die Entscheidung des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Das OLG hat zunächst richtig nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 (Rom II) deutsches Sachrecht zur Anwendung gebracht. Der Handlungsort als der Ort, an dem das vervollständigte Fahrzeug mit dem Ziel seiner Zulassung erstmals in Verkehr gebracht worden ist, und der Erfolgsort liegen in Deutschland. Die Anwendung deutschen Sachrechts umfasst über die Regelungen des Rechts der unerlaubten Handlung im BGB hinaus auch die Vorschriften der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV als möglicherweise verletzte Schutzgesetze und die dann für den Verschuldensmaßstab bedeutsame Bestimmung des § 37 Abs. 1 EG-FGV. Dass die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bei einem unionsrechtlich fundierten Verständnis Schutzgesetze sind, hat der BGH bereits in seinem Urteil vom 26.6.2023 (VIa ZR 335/21) geklärt. Das deutsche Sachrecht bzw. das Deliktsstatut sind dem Prinzip der einheitlichen Anknüpfung folgend maßgebend für den Grund der Haftung. Dazu gehören auch die Schutzgesetze, deren Verletzung die Haftung begründet.
Vorliegend kommt ein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens in Betracht. Das OLG hat unterstellt, dass es sich bei einem in dem Basisfahrzeug verbauten Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Unionsrechts handelt. Zugunsten des Klägers war damit auch im Revisionsverfahren zu unterstellen, dass sich die Übereinstimmungsbescheinigung nicht im Einklang mit dem Unionsrecht befunden hat. Dass eine Tatbestands- oder Legalisierungswirkung der EG-Typgenehmigung einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht entgegengehalten werden kann, hat der BGH bereits am 26.6.2023 ausführlich begründet. Gleichfalls ohne Relevanz war die Reaktion der italienischen Typgenehmigungsbehörde auf das Ersuchen des Kraftfahrt-Bundesamts nach Art. 30 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2007/46/EG. Nach der Rechtsprechung des EuGH entscheidet über die Gewährung eines Schadensersatzes allein, ob in das (Basis-)Fahrzeug entgegen Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 eingebaut ist.
Der Eintritt eines Schadens kann auch nicht deshalb verneint werden, weil es bisher noch nicht zu Einschränkungen der Nutzbarkeit gekommen ist und weil die Typgenehmigungsbehörde Fahrzeuge des genehmigten Typs zwar auf eine Übereinstimmung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 geprüft, aber bisher von einschränkenden Maßnahmen abgesehen hat. Denn mit Rücksicht auf den geldwerten Vorteil der jederzeitigen Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeugs genügt schon die rechtliche Möglichkeit einer Nutzungsbeschränkung, die mit der Verwendung einer - hier unterstellt vorhandenen - unzulässigen Abschalteinrichtung gegeben ist. Ein Differenzschaden ist auch nicht deshalb auszuschließen, weil der Kläger nicht einen Pkw, sondern ein Wohnmobil erworben hat. Für den Differenzschaden kommt es nicht darauf an, welchen Zwecken die beabsichtigte Nutzung eines Kraftfahrzeugs als Fortbewegungsmittel im Straßenverkehr dienen soll. Eine Unterscheidung nach der Art der beabsichtigten Nutzung im Straßenverkehr hätte die Ausklammerung einer ganzen Gruppe von Fahrzeugtypen aufgrund abstrakter, mit ihrer Bauart zusammenhängender Erwägungen ohne Bezug insbesondere zu Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zur Folge.
Ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten war schließlich ebenfalls nicht zu verneinen. Insbesondere konnte sich die Beklagte nicht damit entlasten, sie sei nicht zugleich Herstellerin des in dem Basisfahrzeug verbauten Motors. Einem Fahrzeughersteller, der für die Konstruktion des von ihm hergestellten Fahrzeugs Motoren fremder Hersteller verwendet, obliegen nach dem anwendbaren deutschen Sachrecht auch insoweit die Sorgfaltspflichten eines Herstellers.
Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückzuverweisen. Dieses wird nach Maßgabe der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung Feststellungen zum Bestehen eines Differenzschadens nachzuholen haben.
Rechtsprechung:
Zum Differenzschaden in Dieselverfahren
BGH vom 20.07.2023 - III ZR 267/20
ZIP 2023, 1903
ZIP0059108
Rechtsprechung:
Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB bei Nachweis einer unzulässigen Abschalteinrichtung ("Diesel-Skandal")
BGH vom 26.06.2023 - VIA ZR 335/21
ZIP 2023, 1421
ZIP0056882
Beratermodul Zeitschriften Wirtschaftsrecht:
Jetzt neu: Führende Zeitschriften zum Wirtschaftsrecht, Aktienrecht, Gesellschaftsrecht und Versicherungsrecht stehen hier zur Online-Recherche bereit. Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO bei ausgewählten Zeitschriften (GmbHR, ZIP, VersR). Wann immer es zeitlich passt: Für Fachanwälte bietet das Beratermodul Beiträge zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat. 4 Wochen gratis nutzen!