Zur Verschwiegenheitspflicht nach § 8 Abs. 1 S. 1 WpHG und § 9 Abs. 1 KWG im Hinblick auf von der BaFin beauftragte Wirtschaftsprüfer
BGH 16.2.2016, VI ZR 441/14Der Kläger verlangt von den Beklagten aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau (der Zedentin) Schadensersatz wegen angeblicher Falschberatung bezüglich des Erwerbs von Wertpapieren. Die Beklagten waren alleinige Vorstände der zwischenzeitlich insolventen A-AG, die u.a. im Bereich der Anlageberatung tätig war und ihre Erträge insbesondere durch Provisionen der Emittenten der empfohlenen Anlagen erwirtschaftete. In der Zeit vom 27.3.2007 bis zum 29.4.2008 erwarb die Zedentin nach telefonischer Beratung und auf Empfehlung eines für die A-AG tätigen Kundenberaters verschiedene Genussscheine zum Preis von insgesamt 46.672,87 €.
Der Kläger behauptet u.a., die Zedentin sei nicht hinreichend über die mit den Anlagen verbundenen Risiken - insbesondere das Emittenten- und das Totalverlustrisiko - aufgeklärt worden. Dafür seien die Beklagten verantwortlich, da sie ihre Kundenberater systematisch zu einer fehlerhaften Anlageberatung veranlasst hätten. Der Kläger begehrte mit seiner Klage Schadensersatz in Höhe der für die Genussscheine gezahlten Kaufpreise, abzüglich der daraus erzielten Erträge, Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche aus den Genussscheinen sowie Ersatz entgangener Anlagezinsen und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten jeweils nebst Verzugszinsen. Ferner begehrte er die Feststellung, dass sich die Beklagten mit den Gegenleistungen in Annahmeverzug befinden.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil teilweise auf und verwies die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Das OLG hat ein für einen Anspruch aus § 826 BGB erforderliches sittenwidriges Handeln der Beklagten rechtsfehlerhaft verneint.
Nach dem Sachvortrag des Klägers wäre ein sittenwidriges Handeln der Beklagten zu bejahen. Denn sittenwidrig handelt auch, wer - wie hier vom Kläger in Bezug auf die Beklagten behauptet - als Leiter eines mit Anlageberatung befassten Unternehmens ein System etabliert, das darauf gerichtet ist, den Kunden unter planmäßiger Falschberatung ihren Interessen und ihrer Risikobereitschaft nicht entsprechende risikobehaftete Anlagen zu empfehlen. Die Annahme des OLG, der Kläger sei vorliegend für diese Behauptung beweisfällig geblieben, beruht auf einem Verfahrensfehler. Die Revision rügt mit Erfolg, das OLG habe den Kläger dadurch in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, dass es die vom Kläger insoweit benannten Zeugen B. und T. nicht vernommen habe.
Entgegen der Auffassung des OLG steht der Vernehmung der Zeugen B. und T. § 376 Abs. 1 ZPO nicht entgegen. Das OLG hat sich aufgrund einer Auskunft der BaFin gem. § 376 Abs. 1 ZPO daran gehindert gesehen, die Zeugen B. und T. zu vernehmen. Nach dieser Auskunft handelt es sich bei den Zeugen um Wirtschaftsprüfer, derer sich die BaFin gem. § 4 Abs. 3 FinDAG bedient hatte, um bei der A-AG eine Prüfung vorzunehmen (§ 35 Abs. 1 WpHG, § 44 Abs. 1 KWG); weiter heißt es, die Zeugen unterlägen nach § 8 Abs. 1 WpHG, § 9 Abs. 1 KWG einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht, von der sie nicht entbunden werden könnten. Diese Mitteilung rechtfertigte es indes nicht, von der Vernehmung der Zeugen B. und T. gem. § 376 Abs. 1 ZPO abzusehen. Die Zeugen B. und T. werden vom Anwendungsbereich dieser Vorschrift nicht erfasst.
Eine für das Eingreifen von § 376 Abs. 1 ZPO erforderliche Pflicht zur Amtsverschwiegenheit folgt auch nicht aus der sich aus § 8 Abs. 1 WpHG und § 9 Abs. 1 S. 1 KWG ergebenden Verschwiegenheitspflicht. Nach § 8 Abs. 1 S. 1 WpHG und § 9 Abs. 1 S. 1 KWG dürfen u.a. Personen, die bei der BaFin beschäftigt oder - wie die Zeugen B. und T. - nach § 4 Abs. 3 FinDAG beauftragt sind, die ihnen bei ihrer Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse eines geprüften Unternehmens oder eines Dritten liegt, nicht unbefugt offenbaren. Bei dieser Verschwiegenheitspflicht handelt es sich aber nicht um eine von § 376 Abs. 1 ZPO in Bezug genommene Pflicht zur Amtsverschwiegenheit, wenn sie sich mit ihr im Einzelfall - anders als hier - auch überschneiden kann.
Das OLG war an der Vernehmung der Zeugen B. und T. auch nicht nach § 383 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3 ZPO gehindert.
Nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind Personen, denen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, in Betreff der Tatsachen, auf welche sich die Verpflichtung zur Verschwiegenheit bezieht, zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt. Dass sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen wollen, haben B. und T. bislang nicht erklärt. Schon deshalb wären sie grundsätzlich zu vernehmen gewesen (vgl. § 386 Abs. 3 ZPO). Anderes ergibt sich auch nicht aus § 383 Abs. 3 ZPO.
Die angefochtene Entscheidung beruht auf der gehörswidrig unterbliebenen Vernehmung der Zeugen B. und T. (§ 545 Abs. 1 ZPO). Es ist nicht auszuschließen, dass das OLG auf der Grundlage der - ggf. eingeschränkten - Aussage der Zeugen den Klägervortrag als erwiesen angesehen hätte, wonach sich in den Depots von sämtlichen 1.111 Anlegern, die die Zeugen stichprobenhaft überprüft haben, Genussscheine der Risikoklassen 3 und 4 befanden, obwohl die Anleger den Risikoklassen 1 und 2 zuzuordnen waren. Aus einem solchen Beweisergebnis hätte das Berufungsgericht nach seinen eigenen Ausführungen auf eine flächendeckende nicht anlegergerechte Beratung und ein sittenwidriges Handeln der Beklagten geschlossen.
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