Zur Wiederaufnahme eines durch Verpflichtungszusagen beendeten Kartellverwaltungsverfahrens
BGH 12.6.2018, KVR 38/17Das Land Baden-Württemberg vermarktet - gebündelt mit dem Verkauf von Holz aus landeseigenem Staatswald - in Absprache mit den jeweiligen Eigentümern auch Rundholz, insbesondere Nadelholz, aus Wäldern, die im Eigentum baden-württembergischer Gemeinden oder Privater stehen (Körperschafts- und Privatwald). Das Bundeskartellamt sah hierin einen Verstoß gegen Vorschriften des GWB und leitete deshalb 2001 ein Verfahren gegen das Land ein. In diesem Verfahren verpflichtete sich das Land zur Ausräumung der kartellrechtlichen Bedenken zu Maßnahmen, mit denen eine vom Land unabhängige Vermarktung des Holzes aus Körperschafts- und Privatwald gefördert werden sollte (Verpflichtungszusagen). So verpflichtete es sich etwa sich an Holzvermarktungskooperationen im Wesentlichen nur noch zu beteiligen, wenn die Forstbetriebsfläche der einzelnen beteiligten Waldbesitzer 3.000 ha nicht überstieg. Die Verpflichtungszusagen wurden vom Bundeskartellamt mit Verfügung vom 9.12.2008 gem. § 32b GWB für bindend erklärt.
Aufgrund neuer, ab 2012 durchgeführter Ermittlungen kam das Bundeskartellamt zu dem Ergebnis, dass der festgelegte Schwellenwert von 3.000 ha nicht ausreiche, um das Ziel einer wettbewerblichen Angebotsstruktur zu erreichen. Mit Entscheidung vom 9.7.2015 hob es seine Verpflichtungszusagenentscheidung vom 9.12.2008 auf und erließ eine Abstellungsverfügung, der es - mit Übergangsfristen - einen Schwellenwert von letztlich 100 ha zugrunde legte. Hierbei untersagte es dem Land neben dem gemeinschaftlichen Holzverkauf auch, unter bestimmten weiteren Voraussetzungen für betroffene Waldbesitzer die jährliche Betriebsplanung, die forsttechnische Betriebsleitung und den Revierdienst durchzuführen.
Das OLG wies die Beschwerde des Landes gegen diese Verfügung des Bundeskartellamts im Wesentlichen zurück. Das Bundeskartellamt sei zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 32b Abs. 2 Nr. 1 GWB berechtigt gewesen. Für eine nachträgliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne dieser Vorschrift genüge es, dass das Bundeskartellamt aufgrund seiner Ermittlungen seit 2012 neue Erkenntnisse gewonnen habe, die eine Absenkung der Schwellenwerte rechtfertigten. In der Sache stelle die gebündelte Rundholzvermarktung durch das Land, das als Unternehmen i.S.d. des Kartellrechts gehandelt habe, im Umfang der vom Bundeskartellamt ausgesprochenen Untersagung eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung i.S.d. Art. 101 Abs. 1 AEUV dar.
Auf die Rechtsbeschwerde des Landes hob der BGH die Entscheidung des OLG sowie die Entscheidung des Bundeskartellamts vom 9.7.2015 auf.
Die Gründe:
Eine Verpflichtungszusagenentscheidung kann nicht allein deshalb aufgehoben und das Abstellungsverfahren wieder aufgenommen werden, weil der Kartellbehörde nachträglich wesentliche Tatsachen bekannt werden, die bereits im Zeitpunkt der Entscheidung vorgelegen haben.
Mit einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse in einem für die Verfügung wesentlichen Punkt (§ 32b Abs. 2 Nr. 1 GWB) sind vielmehr grundsätzlich objektive Veränderungen der Sachlage gemeint. Nachträgliche Erkenntnisse oder die Beseitigung von Fehlvorstellungen der Kartellbehörde bewirken für sich genommen keine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse i.S.v. § 32b Abs. 2 Nr. 1 GWB. Sie stellen deshalb keinen Wiederaufnahmegrund dar, sofern nicht die weiteren Voraussetzungen des § 32b Abs. 2 Nr. 3 GWB erfüllt sind.
Das nachträgliche Bekanntwerden wesentlicher Umstände berechtigt die Kartellbehörde vielmehr nur dann zur Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn diese Umstände - wie insbesondere bei neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen - entweder zuvor allgemein unbekannt waren oder wenn solche Umstände von der Kartellbehörde deshalb nicht in Erfahrung gebracht werden konnten, weil sie mit ihrer Aufdeckung durch weitere Ermittlungen nicht rechnen musste. Entsprechendes gilt für die Prognose, die die Kartellbehörde hinsichtlich der Auswirkungen der Verpflichtungszusagen auf die Marktverhältnisse anstellt. Eine ausbleibende positive Entwicklung des Wettbewerbs kann nur dann zur Wiederaufnahme des Verfahrens berechtigen, wenn sie unvorhersehbar war.
Da diese besonderen Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Abstellungsverfahrens nach § 32b Abs. 2 Nr. 1 GWB hier nicht erfüllt waren, war die Verfügung des Bundeskartellamts schon aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Damit hatte der BGH nicht darüber zu entscheiden, ob und ggf. in welchem Umfang die Holzvermarktungspraxis des Landes Baden-Württemberg kartellrechtswidrig ist.
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