Zur Zulässigkeit einer grenzüberschreitenden Vermittlung von Sportwetten in Deutschland ohne Erlaubnis
EuGH 4.2.2016, C-336/14Die deutsche Staatsanwaltschaft legt Frau Sebat Ince vor dem AG Sonthofen zur Last, sie habe über einen in einer "Sportsbar" in Bayern aufgestellten Wettautomaten Sportwetten ohne die erforderliche behördliche Erlaubnis vermittelt. Die österreichische Gesellschaft, für die die Wetten angenommen wurden, besaß nur in Österreich eine Lizenz für die Veranstaltung für Sportwetten, nicht aber in Deutschland.
Die Tatvorwürfe betreffen zunächst das erste Halbjahr 2012, als die Veranstaltung und die Vermittlung von Sportwetten in Deutschland einem staatlichen Monopol noch den Regeln des Glücksspielstaatsvertrags 2008 unterlagen. Dieser untersagte die Veranstaltung und die Vermittlung von Sportwetten ohne Erlaubnis und schloss die Erteilung von Erlaubnissen an private Wirtschaftsteilnehmer aus. Nach den Ausführungen des AG gelangten nach den Urteilen des EuGH in den Rechtssachen Stoß u.a. sowie Carmen Media Group alle deutschen Gerichte, die darüber zu befinden hatten, ob dieses Monopol mit dem Unionsrecht in Einklang stand, zu dem Ergebnis, dass dies nicht der Fall war. Uneinigkeit besteht in der Rechtsprechung allerdings in der Frage, ob auf die privaten Wirtschaftsteilnehmer ein fiktives Erlaubnisverfahren dergestalt anzuwenden ist, dass in jedem Einzelfall geprüft wird, ob diese Wirtschaftsteilnehmer die für die staatlichen Veranstalter geltenden Voraussetzungen erfüllen. Nach den Angaben des AG hat kein privater Wirtschaftsteilnehmer eine Erlaubnis im Anschluss an ein solches Erlaubnisverfahren erhalten.
Des Weiteren betreffen die Tatvorwürfe gegen Frau Ince das zweite Halbjahr 2012. In diesem Zeitraum wurden die Veranstaltung und die Vermittlung von Sportwetten nunmehr vom Glücksspieländerungsstaatsvertrag 2012 geregelt. Dieser enthält eine Experimentierklausel, nach der private Wirtschaftsteilnehmer während eines Zeitraums von sieben Jahren ab seinem Inkrafttreten eine Konzession für die Veranstaltung von Sportwetten erhalten können. Ist die Konzession einmal erteilt, können Vermittler eine Erlaubnis erhalten, für den Veranstalter Wetten anzunehmen. Für die bereits tätigen staatlichen Veranstalter und ihre Vermittler gilt die Konzessionspflicht erst ein Jahr nach Erteilung der ersten Konzession. Zur Zeit der Tathandlungen (und bis zur mündlichen Verhandlung vor dem EuGH) war jedoch keine der 20 zur Verfügung stehenden Konzessionen vergeben, so dass keinem privaten Wirtschaftsteilnehmer die Veranstaltung oder die Annahme von Sportwetten in Deutschland erlaubt war. Das AG zieht daraus den Schluss, dass so das von den deutschen Gerichten für unionsrechtswidrig befundene vormalige Staatsmonopol faktisch fortbestehe.
In diesem Zusammenhang befragt das AG den EuGH zu den Konsequenzen, die Verwaltung und Justiz zum einen aus der Unionsrechtswidrigkeit des vormaligen Staatsmonopols während der Phase der Ausarbeitung der Reform und zum anderen aus dem faktischen Fortbestand dieses Monopols nach der Reform von 2012 ziehen müssen.
