15.10.2012

Zur Verjährung von Ansprüchen wegen fehlerhafter Anlageberatung

Der weit auszulegende Verhandlungsbegriff des § 203 BGB setzt zumindest einen Meinungsaustausch über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände voraus. Für § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist Kenntnis von Umständen hinreichend, die es dem Anspruchsinhaber ermöglichen, eine Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, zu erheben.

LG Wiesbaden 20.7.2012, 1 O 349/11
Der Sachverhalt:
Die Klägerin war über 33 Jahre lang Kundin der Beklagten. Im Dezember 2006 fand ein Gespräch zwischen der Klägerin und einem Kundenberater der Beklagten statt, in dem das von der Beklagten vertriebene Zertifikat "aaa" zur Sprache kam. Bei diesem handelte es sich um eine Inhaberschuldverschreibung ohne Kapitalgarantie der Merrill Lynch S.A. Es bestand deshalb die Möglichkeit, dass bei Nichteintritt der Bedingungen für eine vorzeitige Kündigung am Ende der Laufzeit ein Betrag unter dem Nennbetrag ausgezahlt werden konnte. Das Papier war auch nicht über den Einlagensicherungsfond abgesichert.

Beworben wurde das Zertifikat mittels eines Flyers, der den Titel trug: "Mit 8 % geht's erst richtig los". Darin fanden sich werbende Aussagen wie: "8 % + x. Da kann der Dax fast machen, was er will". Weiter wurde ausgeführt, der Anleger vertraue "den Kauf-Empfehlungen des renommierten Analystenteams von Merrill Lynch". Im Rahmen des Gespräches erläuterte der Berater, dass die Zinszahlungen von der Entwicklung des DAX einerseits und des ML Europe 1 Index andererseits abhingen. Deshalb seien jährliche Zinseinkünfte nicht sicher.

Am 24.1.2007 erwarb die Klägerin 200 Stück des "aaa" zum Preis von 20.200 €, wovon 200 € auf den Ausgabeaufschlag entfielen. Für die Klägerin wurde als Anlageziel u.a. "Altersvorsorge" angegeben. Bezüglich der genannten Anlagearten wurde als Einstellung "risikobewusst" angegeben. Am 11.12.2007 stellte die Klägerin fest, dass das Papier "aaa" an Wert verloren hatte. Ein Informationsblatt über das Wertpapier enthielt den Hinweis, dass die Rückzahlung der Anleihe unter dem eingesetzten Kapitalbetrag liegen könne. Die Klägerin erklärte gegenüber der Beklagten, ihr sei das Papier ohne einen derartigen Zusatz verkauft worden. Infolgedessen begehrte sie am 28.10.2008 die Rückabwicklung des Wertpapiergeschäfts, woraufhin die Beklagte ihr 14.154 € gutschrieb.

Am 11.10.2011 forderte die Klägerin die Beklagte zum Schadensersatz wegen Beratungsfehlern auf. Mit bei Gericht am 20.12.2011 eingegangenem Schriftsatz erhob sie Klage. Die Beklagte erhob die Einrede der Verjährung, die sie sowohl auf § 37a WpHG a.F. als auch auf die Regelverjährung nach §§ 195 ff. BGB stützte. Das LG wies die Klage ab.

Die Gründe:
Etwaige Ansprüche der Klägerin wegen der Verletzung von Pflichten des Beratungsvertrages waren verjährt.

Die kenntnisunabhängige Verjährungsfrist nach § 37 a WpHG beträgt drei Jahre ab Anspruchsentstehung, d.h. ab Erwerb des Wertpapiers. Sie begann mit dem Zertifikatserwerb am 24.1.2007 zu laufen und war nicht bis zum 11.12.2007 - dem Tag, an welchem die Klägerin Verluste ihrer Kapitalanlage bemerkte - gehemmt. Auch trat die Hemmung nicht nach § 203 BGB durch die Bemühungen der Klägerin, mit dem Leiter der Filiale ein Gespräch zu vereinbaren, ein. Der weit auszulegende Verhandlungsbegriff des § 203 BGB setzt nämlich zumindest einen Meinungsaustausch über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände voraus. Zwar kann die Vereinbarung eines Termins zur sachlichen Erörterung eine Hemmung der Verjährung nach sich ziehen. Mehrere Monate andauernde, einseitige Terminsvereinbarungsversuche hingegen stellen jedoch kein Verhandeln dar. Infolgedessen erfolgte die Klageerhebung am 20.12.2011 nach Eintritt der Verjährung.

Nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB verjährt waren zudem die Ansprüche wegen fehlerhafter Anlageberatung, von deren sie begründenden Umständen die Klägerin am 11.12.2007 Kenntnis erlangt hatte. Die Verjährungsfrist begann insoweit mit Ende des Jahres 2007 und wäre ohne Hemmung Ende des Jahres 2010 abgelaufen. Selbst wenn man eine Hemmung der Verjährung nach § 203 S. 1 BGB im Zeitraum vom 28.10.2008 bis zum 17.2.2009 annähme, erfolgte die Klageerhebung am 20.12.2011 erst in verjährter Zeit. Denn die Klägerin hatte am 11.12.2007 aufgrund des Ausdrucks über ihren Depotbestand festgestellt, dass das Wertpapier an Wert verloren hatte. Ihr war deshalb klar, dass eine etwaige Information des Kundenberaters, es bestünde kein Kapitalverlustrisiko, falsch gewesen war.

Auch wusste die Klägerin um die Ungeeignetheit des Wertpapiers für das von ihr behauptete, vorrangige Anlageziel der Altersvorsorge. Unerheblich war diesbezüglich, dass das Zertifikat Kursschwankungen unterlag und sich ggf. noch hätte "erholen" können. Denn für § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist Kenntnis von Umständen hinreichend, die es dem Anspruchsinhaber ermöglichen, eine Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, zu erheben. Es war der Klägerin möglich und zumutbar, eine entsprechende Feststellungsklage, gerichtet auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten nach Ende der Zertifikatslaufzeit, zu erheben. Das Schadensbild nach Umfang und Höhe brauchte sie nicht zu kennen.

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