30.04.2015

Zur Verpflichtung von Lebensversicherungsunternehmen hinsichtlich an die Kunden zu richtende Mitteilungen

Die Mitgliedstaaten können Lebensversicherungsunternehmen dazu verpflichten, ihren Kunden andere als die in der Dritten Richtlinie Lebensversicherung genannten Angaben mitzuteilen. Es muss den Versicherungsunternehmen jedoch möglich sein, mit hinreichender Vorhersehbarkeit die zusätzlichen Angaben zu identifizieren.

EuGH 29.4.2015, C-51/13
Hintergrund:
Mit der Dritten Richtlinie Lebensversicherung (92/96/EWG) sollen u. a. die Mindestvorschriften koordiniert werden, damit der Verbraucher klare und genaue Angaben über die wesentlichen Merkmale der ihm angebotenen Versicherungsprodukte erhält.

Der Sachverhalt:
Im Jahr 1999 schloss der Beklagte bei dem klagenden niederländischen Versicherer (NN) eine Versicherung ab, die Teil eines Anlageplans ("Flexibel versichertes Anlegen") war. Es handelte sich um eine Lebensversicherung, deren akkumulierter Kapitalwert im Zeitpunkt des Ablaufs der Versicherung von den Ergebnissen der Investitionen abhing. Außerdem war während der Laufzeit des Versicherungsvertrags die Leistung eines Fixbetrags für den Todesfall des Versicherungsnehmers vor Ablauf des Vertrags vorgesehen. Nach Abschluss des Versicherungsvertrags entstand zwischen NN und dem Beklagten ein Streit über die Höhe der Kosten und der Todesfall-Risikoprämien. Ein Teil des Ausgangsrechtsstreits betrifft die Frage, ob NN vor Abschluss des Versicherungsvertrags ausreichend über diese Kosten informiert hat. Insbesondere geht es darum, dass der Beklagte keine Zusammenfassung oder Übersicht über die konkreten und/oder absoluten Kosten und über deren Zusammensetzung erhalten haben soll.

Das mit dem Verfahren befasste niederländische Gericht ist der Ansicht, dass diese Angaben zwar nicht unter die Auskünfte fielen, die die Versicherungsunternehmen den Versicherungsnehmern gemäß der Richtlinie mitzuteilen hätten, dass NN jedoch dadurch, dass sie diese Informationen nicht erteilt habe, gegen die "offenen und/oder ungeschriebenen Vorschriften" des niederländischen Rechts verstoßen habe. Darunter seien im vorliegenden Fall die Fürsorgepflicht des Versicherungsunternehmens, Treu und Glauben im vorvertraglichen Verkehr sowie die Angemessenheit und Billigkeit zu verstehen.

Das vorlegende Gerichte möchte nun im Wege des Vorabentscheidungsersuchens im Wesentlichen vom EuGH wissen, ob die Bestimmungen der Richtlinie Lebensversicherung dem entgegenstehen, dass ein Versicherungsunternehmen aufgrund allgemeiner Grundsätze des niederländischen Rechts wie "offener und/oder ungeschriebener Vorschriften" verpflichtet ist, dem Versicherungsnehmer gewisse Angaben zusätzlich zu den in der Richtlinie genannten Informationen mitzuteilen.

Die Gründe:
Dem Wortlaut der einschlägigen Bestimmung der Richtlinie selbst sowie ihrem Anhang II und einem Erwägungsgrund ist zu entnehmen, dass die zusätzlichen Angaben, die die Mitgliedstaaten verlangen können, klar, genau und für das tatsächliche Verständnis der wesentlichen Merkmale der dem Versicherungsnehmer angebotenen Versicherungsprodukte notwendig sein müssen. Eine Verpflichtung zur Mitteilung zusätzlicher Informationen kann also nur vorgesehen werden, wenn sie zur Information des Versicherungsnehmers notwendig ist und wenn die geforderten Angaben genau und klar genug sind, um dieses Ziel zu erreichen und so insbesondere den Versicherungsunternehmen ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit zu bieten.

Die Mitgliedstaaten können entscheiden, ob sie Versicherungsunternehmen vorschreiben möchten, zusätzliche Angaben mitzuteilen. Zwar werden die Durchführungsvorschriften für die Verpflichtung zur Mitteilung der vom innerstaatlichen Recht vorgesehenen zusätzlichen Informationen von dem Mitgliedstaat erlassen; die Richtlinie schränkt die Befugnis jedoch ein, indem sie klarstellt, dass diese Angaben dem Versicherungsnehmer ein Verständnis der wesentlichen Bestandteile der Verpflichtung ermöglichen und zur Erreichung dieses Ziels notwendig sein müssen. Es ist daher Aufgabe des Mitgliedstaats, nach den Eigenheiten seiner Rechtsordnung die Rechtsgrundlage für die Verpflichtung zur Erteilung zusätzlicher Informationen festzulegen, um sicherzustellen, dass der Versicherungsnehmer die wesentlichen Merkmale der ihm angebotenen Versicherungsprodukte tatsächlich versteht, und gleichzeitig ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit zu garantieren.

Unerheblich ist insoweit die Rechtsgrundlage für eine solche Verpflichtung zur Mitteilung und insbesondere die Frage, ob sich diese Verpflichtung aus allgemeinen Grundsätzen des nationalen Rechts wie den "offenen und/oder ungeschriebenen Vorschriften", auf die sich das vorlegende Gericht bezieht, ergibt. Die Rechtsgrundlage muss jedoch dergestalt sein, dass sie den Versicherungsunternehmen im Einklang mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit ermöglicht, mit hinreichender Vorhersehbarkeit die zusätzlichen Angaben zu identifizieren, die sie dem Versicherungsunternehmer zu übermitteln haben und mit denen dieser rechnen kann.

Insoweit kann das nationale Gericht, wenn es zu beurteilen hat, welche Anforderungen an die Vorhersehbarkeit einer solchen Verpflichtung zur Mitteilung zu stellen sind, berücksichtigen, dass das Versicherungsunternehmen die Art und die Eigenheiten der von ihm angebotenen Versicherungsprodukte festlegt und dass es daher grundsätzlich in der Lage sein müsste, die Eigenheiten dieser Produkte zu erkennen, die es notwendig machen, dem Versicherungsnehmer zusätzliche Angaben mitzuteilen. In jedem Fall ist es Aufgabe des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob die in Rede stehenden "offenen und/oder ungeschriebenen Vorschriften" diesen Anforderungen genügen.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 45 vom 29.4.2015
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