23.01.2017

Zur Hemmung der Verjährung trotz unwirksamer öffentlicher Zustellung der Klageschrift

Die Hemmung der Verjährung kann trotz unwirksamer öffentlicher Zustellung der Klageschrift in Betracht kommen, wenn die Bewirkung der öffentlichen Zustellung aufgrund entsprechender Äußerungen des zuständigen Richters für den Gläubiger unabwendbar war.

BGH 8.12.2016, III ZR 89/15
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen fehlerhafter Anlageberatung auf Schadensersatz in Anspruch. Auf seine Empfehlung erwarb sie im Jahr 2002 von der S-GmbH 150 Stammaktien der C-AG für 21.465 € einschließlich Agio. Ein Jahr später zeichnete sie 200 Genussscheine an der S-AG zu einem Preis von 106.000 € einschließlich Agio. Der Beklagte war Geschäftsführer und Vorstand der genannten Gesellschaften. Im April 2005 erklärte die Klägerin die Kündigung ihrer Beteiligung an der S-AG. Daraufhin zeigte Rechtsanwalt Dr. K. die Vertretung des Beklagten durch die Anwaltssozietät G., an, und bat, weitere Korrespondenz mit dieser Kanzlei zu führen. Im März

2006 erklärte der anwaltliche Vertreter der Klägerin die Anfechtung und Kündigung der fraglichen Beteiligungen und forderte die Rückzahlung aller Einlagen. Mit Schreiben vom 17.5.2006 wies Rechtsanwalt Dr. K. diese Forderung mit dem Hinweis zurück: "Sollte Ihre Mandantin ein Klageverfahren in Erwägung ziehen, kann unsere Kanzlei als zustellungsbevollmächtigt angegeben werden." Ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der S-AG war im November 2005 mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgelehnt worden.

Mit ihrer auf Verurteilung des Beklagten zur Rückzahlung der angelegten Beträge (jeweils einschließlich Agio) gerichteten Klage macht die Klägerin geltend, der Beklagte habe seine Aufklärungs- und Beratungspflichten verletzt. Insbesondere habe er sie arglistig getäuscht, sie betrogen und ihr Geld veruntreut; außerdem habe er bewusst versucht, seinen Aufenthalt zu verschleiern. Die am 11.8.2006 bei Gericht eingegangene Klageschrift, der das Anwaltsschreiben vom 17.5.2006 in Kopie beigefügt war, konnte unter zwei von der Klägerin angegebenen Adressen des Beklagten nicht zugestellt werden. Der Klägervertreter legte auf Hinweis des Gerichts sodann zwei Mitteilungen des Einwohnermeldeamts vor und beantragte gleichzeitig die öffentliche Zustellung der Klageschrift.

Das LG bewilligte mit Beschluss vom 30.7.2007 die öffentliche Zustellung der Klageschrift, verurteilte sodann den Beklagten mit Versäumnisurteil antragsgemäß und ordnete die öffentliche Zustellung dieser Entscheidung an. Der Beklagte erhielt erst im Laufe des Kostenfestsetzungsverfahrens im Jahr 2013 Kenntnis von dem gegen ihn geführten Rechtsstreit und ließ Einspruch gegen das Versäumnisurteil einlegen. Daraufhin hob das LG dieses Urteil auf und wies die Klage ab. Die Berufung der Klägerin hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Gründe:
Die Ansicht des OLG, die Verjährung des von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzanspruchs sei wegen der nicht wirksamen öffentlichen Zustellung der Klageschrift nicht gehemmt worden, ist nach den bislang getroffenen Feststellungen nicht frei von Rechtsfehlern.

Das OLG hat mit Recht angenommen, dass die vorgenommene öffentliche Zustellung der Klageschrift unwirksam gewesen ist, weil unabhängig von der Frage, ob der Aufenthaltsort des Beklagten bekannt gewesen ist, eine Zustellung an die Rechtsanwaltssozietät G. hätte erfolgen und die Klägerin diese in die Wege hätte leiten können. Eine Zustellung an diese Kanzlei wäre gem. § 172 Abs. 1 S. 1 ZPO, § 171 ZPO möglich gewesen; denn der damalige anwaltliche Vertreter des Beklagten hatte schon in dem der Klageschrift als Kopie beigefügten Schreiben vom 17.5.2006 im Zusammenhang mit den von der Klägerin erhobenen Forderungen mitgeteilt, seine Rechtsanwaltskanzlei könne für ein Klageverfahren als zustellungsbevollmächtigt angegeben werden. Daraus war zu entnehmen, dass dem eine entsprechende, wenn auch zwangsläufig noch allgemeine, Bevollmächtigung bereits zugrunde lag.

Deshalb hätte die Klägerin dies bereits in der Klageschrift berücksichtigen, jedenfalls aber nach zweimaligem Fehlschlagen einer Zustellung an den Beklagten an diese Rechtsanwälte zustellen lassen können. Angesichts dieser Umstände war für die Klägerin und auch das LG erkennbar, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung der öffentlichen Zustellung noch nicht vorlagen und deshalb eine Hemmung der Verjährung nicht hat eintreten können. Eine andere Beurteilung könnte sich jedoch nach dem Vortrag der Klägerin ergeben, wonach eine Zustellung an den damaligen Bevollmächtigten des Beklagten nicht möglich gewesen sei. Beruht die Unwirksamkeit einer Zustellung auf einer unrichtigen Sachbehandlung durch das Gericht, kann eine Hemmung der Verjährung wegen höherer Gewalt in Betracht kommen (vgl. § 206 BGB). Sie greift jedoch nur ein, wenn die verjährungshemmende Wirkung einer Zustellung infolge eines - für den Gläubiger unabwendbaren - gerichtlichen Fehlers nicht eintritt.

Auch wenn der Klägerin die Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung im Hinblick auf die Möglichkeit einer Zustellung an die Rechtsanwaltskanzlei erkennbar war, ist vorliegend von einer dementsprechenden Fallgestaltung auszugehen, wenn festgestellt wird, dass das Ausbleiben der Zustellung an den damaligen anwaltlichen Vertreter des Beklagten von der Klägerin nicht zu beeinflussen war und ihr keine mitwirkende Verantwortung für die Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung anzulasten ist. Die Berufung auf eine für sie unabwendbare Beantragung der öffentlichen Zustellung der Klageschrift aufgrund des Verhaltens des zuständigen Richters setzt aber voraus, dass die Klägerin ihrerseits alles ihr Zumutbare getan hat, um der behaupteten Auffassung des Richters zu entsprechen, trotz des Hinweises auf die Anwaltskanzlei eine zustellungsfähige Adresse des Beklagten herauszufinden.

Dieses Erfordernis folgt daraus, dass es im Rahmen des § 185 Nr. 1 ZPO stets Sache der Partei ist, die durch die Zustellung begünstigt wird, alle geeigneten und ihr zumutbaren Nachforschungen anzustellen, um so eine wirksame Zustellung bewirken zu können, und ihre ggf. ergebnislosen Bemühungen im Einzelnen darzulegen. Dabei kann allerdings die Frage, ob der Aufenthaltsort des Beklagten allgemein unbekannt ist, nicht ohne Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten beantwortet werden. Zu einem möglichen Mitverantwortungsbeitrag der Klägerin in diesem Sinn und der danach maßgeblichen Frage, ob sie alle gebotenen Ermittlungsmöglichkeiten genutzt hat, um eine zustellungsfähige Adresse herauszufinden, hat das OLG - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - bislang keine Feststellungen getroffen.

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