Die Gründe:
Hinsichtlich des den Regeln des Glücksspielstaatsvertrags 2008 unterliegenden Zeitraums sind die Strafverfolgungsbehörden eines Mitgliedstaats durch die Dienstleistungsfreiheit daran gehindert, die ohne Erlaubnis erfolgte Vermittlung von Sportwetten durch einen privaten Wirtschaftsteilnehmer an einen anderen privaten Wirtschaftsteilnehmer, der über keine Erlaubnis für die Veranstaltung von Sportwetten in diesem Mitgliedstaat verfügt, sondern nur Inhaber einer Lizenz in einem anderen Mitgliedstaat ist, zu ahnden, wenn die Erlaubnispflicht für die Veranstaltung oder die Vermittlung von Sportwetten im Rahmen eines von den nationalen Gerichten für unionsrechtswidrig befundenen staatlichen Monopols besteht.
Selbst wenn ein privater Wirtschaftsteilnehmer theoretisch eine Erlaubnis für die Veranstaltung oder die Vermittlung von Sportwetten erhalten kann, steht die Dienstleistungsfreiheit einer solchen Ahndung entgegen, soweit die Kenntnis von dem Verfahren zur Erteilung einer Erlaubnis nicht sichergestellt ist und das von den nationalen Gerichten für unionsrechtswidrig befundene staatliche Sportwettenmonopol trotz der Annahme eines solchen Verfahrens fortbesteht. Das fiktive Erlaubnisverfahren hat die Unionsrechtswidrigkeit des Staatsmonopols, wie sie von den nationalen Gerichten festgestellt wurde, nicht behoben.
Außerdem hat der Umstand, dass die Vorschriften des Glücksspielstaatsvertrags 2008 trotz seines Auslaufens Ende 2011 in Bayern im ersten Halbjahr 2012 nur aufgrund eines dortigen Landesgesetzes immer noch anwendbar waren, zur Folge, dass darin enthaltene technische Vorschriften für diesen Zeitraum Einzelnen wie Frau Ince nicht entgegengehalten werden können. Im Unterschied zum Glücksspielstaatsvertrag selbst wurde dieses Gesetz der Kommission nämlich nie notifiziert. Nach einer Unionsrichtlinie muss der Kommission aber jeder Entwurf eines Gesetzes mit technischen Vorschriften, die eine "Dienstleistung der Informationsgesellschaft" betreffen, notifiziert werden. Diese Notifizierungspflicht galt nicht nur für den Glücksspielstaatsvertrag, sondern auch für das Gesetz, das ihn als Landesrecht aufrechterhielt. Es ist Sache des AG, zu prüfen, ob Frau Ince ein Verstoß gegen technische Vorschriften zur Last gelegt wird, die mit dem Glücksspielstaatsvertrag 2008 aufgestellt wurden.
In Bezug auf den vom Glücksspieländerungsstaatsvertrag 2012 geregelten Zeitraum hindert die Dienstleistungsfreiheit einen Mitgliedstaat daran, die ohne Erlaubnis erfolgte Vermittlung von Sportwetten in seinem Hoheitsgebiet an einen Wirtschaftsteilnehmer, der in einem anderen Mitgliedstaat eine Lizenz innehat, zu ahnden,
- wenn die Erteilung einer Erlaubnis für die Veranstaltung von Sportwetten daran geknüpft ist, dass der Wirtschaftsteilnehmer eine Konzession nach einem Verfahren wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden erhält und das AG feststellt, dass dieses Verfahren den Gleichbehandlungsgrundsatz, das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und das daraus folgende Transparenzgebot nicht beachtet, und
- soweit trotz des Inkrafttretens einer nationalen Bestimmung, nach der privaten Wirtschaftsteilnehmern eine Konzession erteilt werden kann, die von den nationalen Gerichten für unionsrechtswidrig befundenen Bestimmungen, mit denen ein staatliches Monopol auf die Veranstaltung und die Vermittlung von Sportwetten eingeführt wurde, faktisch weiter angewandt werden.
Die Experimentierklausel hat die Unvereinbarkeit des vormaligen Staatsmonopols mit dem freien Dienstleistungsverkehr nicht behoben, soweit die alte Regelung unter Berücksichtigung dessen, dass keine Konzessionen erteilt wurden und dass die staatlichen Veranstalter weiterhin Sportwetten veranstalten können, trotz des Inkrafttretens der Reform von 2012 in der Praxis weiter Bestand hat.
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