29.05.2018

Zur Vorsatzanfechtung der Verrechnung von Beitragsforderungen einer Sozialkasse mit Erstattungsansprüchen eines Arbeitgebers

Der BGH hat sich mit der Vorsatzanfechtung der Verrechnung von Beitragsforderungen einer Sozialkasse mit Erstattungsansprüchen eines Arbeitgebers auseinandergesetzt. Ähnlich wie die Entgeltfortzahlung an Arbeitnehmer im Krankheitsfall stellt auch die Auszahlung von Urlaubsvergütung eine Rechtshandlung des Arbeitgebers dar, ohne die ein Erstattungsanspruch des Arbeitgebers und damit eine Aufrechnungsmöglichkeit der Sozialkasse mit Beitragsrückständen nicht entstehen kann.

BGH 3.5.2018, IX ZR 150/16
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Malereibetriebs (Schuldnerin). Die Beklagte ist eine zur Durchführung der tarifvertraglichen Urlaubsregelung im Maler- und Lackiererhandwerk von den Tarifvertragsparteien gegründete Sozialkasse. Auf der Grundlage des für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags über das Verfahren für den Urlaub und die Zusatzversorgung für das Maler- und Lackiererhandwerk vom 23.11.2005 (fortan: VTV) erhebt sie von den erfassten Arbeitgebern Beiträge.

Beansprucht ein Arbeitnehmer Urlaub, hat der Arbeitgeber die Urlaubsvergütung an den Arbeitnehmer auszuzahlen. Die Beklagte erstattet dem Arbeitgeber die ausgezahlten Beträge. Einen Anspruch auf Erstattung hat der Arbeitgeber aber nur, wenn sein Beitragskonto bei der Urlaubskasse im Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruches ausgeglichen ist (§ 7 Nr. 3 VTV).

Der Kläger verlangt von der Beklagten unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Vorsatzanfechtung die Rückgewähr von Beiträgen, die sie von der Schuldnerin außerhalb des Zeitraums von drei Monaten vor dem Insolvenzantrag teils durch Zahlungen, teils durch Verrechnungen mit Erstattungsansprüchen erlangt hat.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das OLG hat die Berufung des Klägers auch insoweit im Ergebnis mit Recht zurückgewiesen, als die Beklagte eine Befriedigung für ihre Beitragsforderungen durch Verrechnungen erlangt hat.

Die Verrechnungen der Beklagten waren nicht nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig, denn die Beklagte hat die Möglichkeit der Verrechnung nicht durch eine nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtbare Rechtshandlung erlangt. Allerdings fehlt es entgegen der Ansicht des OLG nicht an der von § 133 Abs. 1 InsO vorausgesetzten Rechtshandlung der Schuldnerin. Ähnlich wie die Entgeltfortzahlung an Arbeitnehmer im Krankheitsfall stellt auch die Auszahlung von Urlaubsvergütung eine Rechtshandlung des Arbeitgebers dar, ohne die ein Erstattungsanspruch des Arbeitgebers und damit eine Aufrechnungsmöglichkeit der Sozialkasse mit Beitragsrückständen nicht entstehen kann. Soweit eine frühere Entscheidung des Senats dahin verstanden werden kann, dass sich die Aufrechnungslage ohne mitwirkende Rechtshandlung des Schuldners unmittelbar aus den tarifvertraglichen Rechtsvorschriften ergebe, wird daran nicht festgehalten.

Die Beklagte hat gleichwohl nicht in einer nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtbaren Weise eine Aufrechnungsmöglichkeit erlangt, weil die Insolvenzgläubiger durch die von der Beklagten vorgenommenen Verrechnungen nicht benachteiligt wurden (§ 129 Abs. 1 InsO). Nach § 7 Nr. 3 VTV hat der Arbeitgeber einen Erstattungsanspruch nur, wenn sein Beitragskonto zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs ausgeglichen ist. Zu der ähnlichen Regelung in § 18 Abs. 5 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20.12.1999, wonach Erstattungsforderungen des Arbeitgebers gegen die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse mit der Maßgabe zweckgebunden sind, dass der Arbeitgeber über sie nur verfügen kann, wenn das bei der Einzugsstelle bestehende Beitragskonto keinen Debetsaldo ausweist und er seinen Meldepflichten entsprochen hat, hat das BAG entschieden, die Erfüllung der Beitragspflicht sei keine Voraussetzung für das Entstehen des Erstattungsanspruchs des Arbeitgebers; § 18 Abs. 5 des Tarifvertrags begründe aber bei nicht vollständiger Erfüllung der Beitragspflicht ein Hindernis für die Durchsetzung des bereits mit der Auszahlung der Urlaubsvergütung entstandenen Anspruchs.

Erst recht muss dies für die hier maßgebliche Regelung in § 7 Nr. 3 VTV gelten, die den Erstattungsanspruch vom Ausgleich des Beitragskontos abhängig macht. Dann aber hatte die Rechtsposition der Schuldnerin in dem Umfang, als sie der Beklagten Beiträge schuldete, für die Gläubiger keinen wirtschaftlichen Wert, auf den sie hätten zugreifen können. Dass insoweit, als die Beklagte Verrechnungen vornahm, Beiträge der Schuldnerin offen standen, hat der Kläger nicht in Abrede gestellt. Die Erstattungsforderungen der Schuldnerin hätten deshalb auch im Insolvenzverfahren erst zur Masse gezogen werden können, wenn in gleichem Umfang Beitragsforderungen der Beklagten erfüllt worden wären. Anders wäre dies nur dann, wenn die Beitragsrückstände ein bloßes Zurückbehaltungsrecht der Beklagten nach § 273 BGB begründeten. Dies ist aber nicht der Fall.

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