Zur Widerspruchsfrist bei Renten- und Lebensversicherungen
BGH 7.5.2014, IV ZR 76/11Der klagende Versicherungsnehmer hatte bei der Beklagten einen Rentenversicherungsvertrag zum 1.12.1998 abgeschlossen. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformation erhielt er mit Übersendung des Versicherungsscheins. Dabei wurde er allerdings nicht ausreichend über sein Widerspruchsrecht belehrt. Von Dezember 1998 bis Dezember 2002 zahlte der Kläger rund 51.129 € an Versicherungsbeiträgen ein. Nachdem er den Vertrag im Juni 2007 gekündigt hatte, kehrte ihm die Beklagte einen Rückkaufswert von 52.705 € aus. Daraufhin erklärte der Kläger Ende März 2008 schriftlich Widerspruch nach § 5a Abs. 1 S. 1 VVG a.F. und forderte die Beklagte zur Rückzahlung aller Beiträge nebst Zinsen auf. Außerdem begehrte er Schadensersatz wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung.
Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen, weil der Widerspruch gegen das Zustandekommen des Vertrages verfristet gewesen sei. Auf die Revision des Klägers legte der BGH dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob Art. 15 Abs. 1 S. 1 der Zweiten Richtlinie Lebensversicherung unter Berücksichtigung des Art. 31 Abs. 1 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung wie in § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. entgegensteht, nach der ein Rücktritts- oder Widerspruchsrecht spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie erlischt, selbst wenn der Versicherungsnehmer nicht über das Recht zum Rücktritt oder Widerspruch belehrt wurde.
Der EuGH bejahte die Vorlagefrage mit Urteil vom 19.12.2013 (C-209/12). Infolgedessen verwarf der BGH die Revision des Klägers hinsichtlich der Schadensersatzforderung als unzulässig, weil sie insoweit vom Berufungsgericht nicht zugelassen worden war. Soweit der Kläger einen Bereicherungsanspruch gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB geltend gemacht hatte, hob er das Berufungsurteil auf und wies die Sache an das OLG zurück.
Die Gründe:
Der Kläger kann dem Grunde nach aus ungerechtfertigter Bereicherung Rückzahlung der an die Beklagte geleisteten Prämien verlangen, weil diese Leistung rechtsgrundlos erfolgte. Der Rentenversicherungsvertrag war auf der Grundlage des § 5a VVG a.F. nicht wirksam zustande gekommen. Schließlich hatte der Kläger rechtzeitig Widerspruch erklärt.
Soweit der Kläger sich darauf berief, das Policenmodell als solches sei europarechtswidrig, konnte der Senat offenlassen, ob sich ein Versicherungsnehmer, der ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt wurde und die Versicherungsbedingungen sowie eine Verbraucherinformation erhielt, darauf nach Durchführung des Vertrages noch berufen kann. Letztlich wurde die 14-tägige Widerspruchsfrist gem. § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. nicht in Lauf gesetzt, da er mit Übersendung des Versicherungsscheins nicht in drucktechnisch deutlicher Form i.S.v. § 5a Abs. 2 S. 1 VVG a.F. über sein Widerspruchsrecht belehrt worden war.
Nachdem der Kläger die erste von ihm geschuldete Prämie im Dezember 1998 gezahlt hatte, wäre gem. § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. sein Recht zum Widerspruch längst erloschen gewesen, als er diesen im März 2008 erklärte. Indes bestand sein Widerspruchsrecht nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort. Das ergab sich aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des EuGH.
Die Vorschrift weist eine verdeckte Regelungslücke i.S. einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes auf. Sie steht in Widerspruch zu dem mit dem Gesetz verfolgten Grundanliegen, die Dritte Richtlinie Lebensversicherung ordnungsgemäß in deutsches Recht umzusetzen. Die Regelung ist deshalb richtlinienkonform dergestalt zu reduzieren, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn der Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt wurde und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat. Hingegen ist § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. für alle Versicherungsarten außerhalb des Bereichs der Richtlinien unverändert anwendbar.
Allerdings umfasste der Bereicherungsanspruch des Klägers der Höhe nach nicht uneingeschränkt alle Prämien, die er an die Beklagte gezahlt hatte. Im Rahmen einer gemeinschaftsrechtlich geforderten rechtsfortbildenden Auslegung einer nationalen Norm darf bei der Regelung der Rechtsfolgen des Widerspruchs nach nationalem Recht ein vernünftiger Ausgleich und eine gerechte Risikoverteilung zwischen den Beteiligten hergestellt werden. Schließlich genießt der Versicherungsnehmer während der Prämienzahlung Versicherungsschutz. Dieser stellt einen Vermögensvorteil dar, dessen Wert zu ersetzen sein kann. Der Wert kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen. Hierzu muss das OLG im weiteren Verfahren noch Feststellungen treffen.
Linkhinweise:
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