16.08.2016

Zur Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör

Die Berufungsbegründung hat, wenn sie die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) rügt, gem. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO zur Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensfehlers darzulegen, was bei Gewährung des rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre und dass nicht auszuschließen ist, dass dieser Vortrag zu einer anderen Entscheidung des Erstgerichts geführt hätte. Dieser Darlegung bedarf es nur dann nicht, wenn die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör unmittelbar und zweifelsfrei aus dem bisherigen Prozessstoff ersichtlich ist. Diese Grundsätze gelten auch für die Rüge des Verstoßes gegen § 285 Abs. 1 ZPO.

BGH 28.7.2016, III ZB 127/15
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt die Beklagte unter dem Vorwurf einer fehlerhaften Kapitalanlageberatung (Beteiligung an zwei Schiffsfonds) auf Schadensersatz in Anspruch. Vor dem LG erklärte der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Beklagten im Termin für den persönlich geladenen, aber nicht erschienenen Geschäftsführer der Beklagten, dass dieser sich im Einzelnen nicht mehr an die Gespräche erinnern und nur mitteilen könne, wie er im Allgemeinen (Vermittlungs-)Gespräche geführt habe; hierzu regte der Prozessbevollmächtigte an, die Protokolle der mündlichen Verhandlungen in Verfahren des Landgerichts F sowie des Landgerichts H heranzuziehen. Die erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte des Klägers stimmte dieser Anregung zu.

Das LG hörte den Kläger persönlich an und vernahm den von diesem benannten Zeugen S. Beide Parteien erklärten sich mit der Einleitung eines schriftlichen Verfahrens einverstanden. Im Anschluss daran zog das LG die Protokolle der mündlichen Verhandlungen des Landgerichts H bei und gab der Klage schließlich im Wesentlichen statt. Es stehe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass die Beklagte den Kläger pflichtwidrig nicht über das Risiko des Totalverlusts und des Wiederauflebens der Kommanditistenhaftung nach § 172 Abs. 4 HGB aufgeklärt habe. Dies ergebe sich aus der persönlichen Anhörung des Klägers und der Aussage des Zeugen S. Die Beklagte habe auf eine persönliche Anhörung ihres Geschäftsführers verzichtet; dessen Erklärungen in den beigezogenen Protokollen der anderen mündlichen Verhandlungen seien unergiebig, weil sie andere Schiffsfonds beträfen und deswegen mit den hier streitgegenständlichen Fonds nicht vergleichbar seien.

Gegen dieses Urteil legte die Beklagte fristgerecht Berufung ein. In ihrer Berufungsbegründung rügte sie die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör und trug hierzu vor, dass das LG entgegen seiner Ankündigung, zunächst einen Beschluss über die Beiziehung der Protokolle zu fassen und den Parteien sodann Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Protokollen und zur Beweisaufnahme zu geben, ein Urteil verkündet habe; hierdurch habe es der Beklagten die Möglichkeit zur Stellungnahme genommen. Zudem sei entgegen § 285 Abs. 1 ZPO nicht über das Ergebnis der Beweisaufnahme verhandelt worden.

Das OLG verwarf die Berufung als unzulässig und führte hierzu aus, es fehle an einer den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO genügenden Berufungsbegründung, weil die Beklagte nur die abstrakte Möglichkeit einer anderen Beweiswürdigung des LG angesprochen, aber nicht dargelegt habe, welchen Inhalt ihre Stellungnahme gehabt hätte; es mangele an der Darstellung der Erheblichkeit der geltend gemachten Rechtsverletzung für die angefochtene erstinstanzliche Entscheidung. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das OLG hat die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen, weil die Berufungsbegründung der Beklagten den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO nicht genügt. Die rechtliche Würdigung des OLG befindet sich in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH.

Die Berufungsbegründung muss, wenn sie die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) rügt, zur Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensfehlers darlegen, was bei Gewährung des rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre und dass nicht auszuschließen ist, dass dieser Vortrag zu einer anderen Entscheidung geführt hätte. Dieser Darlegung bedarf es nur dann nicht, wenn die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör unmittelbar und zweifelsfrei aus dem bisherigen Prozessstoff ersichtlich ist. Diesen Erfordernissen genügt die Berufungsbegründung der Beklagten, soweit sie die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG rügt, nicht.

In ihrer Berufungsbegründung hat die Beklagte nicht dargelegt, was sie inhaltlich vorgetragen hätte, wenn das LG ihr vor Erlass seines Urteils Gelegenheit zur Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme und zu den beigezogenen Protokollen gegeben hätte. Sie hat sich vielmehr damit begnügt, darauf hinzuweisen, dass sie "ergänzend zu den Protokollen und dem Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung genommen hätte" und dies die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung des Gerichts beinhaltet hätte.

Gleichfalls fehlt es an einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung für die Rüge der Verletzung von § 285 Abs. 1 ZPO. Auch insofern muss die Berufungsbegründung die Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensverstoßes darlegen. Die Rechtsprechung des BGH geht davon aus, dass eine auf die Verletzung von § 285 Abs. 1 ZPO gestützte Rechtsmittelbegründung - ebenso wie für die Rüge der Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG - Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensverstoßes enthalten muss. Es ist regelmäßig darzulegen, was die rechtsmittelführende Partei im Rahmen einer Verhandlung zum Ergebnis der Beweisaufnahme vorgetragen hätte und dass nicht auszuschließen ist, dass dieser Vortrag zu einer anderen Beweiswürdigung geführt hätte. Diesen (auch) für die Berufungsbegründung gem. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO geltenden Anforderungen hat die Beklagte nicht genügt.

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