Zur Verletzung des Anspruchs des Patentinhabers auf rechtliches Gehör durch Schwerpunktsetzung des Patentgerichts während der Verhandlung
BGH 28.11.2012, X ZB 6/11Die Rechtsbeschwerdeführerin ist Inhaberin des deutschen Patents 102 49 336, das ein Verfahren zur Herstellung von sprühgetrocknetem Sorbitol und Trocknung der Sorbitolpartikel auf einem nachgeschalteten Fließbett und sprühgetrockneten Sorbitol betrifft. Das Streitpatent umfasst neun Patentansprüche. Die Einsprechende macht geltend, dem Patentgegenstand fehle es an der erforderlichen Neuheit und erfinderischen Tätigkeit. Sie stützt sich hierzu auf zahlreiche Entgegenhaltungen. Darüber hinaus macht sie mangelnde Offenbarung und Ausführbarkeit der patentgemäßen Lehre geltend.
Das BPatG widerrief das Streitpatent. Die Rechtsbeschwerde sieht dadurch den Anspruch der Patentinhaberin auf rechtliches Gehör verletzt. Der Widerruf aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit stehe im Widerspruch zu der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung des BPatG. Dieses habe der Meinung zugeneigt, das beanspruchte Verfahren sei aufgrund mangelnder Offenbarung nicht ausführbar. Aufgrund dieses Hinweises habe sich der gesamte Vortrag der Verfahrensbeteiligten auf Fragen zur Offenbarung und Ausführbarkeit konzentriert. Für die Beteiligten sei insgesamt der Eindruck entstanden, allein die Ausführbarkeit sei entscheidungserheblich. Vertiefte Ausführungen zur Patentfähigkeit seien daher nicht geboten gewesen.
Die Rechtsbeschwerde der Patentinhaberin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Der angefochtene Beschluss beruht nicht auf einer Verletzung des Anspruchs der Patentinhaberin auf rechtliches Gehör.
Das Gericht muss den Parteien nicht mitteilen, wie es den die Grundlage seiner Entscheidung bildenden Sachverhalt voraussichtlich würdigen wird. Es reicht in der Regel aus, wenn die Sach- und Rechtslage erörtert und den Beteiligten dadurch aufgezeigt wird, welche Gesichtspunkte für die Entscheidung voraussichtlich von Bedeutung sein werden. Eine Gehörsverletzung kann jedoch vorliegen, wenn die Verfahrensbeteiligten bei Anwendung der von ihnen zu erwartenden Sorgfalt nicht erkennen konnten, auf welches Vorbringen es für die Entscheidung des Gerichts ankommen kann und wird. Danach war im Streitfall eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht zu erkennen.
In dem Einspruchsverfahren vor dem BPatG haben beide Beteiligte schriftsätzlich ausführlich sowohl zum Widerrufsgrund der mangelnden Ausführbarkeit als auch zum Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit Stellung genommen. In der mündlichen Verhandlung hat der Vorsitzende - wie sich aus der Sitzungsniederschrift ergibt den wesentlichen Inhalt der Akten und damit auch den jeweiligen Beteiligtenvortrag referiert. Im Anschluss daran wurde die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Danach waren beide Widerrufsgründe Gegenstand der Verhandlung; auch die Rechtsbeschwerde stellt nicht in Abrede, dass der Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit angesprochen wurde.
Selbst wenn der Schwerpunkt der Verhandlung auf der Frage der Ausführbarkeit gelegen hat, weil das BPatG möglicherweise zunächst einem Widerruf des Streitpatents wegen mangelnder Ausführbarkeit zuneigte, durfte die Patentinhaberin nicht annehmen, allein die Ausführbarkeit sei entscheidungserheblich. Denn allein entscheidungserheblich konnte die Ausführbarkeit der Erfindung nur dann sein, wenn das BPatG das Streitpatent aus diesem Grund widerrief. Solange die Patentinhaberin der vom BPatG hierzu vorläufig geäußerten Auffassung entgegentrat und keinen Anlass zu der Annahme hatte, mit ihren Argumenten keinesfalls durchzudringen, musste sie damit rechnen, dass sich das BPatG auch der Frage der Patentfähigkeit zuwenden würde.
Die Rechtsbeschwerde zeigt i.Ü. keine Umstände auf, auf deren Grundlage die Patentinhaberin hätte davon ausgehen dürfen, es bedürfe desjenigen Vortrags nicht, den sie nach dem Rechtsbeschwerdevorbringen ergänzend zur erfinderischen Tätigkeit gehalten hätte. Dies wäre nur dann in Betracht gekommen, wenn entweder das BPatG zu erkennen gegeben hätte, der Gegenstand des Streitpatents sei nach seiner Auffassung ohne Zweifel patentfähig oder wenn es die mangelnde Patentfähigkeit in dem angefochtenen Beschluss mit Erwägungen begründet hätte, mit denen die Patentinhaberin auch bei sorgfältiger Verfahrensführung und Auseinandersetzung mit den Argumenten der Einsprechenden nicht rechnen musste. Weder für das eine noch für das andere ist von der Rechtsbeschwerde etwas dargetan.
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